Mehr Gestaltung, weniger Verkehr

Maren Harnack
13. Juni 2012

Gerade erst hat der Club of Rome wieder mit erschreckenden Nachrichten zur Zukunft unseres Planeten im Allgemeinen und zum Klimawandel im Besonderen unser schlechtes Gewissen aktiviert. Weil wir aber dennoch insgeheim hoffen, dass man die Welt auch ohne Verzicht retten kann, sofern man nur die richtige Technik findet, hat das Thema Infrastruktur gerade Hochkonjunktur. Am offensichtlichsten wird der Handlungsbedarf im Straßenverkehr, dessen negative Einflüsse im Alltag unmittelbar zu spüren sind – sei es als Nutzer, der einen Gutteil seiner Zeit im Stau oder mit der Parkplatzsuche verbringt oder als von Lärm, Dreck und physischer Gefährdung betroffener Fußgänger oder Radfahrer. In seinem Buch Urbanismus und Verkehr zeigt der Kasseler Verkehrsplaner Helmut Holzapfel detailliert, wie die strukturelle Bevorzugung des Autos (und später des Flugzeugs) sich gegenüber langsamen Verkehrsteilnehmern entwickelt hat und wie sie sich trotz aller guten Absichten immer wieder reproduziert. Nun ist Holzapfel nicht gerade als Freund das Automobils bekannt, und so überrascht es wenig, dass er als einziges Mittel gegen die immer weiter fortschreitende Zerstörung von Städten und Landschaften durch ausufernde Mobilität die konsequente Entschleunigung sieht, wie sie etwa die Slow-Cities-Bewegung betreibt. Wie auch immer man dazu stehen mag: Die historische Herleitung ist auf jeden Fall ein großer Gewinn, weil sie die Mobilitätskritik aus der Ecke der verschrobenen Asketen herausholt.

Weit über den Verkehr hinaus gehen die Betrachtungen in dem von Katrina Stoll und Scott Lloyd herausgegebenen Buch Infrastructure as Architecture. Die Herausgeber sehen Infrastruktur als zukunftsentscheidende Aufgabe an und plädieren dafür, dass Architekten als Gestalter eingreifen sollten. Nicht um von anderen geplante Infrastrukturen nachträglich aufzuhübschen, sondern um die Welt durch neue Infrastrukturen entscheidend zu beeinflussen. Hier ist vor allem der theoretische Ansatz anregend: In fünf Gruppen (Infrastructure Economy, Infrastructure Ecology, Infrastructure Culture, Infrastructure Politics und Infrastructure Space/ Networks) werden Ideen und Projekte präsentiert, die sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen mit Infrastruktur auseinandersetzen: konzeptionelle Ansätze zum Verständnis von Infrastruktur, praktische Projekte und unrealisierbare Entwürfe. Das Niveau der Reflexion ist dabei höchst unterschiedlich und reicht von naiv (im Beitrag von MVRDV, die der fragwürdigen Hoffnung nachgeben, mit Technik ließe sich die Ressourcenknappheit doch noch irgendwie ohne Verzicht in den Griff bekommen) bis hin zu scharfsinnigen Analysen (im Beitrag von Alexander d'Hooghe, der die Zusammenhänge zwischen geschichtlichem und aktuellem Umgang mit Infrastrukturprojekten neu sortiert).

Infrastruktur in der Landschaft. Eine baukulturelle Herausforderung dokumentiert eine Expertenwerkstatt, die im Rahmen des gleichnamigen ExWoSt-Forschungsprojekts stattgefunden hat und behandelt die baukulturelle Wertschätzung von Infrastruktur. Dabei scheint der Wert guter Gestaltung bei allen Beteiligten unstrittig zu sein. Viel interessanter als weiteres Lamentieren über die geringe Wertschätzung guter Gestaltung ist daher auch der hier vertretene Ansatz, praktische Wege zu suchen, die es den Verantwortlichen leichter machen können, die Kosten von guter Gestaltung zu vertreten. Gerade in Zeiten allgemeinen Sparens könnte dadurch die unterentwickelte Baukultur gehoben werden.

Andere Artikel in dieser Kategorie