Wir können nur spekulieren

Claudia Hildner
30. Oktober 2013
Ein leerstehendes Haus wird für einen Tag zum Zufluchtsort der Opfer der Gentrifizierung. (Bild: Claudia Hildner)

In München etabliert sich eine Hausbesetzer-Szene: Schon zum zweiten Mal hat die Initiative "Goldgrund" ein leerstehendes Haus in der Innenstadt gekapert. Allerdings nur temporär, denn die satirisch als "Immobilien-Organisation" getarnte Gruppe um Till Hofmann, der unter anderem das Münchner Lustspielhaus leitet, kämpft nicht dafür, selbst einen Ort zum Leben zu finden. Sie engagiert sich gegen die in München besonders drastischen Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt, die selbst die Stadt zum Spekulieren verleiten und gerade die Innenstadt in ein Ghetto für Reiche zu verwandeln drohen.

Zwei als Makler getarnte Goldgrund-Aktivisten vor dem gescheiterten "Hotel Biss" (Bild: Claudia Hildner)

Die Besetzung lief sehr gesittet ab: Im Anschluss an eine Stadtrundfahrt, auf der zwei Goldgrund-Vertreter den interessierten Münchnern satirisch die Filetstücke und "Leckerbissen" des hiesigen Immobilienmarktes darboten (dazu zählen die real existierenden Projekte "The Seven""Glockenbach Suiten" oder "Park Avenue"), zog man weiter zu einem nahezu leerstehenden Haus in der Pilotystraße: Das leicht verwahrloste Gebäude gehört der Stadt München, die es aber aus unbekannten Gründen in den letzten Jahren beinahe komplett entmietet hat.
Für einen Tag wurde das Haus nun zu einem Zufluchtsort für all jene Münchner Einrichtungen, die durch den Immobilien-Boom ihre Heimat verloren haben. Etwa das legendäre "Atomic Café" oder die Bar "München 72", deren Mietverträge nicht verlängert wurden, um an ihrer Stelle lukrativere (und leisere) Nutzungen verwirklichen zu können. Oder die Sektion Boxen des TSV 1860 München, die bald ohne Bleibe sein wird. Auch das "Hotel Biss", eine Initiative der lokalen Straßenzeitung, hatte hier eine kleine Rezeption eingerichtet. Dort wurden die Besucher von der Band "Sportfreunde Stiller" darüber informiert, wie das Projekt zur Umnutzung eines ehemaligen Frauengefängnisses zu einem kleinen Sternehotel, in dem Obdachlose beschäftigt werden sollten, am Unwillen der Landesregierung scheiterte.
Auf zwei kleinen Bühnen traten Münchner Bands und Kabarettisten auf. Die Initiative versteht es, in ihre Aktionen die Lokalprominenz und die Presse miteinzubeziehen – sogar Gerhard Polt erklärte sich bereit, das Anliegen der Gruppe mit einem Auftritt zu unterstützen. Die Besucher merkten schnell, dass sie Teil einer als Kunstaktion getarnten Hausbesetzung (oder als Hausbesetzung getarnten Kunstaktion) geworden waren. Doch selbst die Polizei, die aufgrund des hohen Besucheraufkommens von den Nachbarn alarmiert worden war, wollte oder konnte nicht recht dagegen vorgehen.
Dank des großen Medienechos blieb der Stadt nichts anderes übrig, als umgehend zu reagieren: Das Haus in der Pilotystraße soll saniert und an Familien vermietet werden. Um in Zukunft zu verhindern, dass städtischer Wohnraum ungenutzt verfällt, soll der Stadtrat zudem jedes Quartal von den zuständigen Stellen über Leerstände wie jenen in der Pilotystraße informiert werden.

Zur Goldgrund-Aktion gibt es seit Montag, 28.10.2013, ein Video.

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