Moderne, Nachkriegsmoderne, Gegenwart

Ursula Baus
30. Oktober 2013

Allüberall ist Handlungsbedarf – ob im Gebäudebestand der Nachkriegsarchitektur oder in der Infrastruktur der letzten sechzig Jahre. Die schiere Masse dessen, was nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland gebaut wurde, führt zwangsläufig dazu, dass dieses Gebaute gleichzeitig en masse in eine Sanierungsphase gerät. Viele Interessen, die gegenwärtig in eine Erneuerungsrichtung laufen, kritisieren den Bestand mit Abrissabsichten, ohne dass Zeit wäre, ihn in gebotener Intensität wissenschaftlich zu bewerten. So wundert es nicht, dass nach den ersten "Revisionen" der Nachkriegsplanungen (von Werner Durth, Niels Gutschow u. v. a.) inzwischen weitere anstehen.

Braunfels' Planung für einen "deutschen Louvre" (Bild: Stefan Braunfels Architekten)

Jörn Düwel und Michael Mönninger als Herausgeber halten sich zugute, weniger die Architektur als die Stadtgrundrisse und Kontexte, außerdem "kultur- und mentalitätsgeschichtliche Voraussetzungen" zu reflektieren. Die explizite Betonung ihrer Gegenwartsperspektive lässt am wissenschaftlichen Anspruch zweifeln, zumal sie das "Fortschrittsdenken" nur als grundsätzlichen Fehler und nicht auch als Innovationsimpuls mit positiven Folgen werten. Als Autoren sind u. a. Martin Mosebach, Hans Stimmann und Wolfgang Sonne beteiligt. Hier deutet sich an, was in ähnlicher Intention bis Ende September 2013 in Hamburg in einer Ausstellung gezeigt wurde: Eine allzu einfache Kritik an Moderne, Nachkriegsmoderne und an ihren Verteidigern, siehe die Besprechung von Christian Holl im eMagazin vom 25.9.2013.

Jörn Düwel, Michael Mönninger (Hrsg.): Zwischen Traum und Trauma. Stadtplanung der Nachkriegsmoderne. 248 Seiten, etwa 150 Schwarzweißabbildungen, 21 x 23 cm, Broschur. Berlin, DOM publishers 2011, 28 Euro. ISBN 978-3-86922-174-8

Inzwischen erschien auch die Dokumentation zweier Tagungen in Braunschweig, bei der es um die Analyse städtebaulicher und architektonischer Qualität konkreter Beispiele aus Braunschweig ging – etwa des Okerhochauses und des Universitätsgeländes. Die bauhistorische und bautechnische Beschäftigung mit Bauten der Nachkriegsmoderne ist in vollem Gange und kann bereits beste Ergebnisse im Erhalt und Weiterbauen vorweisen, ohne Fehler derselben zu übersehen und zu korrigieren.

Olaf Gisbertz (Hrsg. für das Netzwerk Braunschweiger Schule): Nachkriegsmoderne kontrovers. Positionen der Gegenwart.  208 Seiten mit 60 Schwarzweiß- und 61 Farbabbildungen, 16,5 x 24 cm, Broschur. Berlin, Jovis Verlag, 2012, 32 Euro. ISBN 978-3-86859-122-4

Leider nur auf Englisch erschien just eine Gebäudemonographie zu einem der eindrucksvollsten Gebäude der Nachkriegszeit: Hans Scharouns Philharmonie in Berlin. Im Buch sind zahlreiche Dokumente zur Entstehung des Gebäudes aus dem Scharoun-Archiv der Akademie der Künste versammelt: Skizzen und Pläne, Baustellenfotos und Aufnahmen des fertigen, gut in die Jahre gekommenen Gebäudes, das vor 50 Jahren, am 15. Oktober 1963 eröffnet wurde. Aus diesem Anlass wurde auch ein Dokumentarfilm über das Gebäude für den rbb gedreht. Hans Scharoun hatte auch einen Plan für die Umgebung – das Kulturforum – konzipiert, der nicht realisiert wurde. Die derzeitige Situation ist immer wieder Gegenstand erbitterter Debatten über modernen Städtebau.

Wilfried Wang, Daniel E. Sylvester (Hrsg.): Philharmonie. Hans Scharoun. O'Neil Ford Monograph 5. 256 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, 29,5 x 21,5 cm, Broschur. Tübingen/ Berlin, Ernst Wasmuth Verlag 2013. ISBN 978-3-8030-0758-2, 39,80 Euro.

Und apropos Stadtplanung: Stefan Braunfels schlägt – unaufgefordert und also als Privatmann – für das Humboldtforum in Berlin vor, beim Schlosswiederaufbau den Ostflügel wegzulassen und so einem "deutschen Louvre" den Weg zu bereiten. Der solle dann Ost- und Westberlin gut verbinden und sei nicht so teuer wie das derzeitige Projekt. Die Barockisierung der Hauptstadt?

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