Die Welten, in denen wir leben

Christian Holl
7. November 2012

James Bond kommt auch drin vor. Mehr noch: Bond ist als personifiziertes Ideal omnipräsent in Pornotopia – der elegante, weltgewandte Serienverführer, der sich aller neuer technischer Entwicklungen zu bedienen weiß, aber Junggeselle bleibt. Es ist das Männerbild, das Hugh Hefner entworfen, dem er eine Heimat geschaffen hat: Das Großstadtapartment, ausgestattet mit technischen Raffinessen, die ihm seine Unabhängigkeit sichern. Denn Hefner, Gründer und Herausgeber des Playboys, sei, so ist im brillanten Buch "Pornotopia" von Beatriz Preciado zu lesen, als Pop-Architekt zu begreifen, und das Playboy-Imperium als "multimediales Architekturbüro". Preciado belegt diese These in beeindruckender Gründlichkeit: Durch das Magazin Playboy wird eine ganze Welt imaginiert und erschaffen, in der der Mann sich als junger, urbaner und häuslicher Junggeselle seiner Freiheit und seinem Vergnügen widmen kann, ohne den Zumutungen der Vorort-Tyrannei von Haus, Garten und Zwei-Kind-Ehe ausgesetzt zu sein. Die Zeitschrift Playboy, die Selbstinszenierung Hefners, vor allem aber die mediale Verknüpfung von Innenarchitektur, technischer Utopie und Männlichkeitsstilisierung schuf einen massenkulturell wirksamen Zusammenhang, der für Design und Architektur von erheblichem Einfluss war.  "Pornotopia" ist ein uneingeschränkt zu empfehlendes Buch, man kann darin mehr über Architektur und Design erfahren als in den meisten der bunten Bildbände, die jährlich auf den Markt gespuckt werden. Architektur, so lehrt uns die Autorin, ist in einen Diskurs eingebettet, in einen Zusammenhang aus Diskursen und Gegendiskursen, der über die Architektur weit hinausweist – erst das erweckt sie zum Leben. Man kann so verstehen, dass "nicht die Glas-Zement-Ästhetik, sondern die massenmediale Öffnung des Privaten spezifisch modern war", aber auch, dass in Hefners erfolgreicher Strategie die Auflösung der Intimität und die Ausweitung der Überwachungstechnologie ebenso bereits angelegt sind wie architektonisch-mediale Fiktionen der disneyfizierten Städte.

So geschult, wird man sich nicht mehr wundern, wenn eine Reflexion und Positionsbestimmung des Designs am Anfang des 21. Jahrhunderts kein leichtes Unterfangen ist. Moralische Integrität des Produkts wie überschaubare Produktionszusammenhänge sind, sollte es sie je gegeben haben, perdu. Petra Eisele und Bernhard E. Bürdek versuchen trotzdem, "Diskurse und Perspektiven" zusammenzuführen. Und doch kann nicht wundern, wenn gerade der unerschrockene und aller Ehren werte Versuch gerade das illustriert, was Gerda Breuers in ihrem Beitrag vermutet: "Theorie- und Utopiemüdigkeit resultieren möglicherweise auch aus den nicht mehr eingrenzbaren Anwendungsgebieten von Design, den rapiden und ubiquitären Forschungsfeldern, die praxistauglich und kommunikabel gemacht werden müssen." Es ist nicht so, dass die über zwanzig Beiträge nicht lesenswert seien, im Gegenteil, die Ausführungen zum Retro-Design von Petra Eisele, über das Universal Design von Oliver Herwig oder über Ethnologie und Konsum von Hans Peter Hahn etwa sind es unbedingt. Und doch entwickelt sich aus den einzelnen Sichtweisen keine gemeinsame Perspektive, die es nahelegt, 2012 von dem Design zu sprechen, das als Diskursthema erkenntnisfördernde Zuspitzungen erlauben würde. Eher macht sich ernüchternde Ratlosigkeit breit – weil man noch nicht den Schritt wagt,  Design nicht mehr als Disziplin, sondern als Vermarktungshilfe und Distinktionschiffre des Gestaltens jeder beliebigen Art zu verstehen?
 

Vielleicht bleibt einem, zumindest vorerst, tatsächlich nichts anderes übrig, als zu fragen. Das scheinen sich die Herausgeber des "Visual Proposal" Design in Questiongedacht zu haben: Das kleine Buch macht in 360 Fragen anschaulich, wie widersprüchlich und weit sich all das, was man Design nennt, in unserem Alltag eingenistet hat. Gesammelt wurden die Fragen von der Elisava Escola Superior de Diseño in Barcelona; Vera Kockot und Ruedi Baur von Design2context haben sie im Buch dokumentiert. "Braucht man Design-Wissen, um Design zu nutzen?" wird dort etwa gefragt, "Designen oder Denken?" oder: "Ist Design Ästhetik oder Lösung?" Es geht bei diesen Fragen nicht darum, dass sie beantwortet werden, sondern darum, dass man sie stellen kann. Und dass sie als nicht beantwortete Fragen mehr aussagen, als es jeder Versuch einer Antwort könnte. Das ist zwar auch keine Lösung. Aber immerhin ein geistreiches Spiel. Muss Design mehr sein?

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