Kühne Thesen und letzte Worte

Christian Holl
30. Januar 2013
Siegreich in Berlin: Wettbewerbsbeitrag von bbz landschaftsarchitekten für die Freiräume, die das Humbodt Forum umgeben werden. (Bild: bbz landschaftsarchitekten) 

Soviel Architektur war nie, hatten wir Anfang des Jahres verkündet. Es scheint keine Eintagsfliege gewesen zu sein. Albert Speer (FAZ vom 26. Januar) macht die Fehler in Berlin-Brandenburg am Projektbeginn aus: "Das eigentliche Übel liegt darin, (...) dass zu wenig Zeit und Geld in die Vorbereitungen investiert werden." Christian Thomas genießt den Besuch des Dudler-Baus, der mit dem DAM-Preis für Architektur in Deutschlandausgezeichnet wurde, die Süddeutsche entdeckt das Frankfurter Bahnhofsviertel als Gästezimmer und "Deutschlands kleinstes Soziallabor". Wer hätt's gedacht? Auch einst verrufene Puff-Viertel lassen sich schon gentrifizieren. Harald Hordych empfiehlt hingegen am 26. Januar, ebenfalls in der Süddeutschen, Frankfurt als Modell für die vermeintlich unausweichliche Verdichtung der Innenstädte. Wegen der Hochhäuser. Nicht wegen der Mietpreise, die sind in Frankfurt trotz hoher Häuser höher als in fast allen anderen deutschen Städten. Ach, erfrischende Naivität, hätte ich dich wieder. Es sei "für viele Experten unstrittig", "dass Menschen am umwelt- und ressourcensparendsten in Häusern untergebracht werden, die zwischen 200 und 300 Meter hoch sind." Dass die Hochhäuser in Frankfurt Bürohäuser sind und für die, was auch sonst, "immer weiter ausfransenden Stadthaus" Wohnhäuser verantwortlich sind, scheint ihm kein "Experte" gesagt zu haben. Kühn. Kühn ist auch Timo Johns Behauptung, dass Jürgen Mayer H., der den Weg in die "vollkommen entrückte Gemütlichkeit weise" heute in einer Mustersiedlung à la Weißenhof ein "großer Platz sicher" sei (FAZ vom 23. Januar). 2013 drängende Fragen des Wohnens im Villenbau zu verorten, ist allerdings schon an der Grenze zum Zynismus.

Zum Thema Wohnen steht das Interessanteste wohl nicht immer auf den Feuilletonseiten. So wurde schon am 11. Januar von Markus Artz auf der Seite 2 der Süddeutschen unter der Überschrift "Supernova statt Sternstunde" das vom Bundestag beschlossene Mietrecht kommentiert. Vernichtend. Phantomprobleme wie Mietnomaden und Messis seien berücksichtigt worden. Artz: "Es fielen einem nun einige Probleme des Mietrechts ein, die man tatsächlich zum Gegenstand einer Reform hätte machen können." Die Frage der Schönheitsreparaturen, das Problem der Flächenabweichung gehörten dazu. "Sich der wirklichen Probleme zu widmen, wäre aber nicht so publikumswirksam", so Artz weiter. Ob die nach dem niedersächsischen Wahlkrimi vom 20. Januar neue Bundesratsmehrheit dran etwas ändert?

Denkmalgerecht und energetisch vernünftig: Iphofen, das Fachwerkhäuser und moderne Architektur zu bieten hat. Im Bild das Knauf-Museum von Böhm+Kuhn Architekten. (Bild: Knauf-Museum/ Gerhard Hagen)  

Niedersachsens ehemaligem Innenminister, Schünemann, der bei dieser Wahl kein Landtagsmandat mehr erhielt, bescheinigte die taz, wissenschaftlichen Wert: "Kurz: Schünemanns Wirken war auf nichts anderes aus, als den Beweis zu führen, dass Johannes Agnoli mit seiner These von der 'Transformation der Demokratie' so daneben nicht lag. Dass es nämlich der bürgerliche Staat selber ist, der dazu neigt, Freiheit und Demokratie einzuschränken." Freiheit und Demokratie: in Fortsetzung des Kommentars von Ursula Bausempfehlen wir dazu die Lektüre von Barbara Zehnpfennigs Text über Transparenz per Internet und Demokratie. Zehnpfennig fordert: "Durch entsprechende Bildungsanstrengungen dafür zu sorgen, dass es Menschen gibt, die Vernunft in das hineintragen, was in sich zunächst einmal ohne Vernunft ist."

