Öffnung statt Abschottung

Waechter + Waechter
6. August 2014
Drei Wohngruppenhäuser umschließen zwei ineinander übergehende Höfe als gemeinsame Mitte (Foto: Thomas Ott)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Das Konzept „Mit ins Leben gehen“ beschreibt die grundlegende Neuausrichtung der landschaftlich schön im Rheingau gelegenen sonderpädagogischen Großeinrichtung St. Vincenzstift. Das Betreuungsangebot wird stark differenziert und dezentrale Wohngruppen in der Region sowie ambulante Hilfsangebote werden ausgebaut. Für die im Zentralgelände verbleibenden Nutzungen wurde ein Masterplan entwickelt, mit dem Ziel, die bislang abgeschlossene Sonderwelt zur Kommune zu öffnen. Dabei werden unter anderem die Wohnbereiche um eine grüne Mitte mit schönem Baumbestand, in unmittelbarer Nähe zur Förderschule, zusammengefasst.
In einem ersten Bauabschnitt zur Umsetzung des Masterplans entstanden in Ergänzung der bestehenden Wohnhäuser „Hessen“ und „Rheinland-Pfalz“ drei Wohnhäuser zum familiennahen Wohnen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung mit jeweils acht Bewohnern. Weg von den institutionellen, pflegeheim-ähnlichen Wohnformen wollten wir familienähnliche Wohnangebote schaffen und zugleich die besonderen Qualitäten des parkartigen Geländes nutzen und den Bewohnern zugänglich machen.

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Jede der Gruppen bewohnt ein eigenes Haus. Drei Häuser umschließen zwei Höfe, die ineinander übergehen und als gemeinsame Mitte zum Spielen einladen. Ein Dorf im Dorf. Auf eine interne Verbindung wurde verzichtet um die gewünschte Kleinteiligkeit zu erreichen – Ruf- und Meldeanlagen ersetzen die räumliche Anbindung, zum Beispiel zur Nachtwache.
Die lichtdurchflutet helle und zugleich heitere, freundliche Atmosphäre und Anmutung entspricht dem Wunsch nach Begegnung und Gemeinschaft. Die Zimmer der Kinder werden nicht über einen dunklen Flur, sondern über einen einbündigen Kommunikationsraum erschlossen – helle Flächen, die auch zum Spielen mitgenutzt werden können. Enge und Weite wechseln, Aufweitungen mit individuellen Vorzonen markieren den Zimmereingang.

Die Platane leitet am Eingangsbereich in das Ensemble der drei Kinderhäuser ein (Foto: Thomas Ott)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Erdgeschossig fügen sich die winkelförmigen Baukörper pavillonartig in den parkartigen Landschaftsraum des Geländes des Vincenzstifts ein. Kein Aufzug, keine Treppe. Sämtliche Räume sind gleichberechtigt für alle Bewohner, auch für die, die in Ihrer Mobilität eingeschränkt sind, erreichbar – barrierefrei, schwellenlos, ohne technisches Hilfsmittel.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Alle Beteiligten wünschten sich kleine, unabhängige Wohneinheiten. Aus Sorge über den Betrieb wurde im Rahmen des Entwurfs intensiv über die Gruppengröße diskutiert und Alternativen wurden in Betracht gezogen. Alle Beteiligten hatten jedoch schlussendlich den Mut neue Wege zu gehen.

Raumhohe Verglasungen unterstreichen den luftigen Charakter der hölzernen pavillonartigen Wohnhäuser und ermöglichen einen steten Dialog zwischen Innen und Außen (Foto: Thomas Ott)
 
Die lichtdurchflutete und einladende Atmosphäre entspricht dem Wunsch nach Begegnung und Gemeinschaft (Foto: Thomas Ott)
 
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Nachhaltigkeit, Lebenszyklus und die Schonung der natürlichen Ressourcen wurden bei der Materialwahl und Konstruktion besonders beachtet. Sämtliche Oberflächen sind strapazierfähig, altern würdevoll und sind so für die Nutzung dauerhaft geeignet. Die Konstruktion ist klar und präzise detailliert mit selbstverständlichen Fügungen – tragenden und aussteifenden Wände in sehr wirtschaftlicher Holzständerbauweise, Dachscheibe als Pfettendach mit einer Zwischensparrendämmung als begrüntes Warmdach.

Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Große, raumhohe Holzfensterflächen unter dem weit auskragenden Dach ermöglichen den gewünschten starken Bezug zu der umgebenden Landschaft. Sie charakterisieren die äußere Anmutung wesentlich, wie auch die geschlossenen Fassadenflächen aus unbehandelter, über die Jahre langsam vergrauender Lärchenholzverschalung.

Lageplan (Zeichnung: Waechter + Waechter)
 
Grundriss (Zeichnung: Waechter + Waechter)
Schnitt (Zeichnung: Waechter + Waechter)
Kinderhäuser St. Vincenzstift Aulhausen
2013
Vincenzstraße 60
65385 Rüdesheim am Rhein | Aulhausen

Nutzung
3 Wohnhäuser für behinderte Kinder

Bauherrschaft
Sankt Vincenzstift gGmbH, Rüdesheim am Rhein | Aulhausen

Architektur
Waechter + Waechter Architekten BDA, Darmstadt
Team: Felix Waechter, Sibylle Waechter, Esther Götz, Kathrin Sattler, Christoph Ney

Fachplaner
Tragwerksplanung: W. Brämer & A. Kirsch, Wittlich
Elektrotechnik: Ing.-Planungsges. Dries + Liebold mbH, Rüdesheim I Rhein
HLS: Ingenieurbüro M. Gelhausen, Ingelheim
Brandschutz: Fire Protection Consult, Ingenieure & Sachverständige, Trebur
Bauphysik: TOHR Bauphysik GmbH, Gladbach

Bauleitung
Waechter + Waechter Architekten BDA mit
Kehrel + Krämer Architekten BDA, Neu-Isenburg

Ausführende Firmen
Rohbau: Brömer & Sohn GmbH, Wiesbaden
Zimmerer: Raphael Risse, Bauen mit Holz, Borchen
Holzfenster: Gebr. Otto und Heinrich Müller GmbH, Essen | Borbeck
Sanitär: WVG Haustechnik GmbH, Cottbus
Heizung: Andreas Klüber-Wärme GmbH  Co. KG, Edersburg-Weyhers
Gründach: Haus- und Dachpflege GmbH & Co. KG, Sondershausen
Türen: Eich Innenausbau, Ortenberg
Sonnenschutz: Eurich Sonnenschutz, Schlitz

Hersteller
Flachdachfolie: Feuchtadaptive Dampfbremse, Fabrikat Intello, Pro Clima
Linoleum: Fabrikat Uni Walton Pur, DLW Flooring
Fliesen: Mosaikfliesen, Fabrikat CINCA, unglasiertes Feinsteinzeug

Bruttogeschossfläche
1.490 m²

Gesamtkosten
2.040.000 €
KG 200-700 brutto

Auszeichnung
Auswahl zum Tag der Architektur 2014, Hessen

Fotos
Thomas Ott, Mühltal

Vorgestelltes Projekt

ppp architekten + stadtplaner

Neubau Amtsscheune Zarrentin

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