Vom Sinn wilden Denkens und Entwerfens

Claus Käpplinger
26. Oktober 2011
Beitrag von Eike Becker/ Eike Becker Architekten 

Nicht erst seit dem Projekt Stuttgarter Hauptbahnhof sind jene Großprojekte umstritten, wo versucht wird, im Verborgenen und wenig transparent Entscheidungen über die Bürger hinweg zu treffen. In Berlin ist es dieser Tage das forcierte Wunschprojekt des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof eine neue Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) entstehen lassen will. Allein ein Gutachten, das der Öffentlichkeit nicht einsehbar ist, und eine Koalitionsvereinbarung sollen genügen, um das vermutlich letzte von der Kommune finanzierbare Kulturprojekt auf den Weg zu bringen. Nicht das Projekt an sich, aber das Verfahren mit einer zweifelhaften Standortwahl abseits des Zentrums lässt einmal mehr Planungskultur vermissen.
Dagegen setzt die noch recht junge Ausstellungsreihe 40/40 des Berliner BDA ganz auf Dialog, auf Öffentlichkeit und Alternativen. Nachdem sie letztes Jahr erfolgreich das Kulturforum zur Diskussion stellte, widmet sich nun ihre aktuelle Ausstellung dem Bauprojekt ZLB. 45 Architekten und Stadtplaner folgten einem dezidiert öffentlichen Aufruf, bestehende Planungen frei von Festlegungen zu überdenken. Die Ausstellung vereint 45 Positionen, die so unterschiedlich wie nur vorstellbar sind und bewusst auch andere mögliche Standorte für die ZLB in die Diskussion einbringen. Ohne Auftrag oder Mandat beweisen sich hier Architekten nicht als Erfüllungsgehilfen, sondern als kritische wie ebenso kreative Bürger mit spezifischen Kompetenzen in Sachen Raum, Körper und Stadt.

Groß ist das Spektrum der gezeigten Arbeiten im Format 40 mal 40 Zentimeter. Bolles+Wilson schlagen zwei neue monumentale Achsen über das frühere Flugfeld. Klaus Block setzt ganz auf Umbau und Erweiterung des Bestehenden, auf die Umnutzung des teilweise leerstehenden Flughafengebäudes. Wohl die poetischste Visualisierung, welcher neuer öffentliche Raum mit einem Neubau des ZLB auf dem früheren Flugfeld entstehen könnte, bietet dagegen Eike Becker an, der auch den Himmel über der Stadt einbezieht.
Architekturträume mischen sich mit profunden Standortanalysen, welche alternative Orte in Stadtmitte, Charlottenburg oder Kreuzberg für eine ZLB durchaus attraktiv erscheinen lassen. Interessant auch, dass sich hier Umbau- und Neubau-Projekte etwa die Waage halten. Und nicht wenige Projekte bringen grundsätzlich ein Unbehagen mit Großprojekten zum Ausdruck. Nicht Wenige wollen so auf dezentrale Netze und kleine Strukturen setzen. Die einzelnen Blätter eröffnen so einen anregenden weiten Horizont, wie eine Landesbibliothek des 21. Jahrhunderts beschaffen sein könnte – durchweg urban, dialogisch und poetisch. Ein Angebot, das am Eröffnungsabend von vielen Besuchern bis in die Nacht mit großer Leidenschaft diskutiert wurde.
Claus Käpplinger


bis zum 12. Dezember 2011, Montag, Mittwoch und Donnerstag 10 bis 15 Uhr und nach Vereinbarung
BDA Galerie Berlin
Galeriegespräch am Montag, 28. November, 19 Uhr

Beitrag von Klaus Block 

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