Neue »Stadt-Loggia« in Würzburg

Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP
19. Juni 2024
Die Nachbarschaft des Mainfrankentheaters in Würzburg: Das »Rote Haus« und die »Würzburger Residenz« (Foto: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP / Steffan Sturm / Benjamin Brückner)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Theater erfindet sich immer neu, die zum Teil wunderbaren Theaterbauten aus den 1960er-Jahren weisen aber für den heutigen Theaterbetrieb und die vor ihnen liegenden neuen Herausforderungen meist eklatante Defizite auf. So auch das Mainfrankentheater in Würzburg. Neben der Behebung grundlegender Themen der Bausubstanz – der Energetik, des Brandschutzes, der Arbeitsplatzqualitäten wie auch der sehr begrenzten Raum- und Flächenkapazitäten – sind es die künstlerisch-technischen Herausforderungen, ein Mehrspartenhaus in allen seinen vier Disziplinen (Schauspiel, Oper, Konzert und Ballett) so neu- und weiterzuentwickeln, dass es auch weiterhin in der vorderen Liga der Staatstheater Deutschlands präsent sein kann und wird. 

Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

Öffentliche Gebäude sollen Marksteine in der Stadtlandschaft sein, Orientierung, Maßstab und Selbstwertgefühl der städtischen Gesellschaft ausdrücken. Die lineare Ausrichtung auf dem ehemaligen Kopfbahnhofgelände vis-à-vis des neugestalteten Theaterplatzes erlaubt und gebietet es, eine große Geste im Stadtkontext zu wagen. Die Öffnung des Neubaus »Kleines Haus« (vor dem dahinter liegenden generalzusanierenden »Großen Haus«) folgt unserem Anspruch, Theaterleben in der Stadt auch außerhalb der Vorführungszeiten sichtbar und erlebbar zu machen. Diese Öffnung ist doppeldeutig im besten Sinne: als große Geste und als niederschwelliges Angebot an die Bürger.

Die neue »Stadt-Loggia« (Foto: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP / Steffan Sturm / Benjamin Brückner)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Gerade in einem solchen – trotz aller furchtbaren Kriegswunden – immer noch historisch geprägten Stadtgewebe ragen die Kirchen, hier vor allem der imposante Dom, und die wunderbare in direkter Sichtlinie liegende Würzburger Residenz von Balthasar Neuman und Tiepolo heraus. In diesem Kanon einen neuen Baustein zu setzen, bedarf der Achtung und der präzisen städtebaulichen Körnung, welche bis in die Materialwahl hinein reicht.

Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?

Nach der Machbarkeitsstudie wurde 2017 ein Verhandlungsverfahren ausgelobt, in dem sich PFP für den Auftrag qualifizieren konnte.

Das »Kleine Haus« zur Eröffnung (Foto: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP / Steffan Sturm / Benjamin Brückner)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?

Eine große Aufgabe, ein (zu) kleines Budget, eine vertrakte Logistik und Verzahnung der Bauabschnitte, dazu der hohe Anspruch, durchgehend eine Spielstätte an diesem gewohnten Ort halten zu wollen – das waren die baulichen Anforderungen, neben allen städtebaulichen und bühnentechnischen Aspekten. Entgegen den Erwartungen (oder Befürchtungen?) wurde das alte Theater des Architekten Budeit aus den 1960er-Jahren nicht unter Denkmalsschutz gestellt.

Nicht alles konnte wie geplant umgesetzt werden, aber der gerade fertiggestellte erste Bauabschnitt, das »Kleine Haus«, zeigt schon die Umsetzung des eleganten, räumlich-komplexen Gesamtkonzepts. 

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Das Mainfrankentheater selber ist als Bauherr und Nutzer in Personalunion aufgetreten und konnte so die eigenen baulichen, künstlerischen und wirtschaftlichen Vorstellungen präzise und ohne kommunikative Umwege direkt in die Planung einfließen lassen. PFP hat hier immer große Unterstützung für seine entwerferischen Vorstellungen und Konzepte erhalten.

Die Freitreppe im Foyer (Foto: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP/ Steffan Sturm / Benjamin Brückner)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Das Konzept, vor dem Bestandsbau einen Neubau zu errichten, welcher mit dem »Kleinen Saal« die integrierte Interim-Spielstätte für die Zeit der Generalsanierung und Erweiterung des Hauptgebäudes ist, wurde in der Machbarkeitsstudie entwickelt und nachfolgend umgesetzt. 

