Das Land, sein Stromnetz

Ursula Baus
22. Juni 2011

"Herr, schütz' das Haus vor Staub und Schmutz, vor Feuer und dem Denkmalschutz." Ja, wenn wir etwas Bausubstanzielles ändern wollen, wird – mittlerweile einigermaßen grundlos – der Denkmalschutz gefürchtet, als seien er das Weihwasser und wir die Teufel. Aber umgekehrt ist es so, dass uns auch "Ideenwettbewerbe" oder Ähnliches mit Architektenbeteiligung in Angst und Schrecken versetzen können. So darf man das Denkmalschutzverschen etwas abwandeln und flehen: "Herr, schütz' das Land vor Not und Pein – und die Landschaft vorm Design!". Was also droht?
Die regierungsamtliche Energiewende fordert ihre Tribute. So werden die Bürger jetzt darauf vorbereitet, dass unser Stromnetz selbstredend ausgebaut werden muss, eine Menge Masten und Leitungen werden das Bild unserer vertrauten Landschaften verändern. Dabei hatte man sich längst an die baukonstruktiv und gestalterisch ansprechenden Klassiker gewöhnt, zumal sie nicht mit der Absicht entworfen wurden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch was aus dem angelsächsischen Raum in Sachen "Strommasten-Gestaltung" vermeldet wird, muss die Wachhundinstinkte der Architekturkritik wecken: Die Isländer preschten mit einem Wettbewerb voran, der links abgebildete Ergebnisse eintrug (von oben: Choi Shine Architects; Tony Leung; Arphenotype/Dietmar Koering; darunter noch ein der Mickey Mouse nachempfundenes Modell aus Kalifornien).
Was in Island recht sein mag, lässt uns hierzulande billig schaudern: Vermenschlichte Gitterkonstruktionen könnten sich als Albtraumfiguren in den Kinderseelen einnisten; haushohe Reifen locken womöglich die gefährlichen Tiger aus den Zirkuszelten, wo sie der kleinen, flammenden Springreifchen überdrüssig sind.
Die Briten (das Royal Institute of Architects) lancierten sofort einen Wettbewerb, um Alternativen zum Klassiker zu bieten, den Reginald Blomfield 1927 entworfen hatte. Teilnehmen kann man noch, siehe hier, wo ein Film nochmals den schönen Blomfield-Mast zeigt.
In hauruck ausgelobten Wettbewerben eine epochale Entscheidung zu treffen, mit der über Jahrzehnte die Landschaft grundsätzlich verändert wird, führt zu nichts Gutem. Vielmehr muss in Ruhe überlegt werden, ob eine dezente, technische Standardlösung überhaupt durch etwas ersetzt werden sollte, das attraktiv sein will. Oder ob die Masten besser einem Landschaftscharakter angepasst werden sollten. Schließlich geht es hier um einen öffentlichen Raum, der die Dimensionen des Städtischen räumlich und zeitlich sprengt und weder Energiekonzern-Interessen ausgeliefert, noch allein in die Hände gestaltungswütiger Architekten gelegt werden darf.
Zwischen Standard und individueller Gestaltung spannt sich ein weites Feld auf. Für die Strommasten könnte dies dem Zeitgeschmack entsprechend bedeuten: Modell Disney, Modell Berlin (Steinturm, Kannelüren, korinthisch anmutendes Kapitell), Modell Organic, Modell Hightech, Modell Rustikal (könnte neudeutsch baubotanisch heißen) und wer-weiß-was für ein Modell. Aber es bleiben die Zweifeln, ob der Variantenreichtum nicht doch in einer unseligen Kakophonie enden würde. ub

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