Und sonst? In Berlin hat man beschlossen, den Platz am noch zu errichtenden Humboldt-Forum von bbz landschaftsarchitekten planen zu lassen. Ob angesichts der Entwicklung anderer Großprojekte diese eine Entscheidung ist, die auf Umsetzung hoffen kann, ist die andere Frage, ein wenig Zeit wird auf jeden Fall noch vergehen, bis ein Ergebnis zu beurteilen ist. Bis dahin dürfen die wirken, die auch hier lieber eine Rekonstruktion gewollt hatten, andere könnten sich dagegen wehren, dass ihrer Ansicht nach zu wenig Bäume vorgesehen wurden. Dabei ist dem städtischen Platz von bbz, ohne romantisierende "Früher war alles besser"-Klingelei in einheitlicher Bepflasterung von einer angenehmen Selbstverständlichkeit und die Verwirklichung zu wünschen.

Auch in Köln ist wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen: Die FAZ berichtete am 22. Januar vom steigenden Unmut über eine Wettbewerbsentscheidung. Im Oktober hatte das Leipziger Büro Zila den Wettbewerb "Erweiterung des Gymnasiums Kaiserin-Augusta-Schule und Städtebauliche Entwicklung des Georgsviertels" gewonnen. Das liegt allerdings direkt dort, wo das Stadtarchiv eingestürzt war. Die wache Kölner Bürgerschaft habe das Wettbewerbsergebnis als herbe Enttäuschung, wenn nicht als Affront gewertet. Zitiert wird die Erklärung der Initiative ArchivKomplex: "Die Chance, hier einen ganz besonderen Ort zu schaffen, der Geschichte und Erinnerung mit zukünftigem öffentlichen Leben und Austausch vital verbindet, wird durch eine banale Blockrandbebauung verspielt." Das klingt so, als wollten hier Menschen Vernunft in etwas hineintragen, auch wenn es sicher nicht zunächst ohne Vernunft gewesen ist.

Endgültig entschieden ist, nachdem sich um den geplanten Neubau für das Museum Sander am Südhang der Mathildenhöhe in Darmstadt erbitterter Widerstandentzündete, dass nun nicht neu gebaut wird, sondern das Museum seine Heimat in einem denkmalgeschützten Bau am Friedensplatz bekommen wird. Vorbei der Traum, denkmalgeschützten Unberührbaren dürfte auch mal frischer Wind um die Nase wehen.

Und die BAU ist, auch wenn sie nicht traumhaft gewesen ist, ebenfalls vorbei. Die dort ständig diskutierte Frage, wie richtig energetisch zu sanieren sei, hat Arnold Bartezky in der FAZ am 22. Januar aufgegriffen. "Die Energiewende bringt ganz Deutschland eine Invasion der Hässlichkeit", steht dort. Schnarch. Woher sie eingewandert ist, die Hässlichkeit, steht dort nicht, aber Bartezky wendet sich zum Glück direkt dem konkreten Fall zu, der Alternative – er hat sie in Iphofen und anderen Ortschaften Unterfrankens gefunden: statt grassierendem Aktionismus "denkmalgerechte, selbstorganisierte Energieversorgung aus lokalen Ressourcen", dazu die Unterstützung der TU München; bis zur Standtortwahl von Windrädern reicht das Engagement. Wenn das keine Exkursion wert ist. Man kann ja nicht immer nach Venedig fahren.

Das wird man 2014 wieder müssen. Und so tragen wir zum Schluss noch nach, unter welchen Titel Koolhaasseine Biennale stellt: "Fundamentals". Es geht um Fundamentales, nicht um Fundamentalisten: um Architektur, nicht um Architekten. Da wir erwarten, dass Koolhaas Erwartungen unterlaufen wird, lassen wir uns nicht darauf ein, darüber zu spekulieren, was man 2014 in Venedig sehen wird.

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