Von der Siedlung bis zum Grundriss

Christian Holl
12. Oktober 2011

Sie überrascht immer wieder. Was die Redaktion der Zeitschrift archplus in regelmäßigen Abständen auf die Beine stellt, beeindruckt. Im Juni zum Beispiel die Nummer 203: Planung und Realität – Strategien im Umgang mit den Großsiedlungen. Weil man zwischendurch vergisst, dass man es hier nicht mit einem geförderten Forschungsbericht zu tun hat (wobei die Redaktion diese Verwechslung zumindest scheinbar billigend in Kauf nimmt und damit auch ihren Anspruch formuliert), misst man das Heft mitunter an einem solchen. So stört man sich vielleicht kurz daran, dass nicht alle als Fallstudien bezeichneten Texte Fallstudien sind, sondern mitunter "nur" Projektberichte. Davon abgesehen: Klima- und Denkmalschutz, soziale Fragen, die Einbindung in Förderprogramme, die internationale Perspektive – es werden viele wesentliche Aspekte abgedeckt und bearbeitet, die das Thema nahelegt. Und dabei mit einem Pragmatismus vorgegangen, der der Realität entspricht: Die Großsiedlungen sind da, sie werden bleiben und man muss sich mit ihnen auseinandersetzen.

Tatsächlich auf einem Förderprogramm basiert der bei Callwey erschienene, aber leider schon vergriffene Band 5 zum Programm Wohnmodelle Bayern. Dieses Mal geht es um "Neue Architektur für den demografischen Wandel". Drei Modellprogramme des Experimentellen Wohnungsbaus wurden dafür zusammengefasst – "Gemeinsam bauen und leben", "Wohnen in allen Lebensphasen" und "Lebendige Wohnquartiere für Jung und Alt". 26 Projekte werden vorgestellt, neben Neubauten auffallend viele sanierte, erweiterte und ergänzte Siedlungen. Alle ansprechend fotografiert, übersichtlich und verständlich in Plänen und Texten dargestellt. Etwas ausführlicher hätten die Projektdaten sein dürfen – wie groß Wohnungen sind und wieviele jeweils zu einem Projekt gehören, ist keine nebensächliche Information. Die Gliederung setzt Schwerpunkte, weitreichende inhaltliche Überschneidungen sind allerdings nicht immer glücklich. Aber da hat man sich von Albrecht Göschel, einem der Autoren der begleitenden Essays, die die bayerischen Projekte in Bezug zu Grundsatzdebatten und Entwicklungen jenseits der Landesgrenzen geben, Absolution geholt: "Im Gegensatz zu allen Ansätzen der klassischen Moderne lassen sich hier keine Eindeutigkeiten, keine klaren Lösungen, sondern immer nur Mischungen, nur Ambivalenzen herstellen."

In meinem Studium in den 1990ern war er eines der unverzichtbaren Bücher: Der Grundrissatlas Wohnungsbau. Er ist bei Birkhäuser neu in einer vierten und überarbeiteten Auflage erschienen. Gut, dass er wieder da ist: Behutsam und sparsam erweitert – mehr war auch nicht nötig. Die Struktur wurde beibehalten, die Einleitungen sind etwas ausführlicher. Der Grundrissatlas ist nun nicht mehr zweisprachig, er ist ein wenig üppiger aufgemacht, die Projektsammlung wurde sorgfältig durch neue Beispiele ergänzt, ohne dem Neuen eine Qualität an sich zuzugestehen. Modischem und Marktschreierischem hat man sich verweigert – gezeigt werden keine Stadthäuser, geschweige denn Townhouses, sondern immer noch nur Reihenhäuser. Es gibt sie noch, die guten Bücher. ch

Archplus 203, Juni 2011: Planung und Realität. Strategien im Umgang mit den Großsiedlungen. Archplus Verlag Aachen, 128 Seien,16 Euro

Roland Pawlitschko und Karin Sandeck (Konzeption): Wohnen – Neue Architektur für den demografischen Wandel – Wohnmodelle Bayern. Callwey Verlag München 2011

Friederike Schneider und Oliver Heckmann (Herausgeber): Grundrissatlas Wohnungsbau. Birkhäuser Verlag Basel 2011, 335 Seiten, ISBN 978-3034606400, 59,90 Euro

Andere Artikel in dieser Kategorie