Leserreaktion

Jenny Keller
30. Oktober 2013
Weltquartier (Bild: IBA Hamburg GmbH, Martin Kunze)

Von all den Texten zur IBA ist dies einer der schwächsten (Anm. d. Red.: Dies bezieht sich auf den Text von Andreas Denk, der im eMagazin 43|13 erschienen ist.). Man merkt ihm an, dass er vor geraumer Zeit, mit nicht ausreichenden Detailkenntnissen und einigen Vorurteilen geschrieben wurde. Zunächst: Die "Wirklichkeit" der Elbinsel wird nur ungenügend erfasst. Nicht die vermeintlich isolierte Lage Wilhelmsburgs führte zur Zersiedelung, sondern die historische Entwicklung: Über Jahrhunderte war hier Bauernhofidyll, dann kam die rasante Industrialisierung (Werften, Güterumschlag, Fabrikation) mit in wenigen Jahren hochgezogenen Wohnquartieren, schließlich nach Krieg und Flutkatastrophe die Entscheidung zur mittelfristigen Aufgabe des Wohnstandorts Elbinsel. So wurde die Elbinsel über Jahrzehnte vernachlässigt, weil dies ja irgendwann nur noch Industrie- und Hafengebiet sein sollte. Stattdessen wurden weitere Flächen für Logistik, Industrie und Lastverkehr geschaffen, die die Wohngebiete immer mehr zu Inseln auf der Insel werden ließen. Der Wohnungsbestand wurde kaum gepflegt, dafür wurden Großwohnsiedlungen und Hochhäuser für dort anzusiedelnde Migranten und sozial schwache Familien gebaut. Dass die sich rapide verschlechternde soziale Lage in Wilhelmsburg und auf der Veddel zu einem Aufbegehren der dortigen Bevölkerung gegen die Vernachlässigung führte, dass Politik und Verwaltung zum allerersten Mal gezwungen waren, mit den Wilhelmsburgern zu diskutieren und auf ihre Forderungen einzugehen, davon steht kein Wort in diesem Text. Das ist misslich, denn nur dank dieser Selbstermächtigung der Stigmatisierten wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der letztlich in einer IBA in diesem abgehängten Stadtgebiet mündete. Vieles, was die IBA verwirklicht hat, waren Wünsche der Menschen vor Ort. Und nur so ist es erklärlich, dass viele Projekte in enger Kooperation und Abstimmung mit der lokalen Bevölkerung realisiert wurden, etwa bei der Modernisierung des Weltquartiers, in die viele Wünsche der Bewohner eingeflossen sind. Auch darüber ist im Text nichts zu erfahren. Es mag sein, dass die Architekturqualität nicht bei allen Neubauten für eine Veröffentlichung in den Hochglanzmagazinen ausreicht (über die Gründe könnte man viel diskutieren – sie liegen oftmals auch in den Prioritäten der Investoren begründet), aber: Das ist eben manchmal gar nicht so wichtig. Beispiel: das erwähnte migrantische Altenheim. Es macht äußerlich nicht viel her, aber die Architekten haben bei der Gestaltung starken Wert darauf gelegt, dass die überwiegend türkischen und muslimischen Bewohner sich dort wohlfühlen. Außen und innen wurden Fliesen mit orientalischen Girih-Mustern verwendet, es gibt ein Hamman und einen "Sinnesgarten", und die Wohnungsschnitte beruhen mit Vorraum, Wohnraum und Rückzugsnische auf traditionellen Grundrissmustern. Und wie es bei solch pauschalen Artikeln eben ist, wird die teilweise hohe architektonische Qualität anderer Projekte ignoriert: Das Bildungszentrum Tor zur Welt, die Neuen Hamburger Terrassen oder das Sprach- und Bewegungszentrum sind absolut gelungene Bauwerke, sowohl funktional als auch gestalterisch. Die Diffamierung der IBA als "politisch korrekte", aber (deshalb) architektonisch irrelevente Stadtentwicklungsmaßnahme ist überaus ärgerlich, weil sie erstens sachlich falsch ist und zweitens den richtigen Ansatz, einen sozialen Wandel einzuleiten, auf dumpfeste Weise verunglimpft. Die IBA, vor allem aber die Wilhelmsburger, hätten ein faireres Fazit verdient. Claas Gefroi via facebook

Neue Hamburger Terrassen, Mehrfamilienhaus von hauschild+siegel architecture (Bild: Meike Hansen, Archimage/ hauschild+siegel architecture)
Bildungszentrum Tor zur Welt im Juni 2013 (Bild: IBA Hamburg GmbH/ Bernadette Grimmenstein)
Sprach- und Bewegungszentrum (Bild: IBA Hamburg GmbH/ Bernadette Grimmenstein) 

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