Common Ground

Claus Käpplinger
9. Mai 2012
Gehen Sie auf die Suche nach Architektur! Uithorn, Wuppertal, Schreberstraße und das Berliner Naturkundemuseum (Pressebilder: RRR / German Pavilion 2012)

Komplex, individuell und sehr facettenreich wird die 13. Architekturbiennale von Venedig werden, wenn man den Statements ihres Generalkommissars David Chipperfield glaubt. Der Brite präsentierte gestern (8. Mai 2012) mit viel Verve in Berlin sein Konzept für die bedeutendste Architekturausstellung der Welt. Erfrischend offen erzählte er, der in politischen Wirren Italiens sehr kurzfristig zum Generalkommissar ernannt wurde, von der Last und Lust, eine Biennale zu organisieren.
Ihren Titel und Thema "Common Ground" habe er provokativ gewählt, um die Rolle von Architektur und der Architekten in der Gesellschaft zur Diskussion zu stellen, die sich in den letzten Jahrzehnten zu Ungunsten der Öffentlichkeit immer stärker zu den privaten Bauherren orientiert hätten. Die Doppeldeutigkeit des englischen Wortes, das einerseits etwas Physisches, nämlich den gemeinsamen Boden und damit Raum benenne, andererseits im politischen Diskurs aber auch die Schnittmenge unterschiedlicher Positionen bezeichne, richte dagegen wieder den Blick auf die Basis der Architektur, auf durchaus kontroverse Architekturideen, Aufgaben und Rezeptionen jenseits der wenigen privilegierten Kulturbauten der Gegenwart.
Auf der Suche nach dem Gemeinsamen in der Vielfalt wandte sich Chipperfield mit der Frage "Was können wir heute noch teilen?" an etwa 20 Bekannte unterschiedlicher Raumprofessionen, die ihm in einer Art von Schneeballsystem weitere Akteure und Ideen nannten. Nur einer lehnte eine Antwort ab, und nur der Chinese Wang Shu zog seine Zusage wieder zurück, nachdem er zum diesjährigen Pritzker-Preisträger gewählt worden war. Von 58 Auserwählten zogen es aber nicht wenige wie Adam Caruso oder Robbrecht-Daem vor, jüngeren Architekten als eine Art von Mentoren zu dienen oder sich mit Künstlern und Fotografen zusammen zu tun, so dass die Biennaleliste nun mehr als 100 Teilnehmer aufführt.
Unterschiedliche Generationen, Blickwinkel und Themen werden auf der Biennale aufeinander treffen. Von einem Pilgerweg über die Stadterneuerungsprojekte der Aga Khan Development Networks in Kabul und Kairo bis hin zu Stadtvisionen Hans Kollhoffs und seiner Zürcher Schüler oder Thomas Demands Rauminstallationen soll das Spektrum reichen. Große Namen wie Rem Koolhaas, Roger Diener, Peter Eisenman. Luigi Snozzi, MVRDV oder Alvaro Siza sind ebenfalls gut vertreten, wenngleich schon sehr überrascht, dass Franzosen völlig fehlen. An ihre Stelle traten in großer Zahl Schweizer, Briten und Spanier, die sich sehr überraschende Sichtweisen auf ihre Bauten im gesellschaftlichen Raum einfallen ließen. So werden etwa junge arbeitslose spanische Architekten als lebendige Stelen und Informationssysteme für die Modelle der interessantesten Museumsräume Spaniens dienen, was für Zündstoff sorgen werden wird.
Es stellt sich schließlich die Frage, ob man in Chipperfields propagierter, großen Vielfalt am Ende noch das Gemeinsame, den "Common Ground" erkennen kann. Auf eine Themengliederung wird verzichtet, Videointerviews soll es ebenso nicht geben. David Chipperfield will dagegen ganz auf die Kraft des Gezeigten und der individuellen Blickwinkel vertrauen, doch seine Biennale verspricht die Präsentation eher leiser Stimmen und komplexer Wechselwirkungen, die sich wohl nicht Jedem auf Anhieb erschließen werden. Nicht weniger als zu einem wahren Abenteuer lädt er jedoch ein, weit entfernt von den medialen Bilderwelten und Scheinwahrheiten früherer Biennalen.

Und die Deutschen?
Auf deutlich mehr Skepsis stieß die Präsentation des Deutschen Pavillon-Konzepts durch Muck Putzet und Konstantin Grcic. Unter dem ehrenwerten Titel "Reduce-Reuse-Recycle" wollen sie für einen möglichst ressourcenschonenden Umgang mit Altbauten werben, so als ob dies hierzulande nicht schon in den letzten 20 Jahren mit wachsender Intensität und Relevanz vorangetrieben worden sei. Verdächtig oft schlich sich in ihre Erklärungen Alltag und die Entdeckung des Alltäglichen ein, das eigentlich kaum verändert erhalten werden müsse, was den eigentlichen Kern ihrer Botschaft freilegte. Offenbar wollen die Beiden sich weniger mit den konkreten Qualitäten des Alten und den Möglichkeiten seiner Transformation auseinandersetzen als die Auratisierung des Vorhandenen unter dem Vorzeichen "Less is more" vorantreiben.
Dazu dienen ihnen vor allem ihre Auswahl von Projekten sowie deren fotografische Erfassung durch Erica Overmeer, die ganz in der berühmten Düsseldorfer Becher-Schule zu stehen scheint. Menschenleer, frontal bei milchigem Himmel fotografiert, erhebt sie Gebäude und Situationen völlig losgelöst von Nutzung und Raum zu Monumenten ihrer selbst,  die kaum oder nur auf den zweiten Blick eine bauliche Veränderung erkennen lassen. Durchweg banal und zugleich dennoch gerade in ihrer Unscheinbarkeit ambitiös erscheinen so die ersten vorgestellten Projekte, die wohl kaum ein internationales Publikum lange im Deutschen Pavillon halten dürften. Äußerst sparsam mit Erklärungen, kann man nur hoffen, dass der versierte Recycling-Designer Grcic noch eine Überraschung in der Hinterhand behält, die Inhalt und Form des deutschen Beitrags noch weiten kann und nicht derart auf eine ästhetische Haltung und Sichtweise reduziert. Was verbal als sozial und nachhaltig verkauft wird, könnte sonst am Ende nur eine Einbahnstraße in die Kunst bedeuten, quasi ein dialektischer Trojaner für die Relevanz von Architektur heute.

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