Objekte der Begierde

Christian Holl
6. Juni 2012
Cluster in the Air, 1962, nicht realisiert, Modell vor 1982, Arata Isozaki. (Bild: DAM, Hagen Stier) 

Es soll überzeugen. Es dient als Entwurfswerkzeug. Es erlaubt, architektonische Vorstellungen jenseits möglicher Realisierung zu formulieren. Es soll Begierden wecken und verleiht der Begierde Ausdruck und Form. Das Architekturmodell ist, so der Untertitel der Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum DAM "Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie". Annähernd 1.000 Modelle sind in Frankfurt zu sehen. Etwa ein Drittel davon stammt aus dem hauseigenen Archiv, manche werden das erste Mal präsentiert, wurden auf Dachböden oder in Speditionen aufgespürt. Für die beeindruckende Schau hat man es sich gegönnt, seit langem wieder alle Räume des Hauses für eine Ausstellung zu nutzen.
Dabei geht es um das Architekturmodell der Moderne, also des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei die meisten Exponate aus der Nachkriegszeit stammen und bis zu Arbeiten jüngerer Architekten der Gegenwart reichen. Eingeleitet mit einer "Vorgeschichte" aus Fotos von exemplarischen Modellen in Originalgröße, die vor dem 20. Jahrhundert entstanden sind, öffnet sich dem Besucher über drei Geschosse eine beeindruckende Sammlung, die die Architekturmodelle nicht lediglich als Medium, als Vermittler vermeintlich eigentlicher Architektur, sondern als eigenes Objekt untersucht. Das wird besonders plausibel bei jenen Modellen, die gebaut wurden, ohne dass je die Chance oder die Absicht der Verwirklichung des Entwurfs bestand, sie sind eigene Experimente der Auseinandersetzung mit Architektur, des Forschens danach, was Architektur sein kann. So hat Mies van der Rohe am Entwurf für das Resor House im Modell weitergearbeitet, auch als das Projekt schon nicht mehr realisiert werden sollte. Große Modelle der Stadtutopien aus den 1960er Jahren manifestieren erst den Glauben, die Komplexität der Stadt beherrschen zu können.

Aber auch in anderer Hinsicht ist die Konzentration auf den Objektcharakter des Modells aufschlussreich. Erstaunlich viele Modelle wurden nur gebaut, um Fotos davon machen zu können – ein Grund dafür, dass in der Moderne soviel mehr Modelle gebaut wurden, als je zuvor. Als Erkenntnistechnik haben Modelle eigenständigen Wert, ebenso wie als Interpretationen des Kontextes: Die Hängemodelle von Frei Otto dienen der Formfindung, das Modell für Melun-Senart von Rem Koolhaas/ OMA ist eine suggestive Darstellung des Raumverständnisses, das dem Entwurf zugrunde liegt und mit so konditionierter Wahrnehmung diesen wiederum bestätigt.
Als Fetisch verstanden werden jene Modelle, die als eigenes Objekt überhöht wurden, sei es, dass Aldo Rossi mit einem Kupfermodell die Bauaufgabe des einfachen Wohnungsbaus in Wert setzt, sei es, dass die Nachbildung des Originals bis in die akribische Materialtreue hinein den Stolz über das Mögliche und das Geleistete zum Ausdruck bringt – so etwa bei Hochhäusern der Nachkriegszeit wie dem Lever House von SOM.
Demgegenüber steht die von Axel Schultes und Charlotte Frank entwickelte und bis zur Perfektion getriebene Technik des Modellbaus aus Hartschaumplatten; diesen Exponaten ist ein eigener Raum gewidmet, um die mit diesen Modellen geleistete Arbeit mit dem Licht im Raum, die Schultes und Frank so wichtig war, nachvollziehbar machen zu können.

Bei der Arbeit für die Ausstellung hat sich das Team um Kurator Oliver Elser intensiv mit der eigenen Sammlung auseinandergesetzt, so dass die ein oder andere Überraschung nicht ausblieb. Beispielsweise hatte man bislang nicht gewusst, dass das Gipsmodell von Mendelsohns Einsteinturm kein "Originalmodell", sondern eines ist, das frühestens in den 1950er Jahren entstanden sein konnte. Auch war den Mitarbeitern des Museums nicht immer bekannt, welche Modelle geöffnet werden können und einen Einblick in ausgearbeitete Innenräume gewähren – so etwa bei dem als Koffer gefügten Modell des Hauses am Checkpoint Charlie von Elia Zanghelis und Rem Koolhaas/ OMA. Auch jeder Besucher wird überraschende Entdeckungen machen – diese Ausstellung sollte man nicht versäumen.

Bis zum 16. September 2012.
Der 360 Seiten starke Katalog ist bei Scheidegger & Spiess/ Zürich erschienen, er kostet in der Ausstellung 49 Euro.

Haus mit Vorhängen, nicht realisiert, Modell 1972. Architekt: Raimund Abraham (1933-2010). (Bild: DAM, Hagen Stier) 
Wettbewerbsbeitrag Neues Museum, Berlin, nicht realisiert, Modell 1994. Architekten: Axel Schultes und Charlotte Frank, Berlin. (Bild: Schultes Frank Architekten) 

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