Erfindergeist an Universitäten

Simone Hübener
19. Oktober 2011
Die Pilotanlage, die Schelling Architekten entworfen haben, wurde vergangene Woche eröffnet. (Bild: Celitement GmbH/ Markus Breig) 

Als Produktionsstandort ist Deutschland in vielen Bereichen schon lange zu teuer. Die deutsche Wirtschaft lebt deshalb von Forschung und neuen Erfindungen, die dann in aller Herren Länder exportiert werden können – auch im Bereich des Bauwesens. Ein aktuelles Beispiel dafür ist ein umweltschonender Zement, den vier Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickelt haben. Für die Produktion der sogenannten Celitemente wird deutlich weniger Energie benötigt als für herkömmliche Zemente, der CO2-Ausstoß verringert sich um bis zu 50 Prozent – je nachdem, mit welchem Zement man den Vergleich anstellt. Dies liegt zum einen daran, dass der neue Zement bei einer Temperatur von nur noch 200 °C hergestellt werden kann. Im Innern des klassischen Drehofens herrscht eine riesige Hitze von bis zu 1.450 °C. Außerdem werden weniger kalkreiche Rohstoffe benötigt. Wenn man nun bedenkt, dass Portlandzement der am meisten verwendete Baustoff der Welt ist und allein die Zementindustrie für rund sechs Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, wird schnell klar, welche Tragweite die Entwicklung der Karlsruher Wissenschaftler hat. Vergangene Woche wurde auf dem Campus des KIT nun die Pilotanlage eröffnet, in der täglich 100 bis 150 Kilogramm Celitemente produziert werden. Bis mit Celitement allerdings Häuser, Brücken und andere Bauwerke errichtet werden können, gehen noch einige Jahre ins Land. Ab dem Jahr 2015 könnte man ihn in Spezialbaustoffen wie Putzen, Spachtelmassen, Mörteln, Fliesenklebern und Betonwaren finden, später dann auch im konstruktiven Beton. Bis dahin nutzen die Wissenschaftler des KIT und Mitarbeiter der Firma Schwenk Zement die Zeit, um den neuen Zement hinsichtlich Dauerhaftigkeit, Dichtigkeit, Druck- und Biegezugfestigkeit zu optimieren, die Vorgaben für eine bauaufsichtliche Zulassung zu erfüllen und EPDs vorlegen zu können.
An der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat man sich eines anderen, ebenso relevanten Problems angenommen: der Herstellung von Polysulfiden. Diese finden sich überall dort, wo Kunststoffe großen Temperaturschwankungen widerstehen müssen, beispielsweise als Dichtung in Verbundglasscheiben oder in Tanks von Flugzeugtragflächen. Der große Nachteil, den die heute übliche Produktion mit sich bringt, sind zahlreiche Nebenprodukte, die entsorgt werden müssen. Ökonomisch und ökologisch ist das Ganze also nicht sinnvoll. Einem Team aus Mitarbeitern des Instituts für Anorganische und Analytische Chemie der Jenaer Uni und AkzoNobel Functional Chemicals ist es im Rahmen des Forschungsprojekts "POLYS" nun gelungen, einen Syntheseweg für die Grundbausteine der Polysulfide zu entwickeln, bei dem keine schädlichen Nebenprodukte mehr entstehen, der Ertrag sehr hoch zu sein scheint und nur wenige Reaktionsschritte nötig werden. Doch auch hier gilt – analog zu den Celitementen –, dass sich in den kommenden Wochen und Monaten erst noch zeigen muss, ob dieses neue Verfahren für die industrielle Produktion geeignet ist. sh

Das Herzstück der Pilotanlage (Bild: Markus Breig) 
Vergleich der Bildungsenthalpien von Portlandzementklinker (links) und kalkreichem Celitement (rechts) pro Kilogramm aus den Rohstoffen. Die Energiebilanzen werden von der Entsäuerung des Kalks (rot) dominiert. (Grafik: Celitement GmbH) 

Vorgestelltes Projekt

ppp architekten + stadtplaner

Neubau Landesmuseum für Volkskunde Molfsee

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