Literaturmuseum der Moderne, Marbach
Arkadien in Sicht
26. Juni 2006
Recht im Anschnitt das Schiller Nationalmuseum, 1903 von Eisenlohr & Weigle gebaut; links die Längsseite des kleinen "Schatzhauses", das auf dem eigentlichen Ausstellungsgeschoss steht. Zum Neckartal ist eine große Terrasse vorgebaut.
David Chipperfield hätte 2001 am offenen Wettbewerb für das Literaturmuseum der Moderne nicht teilgenommen, aber sein Mitarbeiter Alexander Schwarz, der aus Ludwigsburg bei Marbach stammt, bestand darauf. Jetzt sieht man: zum Glück. Zwar waren DCA nur auf dem 4. Platz gelandet, aber die Bauherrschaft entdeckte bei genauerem Hinsehen in seinem Entwurf überzeugende funktionale Stärken, so dass Chipperfield schließlich beauftragt wurde. Marbach ist Schillers Geburtsort und heute Sitz des Deutschen Literaturarchivs – über tausend Nachlässe des Who-is-who der deutschen Literatur sind ihm anvertraut, etwa einhundertsiebzig Mitarbeiter arbeiten hier. Neben dem Schiller-Nationalmuseum von 1903, in dem die Bautypen Pantheon und Schloss im "Baustil von Schillers Heimatjahren" miteinander verschmolzen wurden, bildet das neue, weltweit erste, nur für Literatur gebaute Museum eine Art Vorplatzrandbebauung, die den Blick von der Schillerhöhe aus ins Neckartal nicht nur frei lässt, sondern regelrecht inszeniert.
Ausstellungssäle auf der unteren Ebene; die raumhohen Flügeltüren sind eine Rarität zum Genießen.
Die Schillerhöhe ist kein flaches Plateau, sondern ein leichter Hang. Was auf dem Vorplatz Souterrain ist, bildet zum Hang hinunter das Erdgeschoss. DCA brachten im oben aufragenden Baukörper, der durch eng gestellte, spindeldünne Stützen wie ein zartes Schatzhaus wirkt, lediglich Foyer, Garderobe, Schließfächer, Kasse und einen kleinen Vortragssaal unter. Die gesamte Ausstellungsfläche befindet sich in der unteren Ebene, die großteils in den Hang hinein gebaut wurde. Es sind immerhin tausend Quadratmeter, je zur Hälfte Dauer- und Wechsel-ausstellungsflächen. Spektakulär in grellem Sinne ist hier nichts, eher haben wir es mit einem Meisterstück vornehmer, keineswegs asketischer Zurückhaltung zu tun. Literaturmuseum – was soll das überhaupt sein? Manuskripte, Zettel, Briefwechsel, wertvolle Ausgaben – kleine Exponate werden gezeigt, die viel vertragen, aber kein Tageslicht. So bildeten die Architekten diese Säle angenehm dunkel aus, bekleideten die Wände mit dunkelbraunem Ipé-Holz, wie Parkett die Wände hoch verklebt. Schon sind wir bei den schönen Materialien: Muschelkalkplatten auf dem Boden; alle Wände, auf die Tageslicht fällt, sind aus Sichtbeton, der mit passenden Zuschlagstoffen getönt und exquisit verarbeitet ist; heller, dicker Filz an Wänden, auf Bänken, und dunkle, raumhohe Flügeltüren aus dem Ipé-Holz, mit dem – wie gesagt – alle Kunstlicht-Räume ausgeschlagen sind. Alles schaut und fasst man gern an. Dieser sinnliche Reiz im Zusammenspiel mit der strengen Geometrie des Museums wird Pilgerscharen nach Marbach locken, die womöglich wegen Schiller und der Literatur nicht kämen. Davon, dass die Literaturausstellungen vom Feinsten sein werden, wollen wir auch nicht schweigen.
Ursula Baus
Das Foyer im Eingangsschatzhaus. Der Sichtbeton ist sorgfältig verarbeitet. Die Schließfächertüren sind mit Filz beklebt.
Schnitt
Grundriss UG
Grundriss EG
Literaturmuseum
der Moderne
2005
Schillerhöhe 8-10
71666 Marbach
Auftraggeber
Deutsches Literaturarchiv
Marbach
Architektur
David Chipperfield Architects
London / Berlin
Projektleitung
Alexander Schwarz
Bauleitung
Wenzel + Wenzel
Tragwerksplanung
Ingenieurgruppe Bauen
Karlsruhe
Projektsteuerung
Drees & Sommer
Stuttgart
Gebäudetechnik
Jaeger, Mornhinweg + Partner
Stuttgart
Ibb Burrer + Deuring
Ludwigsburg
Fotografie
Ursula Baus