Trauriger Herbst

Christian Holl
7. November 2012
Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau, 1975-76 von Ludwig Leo (Bild: Wikimedia Commons, JanMau) 

Drei Todesfälle sind zu vermelden – zwei Architekten und eine Architektin sind gestorben, die in bemerkenswerter und eigenständiger Weise ihren eigenen Weg in der Architektur gefunden haben.
Am 1. November starb im Alter von 88 Jahren der Berliner Architekt Ludwig Leo. 1924 in Rostock geboren, war er nach einem Ingenieurstudium in Hamburg an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin gewechselt, um Architektur zu studieren; dort sollte er später, von 1975 bis zu seiner Emeritierung, den Lehrstuhl für Bauplanung bekleiden. Nach dem er bei Hans und Wassili Luckhardt gearbeitet hatte, eröffnete er sein eigenes Büro. Der Akademie der Künste gehörte er seit 1973 an; ihr hatte er 2008 sein Archiv übergeben. Mit deutlichen Worten, die man getrost nicht nur auf die Bauten Leos beziehen darf, mahnt die Akademie in ihrem Nachruf an, dem Werk Leos den Respekt entgegenzubringen, den es verdient: "Die Akademie wird sich seinem architektonischen Nachlass verpflichtet fühlen und mahnt die Stadt Berlin, das ihrige zu tun." Hilfe steht zumindest für sein bekanntestes Werk in Aussicht. Der Umlauftank der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Charlottenburg von 1975, dessen zeichenhafte Überhöhung gepaart mit uneingeschränkter Funktionalität als Skulptur und Pop-Ikone berühmt wurde, ist zwar in beklagenswertem Zustand, soll aber möglicherweise von der Wüstenrot Stiftung denkmalgerecht saniert werden. Außerdem bekannt ist der prismatische Baukörper des DLRG-Gebäudes in Spandau, auch Beachtung verdient die Sporthalle in Charlottenburg von 1964 mit einem flachen Tonnendach, einer Stahlbetonkonstruktion in der Form eines Zollingerdaches.

Lebbeus Woods, Januar 1998 (Bild: Domus 800) 

Bereits am 30. Oktober war in New York Lebbeus Woods gestorben. Nach seiner Ausbildung zum Architekten arbeitete er zunächst bei Eero Saarinen, bevor er sich auf die zeichnerische und künstlerische Arbeit konzentrierte, die es ihm am besten erlaubte, Stellung zu beziehen. Seinen futuristisch anmutenden Formen, die sich aus dem Bestehenden heraus entwickelten, lag weniger die Idee einer neuen Welt im Sinne einer konventionellen Avantgarde-Vorstellung zugrunde als vielmehr die Parallelität von verschiedenen Zugängen zur Welt, die sich über Architektur äußern können müsse. So erarbeitet er in den 1990ern Vorschläge für ein Sarajevo nach dem Krieg, in dem Verfall und Aufbau nebeneinander existieren können sollten. 1988 gründete Woods das Research Institute for Experimental Architecture (Forschungsinstitut für Experimentelle Architektur) zur Förderung der experimentellen Architektur; er lehrte an der Copper Union in New York. In einem in der Zeitschrift Domus veröffentlichten Nachruf schrieb sein Freund Steven Holl, für dessen Projekt in Chengu Woods einen Pavillon entworfen hatte: "In Lebbeus Woods lebte, verknüpft mit seltenem Idealismus, der freie Geist der Architektur."

Das Pariser Musée d'Orsay von Gae Aulenti (Bild: wikipedia, Krzysztof Mizera)  

Am 1. November starb auch Gae Aulenti, die italienische Grande Dame des Design und der Architektur, im Alter von 84 Jahren. Typisch für die umfassenden italienischen Gestaltungskompetenzen arbeitete sie als Grafik-Designerin, Redakteurin, Bühnenbildnerin, Architekturdozentin und Architektin – was im berufspolitisch durchorganisierten Deutschland kaum möglich wäre. Weltweit bekannt wurde Gae Aulenti mit dem Umbau des Pariser Gare d'Orsay zum Musée d'art – 1986 war ihre Art, eine Architektur des 19. Jahrhunderts umzubauen und ein neues Raumgefüge zu schaffen, provokant. Manche Kritiker gaben dem Projekt keine lange Wirkungsdauer, aber ein viertel Jahrhundert später manifestiert sich die Klugheit von Gae Aulentis Gestaltungsansätzen durchaus, auch ihr Mut zum Ornamentalen muss in dauerhafter Wirkung anerkannt werden. In manchen Projekten entschied sich Aulenti auch fürs Schrille und Groteske. Ihr ging es nicht um einen persönlichen Stil, weil sie an allen Orten, an denen sie aktiv wurde, Wichtigeres entdeckte und als Ausgangsbasis ihrer eigenen Arbeit erkannte.

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