Gottfried Kiesow (1931–2011)

Christian Holl
16. November 2011
Gottfried Kiesow in Quedlinburg (Bild: Michael Maack, Deutsche Stiftung Denkmalschutz) 

Er vertrat die Meinung, dass Denkmalschutz keine Sache von Behörden und Ämtern, sondern der ganzen Gesellschaft sein müsse. Das heißt nicht, dass es Gottfried Kiesow gleichgültig gewesen wäre, wenn der amtliche Denkmalschutz entmachtet wurde. Im Gegenteil, es gehörte für ihn zusammen: der wissenschaftliche Zugang, die gesicherte und verlässliche Dokumentation, die denkmalgerechte Sanierung und die Akzeptanz in der Bevölkerung. 1985 gründete Kiesow die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die dort den Erhalt von kulturellen Zeugnissen der Baugeschichte sichern hilft, wo die Mittel der öffentlichen Hand nicht ausreichen. Mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz initiierte er den jährlich stattfindenden Tag des offenen Denkmals.
Baudezernenten wie Investoren hat er ins Gewissen geredet, ihnen gezeigt, dass sorgfältiges Bewahren nicht teurer sein muss als Abriss und Neubau. Er hat sich für große Kathedralen wie für unscheinbare Dorfkirchen in ganz Deutschland eingesetzt, er hatte mit unerschrockenem, tatkräftigen und raschem Handeln einen großen Anteil daran, dass heute die erhaltenen und sanierten Altstadtkerne der ehemaligen DDR zu den unbestrittenen Erfolgsgeschichten der Wiedervereinigung zählen, dass die Altstadt von Quedlinburg, dass Wismar und Stralsund inzwischen zum UNESCO Weltkulturerbe zählen. Seine Begeisterungsfähigkeit war beeindruckend, seine Beharrlichkeit bewundernswert, sein Kenntnisreichtum überwältigend.

Gottfried Kiesow, am 7. August 1931 in Alt Gennin (heute zu Polen gehörend) geboren, studierte in Göttingen Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Geschichte und Theaterwissenschaft. Dort wurde er 1957 promoviert. Nach einem Studienaufenthalt in Florenz und Anstellungen in Hannover und Braunschweig trat Kiesow 1966 in Wiesbaden die Stelle als hessischer Landeskonservator an; 30 Jahre lang bekleidete er dieses Amt. An der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main lehrte er Kunstgeschichte. Die Wiesbadener musste er erst vom Wert ihres historistischen Erbes überzeugen. Folgerichtig regte er später an, dass Wiesbadens Innenstadt in die UNESCO Welterbeliste aufgenommen wird. Er steuerte eine beträchtliche Summe für die Bewahrung der Ruine des Jagdschlosses Platte in Wiesbaden bei. Und als ob das alles nicht genug gewesen wäre, gründete er eine eigene Stiftung, die drei Denkmal-Akademien unterstützt. Hier wird das Wissen um alte Bauhandwerkstechniken weitergegeben. Kiesow erhielt 2000 das Große Bundesverdienstkreuz, war seit 2006 Ehrenbürger der Stadt Wiesbaden und wurde 2011 mit dem Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung ausgezeichnet.
In den letzten Jahren setzte er sich vermehrt dafür ein, dass das inzwischen bedrohte Erbe der 1950er und 1960er Jahre nicht verloren geht. Sein Erbe ist daher auch eine Verpflichtung, sich für den Erhalt vor allem jenes baulichen Erbes einzusetzen, das nicht ausreichend geschützt und dessen Wert nicht unmittelbar erkannt wird, das aber dennoch Teil der kulturellen Identität unserer Städte und Dörfer ist. Gottfried Kiesow ist am 7. November 2011 in Wiesbaden verstorben. ch

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