Last Minute

Ursula Baus
12. Dezember 2012
Neustreelitz, (Bild: Gerry Johansson, micamera) 

Mit leeren Händen vor leeren Wänden? Wer im letzten Moment noch etwas Schönes zum Verschenken sucht, was auch dauerhaften Wert haben soll, landet nicht bei Krawatte und Socke. Schon am Weihnachtsabend landet die Soße auf der neuen Krawatte, und nach dem Marsch durch den Neujahrsschnee ist ein Loch im Strumpf. Als Architekturjournalisten müssen wir deswegen darauf hinweisen, dass es Alternativen gibt. Die Mailänder Galerie micamera zeigt zum Beispiel bemerkenswerte Fotografien aus Deutschland von Gerry Johansson, aufgenommen in Städten und ländlichen Regionen zwischen 2005 und heute. Dazu gibt es auch ein Buch – die Fotos überzeugen durch den "seducent and melancholic use of black and white". In Mailand werden sie übrigens im Rahmen des Fotofestes SI Fest #21gezeigt.

Wolfram Janzer: Sammlung Brandhorst, München. Auflage 5/5, Pigmentdruck auf Hahnemühlen-Photorag, Format 40 x 40 cm, 750,00 Euro inkl. MwSt. 

Die Stuttgarter Architekturfotogalerie f75 zeigt vom 20. bis 22. Dezember – wirklich: last minute – ihre Jahresverkaufsausstellung. Wer an diesen Tagen keine Zeit hat, um vor Ort die Auswahl zu treffen: Unter f75-online gibt es alle Motive zu sehen, dort sind sie auch sofort zu kaufen. Die Architekturfotografenprominenz ist bestens vertreten: Wolfram Janzer (siehe links), Daniel Fuchs, Klaus Frahm, Dieter Leistner, Dirk Brömmel, Claudio Zanon und viele andere. Aber James Joyce soll mal gesagt haben: "Früher hatte ich Bilder sehr gern. Heute genügt mir ein Nagel an der Wand". Ein Interieur nur mit Nägeln an der Wand? Will man sich doch auch nicht vorstellen ...

Carlo d'Orta: Spiegelungen, Auflage 11 + 1, Hahnemühle Photorag auf Aludibond, Format 30 x 30 cm, 250,00 Euro inkl. MwSt. 

Bei der DVA, deren Architekturbuchsparte spärlich geworden ist und die gelegentlich keinen Wert auf gute Fotografien legte, erschien gerade ein Buch über "100 legendäre Einrichtungen des 20. und 21. Jahrhunderts" von Dominic Bradbury: ein so genanntes Kaffeetisch-Buch, das aber doch länger anschauens- und lesenswert ist als man an einer latte macchiato schlürft. Ein bisschen voyeuristisch werden Wohnungen von mehr oder weniger bekannten Menschen gezeigt, die immer wieder beweisen, dass man über Geschmack lieber nicht in Streit geraten sollte. Erstaunlich bombastisch ist das Appartement von Coco Chanel (um 1920), stilrein die Hollyhock House von Frank Loyd Wright (1921), überraschend geschmackvoll lebte Dolores del Río 1931 in Los Angeles. Hinreißend schöne Wohnräume aus den 1930er bis 70er Jahren (Haus Schminke von Hans Scharoun, Haus Sonneveld von Brinkman + Van der Vlugt, Lina Bo Bardis Haus in Sao Paulo, Dieter Rams' Haus in Frankfurt) sind Highlights des Buches, das chronologisch aufgebaut ist. In der Gegenwart schwächel es und gleicht dann einer "Schöner-Wohnen"-Auswahl, die mit architektonischem Anspruch nicht mehr so viel zu tun hat.

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