An der Partei vorbei

Ursula Baus
9. Februar 2011
Von oben: Frédéric Chaubin; Polytechnische Universität in Minsk (W. Anikin/I. Jesman, 1983); Café Poplakow, Dnjepr, Ukraine, 1976; Sommerresidenz des Präsidenten des Obersten Sowjets von Armenien, Sevansee, 1976 

Als Ort bemerkenswerter Architekturausstellungen ist das Museum für neue Kunst in Karlsruhe bislang nicht bekannt geworden, aber was nun bis zum 27. März im 1. Obergeschoss (im ZKM-Bau) zu sehen ist, lohnt den Weg ins Badische auf jeden Fall. Der französische Fotojournalist Frédéric Chaubin reiste seit 2003 mehrmals nach Osteuropa und entdeckte vor allem in den zentrumsfernen Regionen Russlands, in ehemaligen Sowjetrepubliken fantastische Bauwerke aus den 1970er und 80er Jahren. Mit der staatlich verordneten Sowjetarchitektur haben diese Häuser kaum etwas zu tun, vielmehr entdeckt man einen Formen- und Konstruktionsreichtum, den man hierzulande so nicht kennt.
Interpretiert wird diese Architektur als Indiz für den Zusammenbruch des Sowjetstaates, Chaubin sucht nach vielen Einflüssen aus der russischen Moderne, westlichen Vorbildern, individueller Kreativität. Gewiss darf die Architekturgeschichtsschreibung zur Kenntnis nehmen, dass ihr ein wichtiges Kapitel des 20. Jahrhunderts schlichtweg entgangen ist.
Expressive Auskragungen, Stapel riesiger Baukörper, weitgespannte Kuppeln, üppig dekorierte Interieurs – und alles mit unglaublich viel Platz drumherum: Die Weite des Landes erschließt sich mit diesen Architekturfotografien eindrucksvoll. Die Bauwerke und Denkmäler überraschen einerseits mit monströsem Ausdruck und gewaltiger Dimension, andererseits auch mit heiterem Ambiente oder grotesker, bisweilen sogar komischer Gestik.
90 Fotos von Frédéric Chaubin werden in Karlsruhe unter dem Titel CCCP – Cosmic Communist Constructions Photographed gezeigt. Die allermeisten Bauten sind in schaurigem Zustand, verfallen, werden nicht benutzt und nicht gepflegt. Den lädierten Zustand der Architektur inszeniert Chaubin in menschleeren Bildern mit blassem Himmel und fahlem Licht – tatsächlich interessieren den Fotografen, der 15 Jahre lang Chefredakteur des französischen Lifestyle-Magazins Citizen-K war, mehr die Vanitas-Motive als die Bauten selbst. So dominiert der Eindruck, dass viele der Bauten alsbald verschwunden sein werden – wenn man mal "in der Nähe" ist, sollte man den ein oder anderen Umweg nach Moldawien, Taschkent, in den Kaukasus, in die Ukraine, nach Minsk, Armenien oder Nowgorod in Erwägung ziehen. Es gibt viel zu entdecken. ub

Parallel zur Ausstellung erschien im Taschen Verlag ein Buch mit weiteren Fotografien und Texten Chaubins: Frédéric Chaubin, Cosmic Communist Constructions Photographed, Hardcover, 26 x 34 cm (10.2 x 13.4 in.), 312 Seiten, 39,99 Euro, ISBN 978-3-8365-2519-0.
Dazu Wolfgang Kil: "Ernsthaft gefährdet sind etliche der Bauwunder, die Frédéric Chaubin in seiner (etwas albern betitelten) Erfolgspublikation CCCP – Cosmic Communist Construction Photographed  versammelt hat. Das Buch eröffnet tatsächlich eine überraschend neue Perspektive auf das Bauen der späten Sowjetunion – da sei ihm der wenig fachkundige Text nachgesehen. Dessen spekulativen Bemühungen, für all die rätselhaften „Raumschiffe“ zwischen litauischen Wäldern und kaukasischen Bergeshöhen eine Erklärung zu finden, müssen ja einschlägige Kenner realsozialistischer Planungs- und Bauwirklichkeit schnurstracks auf den Plan rufen, um zu ergründen, wie in der bleiernen Zeit der Breschnew-Stagnation ausgerechnet die ausgeflippten Fantasy-Kulissen der James-Bond-Filme zum architektonischen Aushängeschild erblühen konnten."

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