Integrales Zukunftsthema Mobilität

Christian Holl
21. September 2011
Die neue Mobilität wird die Stadt verändern – Planer und Architekten sollten Stadt, Architektur und Mobiliät als Einheit denken. (Bild: Hybrid Space Lab, 2010) 

Am 17. Oktober wird die Bundesstiftung Baukultur in Karlsruhe über Mobilität in einem öffentlichen Gespräch debattieren. "Wann ist Mobilität kultivierbar?" ist die Veranstaltung betitelt. Dass es in Zukunft um wesentlich mehr gehen muss, als im Geiste von Konzepten der Vergangenheit Bestehendes zu optimieren, hat Ursula Baus in der vergangenen Woche gefordert. Darum sollte es auch in Karlsruhe gehen, auch wenn die Frage, ob Mobilität kultivierbar sei, insofern missverständlich ist, als sie suggeriert, Mobilität sei grundsätzlich außerhalb des Kulturellen zu suchen, und müsse dann irgendwie in deren Sphäre überführt, "kultiviert" werden. Vielmehr ist doch der Umgang mit Fragen der Mobilität selbst durch das kulturelle Selbstverständnis der Gesellschaft geprägt. So wird in Lindau am Bodensee schon seit 1997 erwogen, den Bahnhof der Stadt von der Insel auf das Festland zu verlegen. Der Bahnhof, so die Bahn, könne dadurch Halt für Fernzüge bleiben, in der Altstadt auf der Insel böten sich Entwicklungsflächen, sowieso wohnen etwa 80 Prozent der Lindauer auf dem Festland. Eine Verlegung mag praktisch sein, getraut wird den Argumenten der Bahn allerdings nicht; gefürchtet wird, dass der Fern- gegenüber dem Nahverkehr bevorzugt wird. Der Widerstand der Mehrheit des Gemeinderats scheint sich aber auch aus dem Gefühl zu speisen, mit der Altstadt als symbolischer Repräsentanz der Gesamtstadt werde eben auch die Stadt als Ganzes entwertet. Die Bahn scheint tatsächlich aus Stuttgart 21 gelernt zu haben und bietet nun einen Kompromiss immerhin insofern an, als sie die Kombi-Lösung prüfen will: den Fernbahnhof auf das Festland zu verlegen, den Nahverkehrsbahnhof weiterhin auf der Insel zu belassen. Wer für zu erwartende Mehrkosten zahlen wird, so man sich dafür entscheidet, ist allerdings noch offen; die Bahn scheint davon auszugehen, dass dies zu mindestens zum größten Teil von den öffentlichen Kassen getragen wird.

Nicht immer muss es mehr kosten, sich auf kooperative Verfahren einzulassen; das zeigt sich am Neubau der Bahnstrecke Erfurt – Leipzig/ Halle. Der auf Betreiben von Jörg Schlaich eingerichtete Brückenbeirat und erstellte Brückengestaltungsleitfaden hat erwirkt, dass hier statt voluminöser Standardlösungen für die langen, flache Niederungen überspannenden Brücken elegantere, der Landschaft angepasste Entwürfe verwirklicht werden. Der Brückenträger selbst ist beispielsweise bei der etwa einen Kilometer langen Gänsebachtalbrücke statt 4,35 nur 3,00 Meter hoch. Materialersparnis und geringerer Aufwand bei Wartung und Instandhaltung wiegen Mehrkosten der Planung auf. Kultur zeigt sich auch hier innerhalb des Verständnisses von Mobilität – und deswegen ist Mobilität angesichts der zu erwartenden Herausforderungen der Zukunft gerade für Architektur und Städtebau eines der wichtigsten Zukunftsthemen. Wer selbst erleben will, was auf uns zukommt, der darf sich übrigens beim Bundesminister als Testfamilie bewerben, die in Berlin 15 Monate lang ein Energie-Plus-Haus mit Elektromobilität bewohnen darf. Man darf ein bisschen an die 1920er Jahre denken, als Architektur, Technik und kulturelles Verständnis zumindest in der Absicht noch untrennbar miteinander verbunden waren. Damals dachte man aber immerhin noch an die Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse auch weniger Begüterter – Technik war auch ein soziales Konzept. Dächte man auch daran hin und wieder, wäre das auch Ausdruck eines kulturellen Selbstverständnisses. ch

Neues Leben mit Elektromobiliät – das Modellhaus des Bundesministeriums. (Bild: BMVBS/ Werner Sobek) 

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