Philosophieren und Fabulieren

Ursula Baus
28. September 2011

"Philosophie der Architektur" – ein solcher Titel macht neugierig: Wer nimmt ein solches Buch nicht mit gewisser Ehrfurcht in die Hand? Ludger Schwarte, an der Kunstakademie Düsseldorf lehrender Philosophieprofessor mit dem Schwerpunkt Bild- und Medienwissenschaft, thematisiert einführend einen Unterschied zwischen Architekturtheorie und -philosophie. Die Theorie sei nichts anderes als eine Ideologisierung der Architekturproduktion auf der Grundlage fragwürdiger Raumbegriffe. Als Kronzeugen dieser Auffassung sind Architekten von Vitruv bis Le Corbusier benannt. "Die Architekturphilosophie hingegen geht von einem umfangreicheren und ungewisseren Architekturbegriff aus; sie unterstellt nicht ohne weiteres, dass das Wesentliche an der Architektur das Planen und Ausführen von Gebäuden ist" (Seite 22). Hier darf man einwenden, dass das, was Vitruv oder Le Corbusier schrieben, eben keine "Theorie" war. Bei Vitruv mag man eine methodisch ambitionierte Lehre erkennen, aber bei Corbusier und nahezu allen anderen schreibenden, praktizierenden Architekten darf man nicht von Theorie, sondern nur von mehr oder weniger überzeugenden Manifesten reden. So jedenfalls machte es Ulrich Conrads 1975 mit Texten zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Ludger Schwarte spannt anschließend ein angemessen weites Begriffsfeld für Architektur auf – unverkennbar mit dem Interesse einer Politisierung von Architektur. Am Beispiel der französischen Revolution und der Orte und Plätze, an denen die Massen zusammenfanden, untersucht Schwarte den "öffentlichen Raum" in seiner Relevanz für ein offenes Architekturverständnis, in dem Unbekanntes ermöglicht und nicht vermeintlich Gewisses festgelegt wird.

Vermisst man bei den theoretisch-philosophischen Gedanken gelegentlich die poetische Kraft der Sprache, so empfiehlt sich stets der Blick in ein literarisches Meisterwerk. Andreas K. Vetter trug nun in einem broschierten Band Auszüge aus der Literatur zusammen, in denen es um den Innenraum geht. Zeitlich sortiert, beginnt das Panorama vor 1800 und endet 2009; es versammelt Autoren wie Sir Walter Scott, Karl May, Theodor Fontane oder Paul Auster mit ein- bis vierseitigen Textpassagen. Wunderbar zu lesen – man nimmt die Anthologie gewiss immer wieder gern in die Hand. Zur Leseprobe geht's hier. ub

Ludger Schwarte: Philosophie der Architektur. Wilhelm Fink Verlag, München 2009, 381 Seiten, ISBN 978-3-7705-4791-3, 39,90 Euro.
Andreas K. Vetter (Hg.): raumtexte. Eine Anthologie zur literarischen Innenarchitektur. Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2011, 370 Seiten, ISBN 978-3-89528-859-3, 24,80 Euro.

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