Dieser erste Bauabschnitt beinhaltet den »Kleinen Saal« für 300 Zuschauer, zwei große unterirdische Probebühnen, die zum Theaterplatz hin voll verglaste Ballettprobe, das zentrale viergeschossige Foyer und die erdgeschossige Gastronomie. Die Umsetzung der Gebäudetechnik für das »Kleine Haus« und Unvohergesehenes im Bestand des «Großen Hauses» haben zu Bauverzögerungen und einer Erhöhung des Budgets geführt. Im Dezember 2023 konnte dann das »Kleine Haus« als vollwertige Spielstätte der Öffentlichkeit feierlich übergeben werden. Das »Große Haus« befindet sich derzeit in Ausführung bis voraussichtlich 2026.

Der Kleine Saal (Foto: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP / Steffan Sturm / Benjamin Brückner)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?

Unser Büro hat sich an dem Materialspektrum des Vorgängerbaus (Massivbau, Naturstein- wie Putzfassaden und großflächige Verglasungen) angelehnt, diese neu interpretiert und neu gewichtet. Hierdurch ist weiterhin eine Einbettung in den umgebenden Farb- und Texturkontext gegeben. Das Theater ist nicht als losgelöstes, aufgeregt und wichtigtuerisches Objekt zu verstehen, sondern ist im Stadtgewebe verankert.

Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?

Die Objektplanung verlief grundsätzlich klassisch im 2D, während die zentralen Raumsequenzen wie kleiner und großer Saal, die mehrgeschossigen Foyers (im Alt- und Neubau), die Ballettprobe und der Orchesterproberaum dreidimensional er- und durchgearbeitet wurden.

Der gläserne Ballettsaal (Foto: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP / Steffan Sturm / Benjamin Brückner)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?

Natürlich. Ein Architekt kann ohne diese Suche nach Antworten nicht mehr den zeitgemäßen Anforderungen entsprechen. Wir möchten den Begriff der Nachhaltigkeit gerne erweitern. Es geht nicht alleine um die Materialität, sondern auch um die Werthaltigkeit unserer Gebäude an sich. Wenig ist so schmerzhaft, wie die Halbwertszeit der modernen Architektur … Es mag manchen Architekten gar erwischen, dass seine Häuser schon zu Lebzeiten abgerissen, überformt oder (oft schlimmstenfalls) ertüchtigt werden. Daher ist die soziale Nachhaltigkeit vielleicht unser noch wichtigeres Anliegen und Ziel: unsere (vor allem) öffentlichen Gebäude sollen uns überdauern, tragfähig für kommende Anforderungen sein und einen kulturellen Wert besitzen, der Achtung, Respekt und Robustheit im Gebrauch einfordern kann. Halbwertszeiten von 30 Jahren, sowie immer kürzere Sanierungs- und Umbautakte sind nicht wirklich nachhaltig, oft scheinen Sie nur so. Deshalb haben wir auch keine Scheu, Neubauten entgegen dem so oft vorgetragenen Zeitgeist zu propagieren. Die dauerhafte Qualität von Neubauten über alle Moden und Trends hinweg ist entscheidend, hier liegt unserer Meinung nach der wahre Maßstab und Wert der Nachhaltigkeit.

Der Stadtkontext (Zeichnung: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP)
Grundriss 1. Obergeschoss (Zeichnung: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP)
Die vertikale Schichtung (Zeichnung: Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP)
Mainfrankentheater Würzburg
»Kleines Haus« (1.BA Neubau) 2023 / 
»Großes Haus« (2.BA Generalsanierung und Erweiterung) vors. 2026
Theaterstraße 21 
97070 Würzburg
 
Nutzung
Kulturbau, Theatergebäude
 
Auftragsart   
Direktauftrag 2017: LP 1 Machbarkeitsstudie 2017 
VgV-Verfahren 2017/ Auftrag: PFP LP 2-8 
Bearbeitung PFP LP 1-8 »Kleines Haus« / LP 1-5 »Großes Haus«
 
Bauherrschaft
Mainfrankentheater Würzburg
 
Architektur
Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP GmbH, Hamburg
Projektleiter: Ulf Sturm
Mitarbeit: Ulf Grosse, Veronica Scortecci, Fritz Benter, Philipp Wendt, Minji Kim, Robert Knochenhauer
PFP LP 1-8 »Kleines Haus« / LP 1-5 »Großes Haus«
            
Fachplaner
Tragwerksplanung: AJG Hamburg
TGA: IWB Braunschweig
Freianlagen: GTL Kassel
Bauphysik :ISRW Hamburg (im Auftrag von PFP)
Brandschutzplanung: hhp Ingenieure für Brandschutz, Ludwigshafen (im Auftrag von PFP)
 
Bruttogeschossfläche
18.585 m² (1. und 2.BA)
 
Gebäudevolumen
102.625 m³ (1. und 2.BA)
 
Gesamtkosten
115.000.000 € 
 
Fotos
Prof. Jörg Friedrich | Studio PFP / Steffan Sturm / Benjamin Brückner

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