Unter der Tonne

Thomas Geuder
10. Juni 2014
Der Archivflügel des Karlsruher Stadtarchivs hat eine Aufstockung erhalten, die sich von der historischen Bausubstanz abgrenzt und doch diese maßstäblich ergänzt. (Foto: Atelier Altenkirch)

Das Gebäude des heutigen Karlsruher Stadtarchivs hat eine bewegte Geschichte hinter sich: 1906 wurde es als städtische Pfandleihe erbaut, bestehend aus einem öffentlichen Gebäudeflügel mit repräsentativer Fassade und Satteldach sowie einem zum Innenhof ausgerichteten, etwas einfacher gestalteten Magazintrakt mit flach geneigtem Dach mit Stehfalzdeckung. 1942 wurde die Pfandleihe geschlossen und das Gebäude bis zum Kriegsende von der NSDAP genutzt. Obwohl es im 2. Weltkrieg kaum Schaden nahm, fand sich zunächst keine geeignete Verwendung. In den 1960er Jahren im Zuge des teilweisen Abrisses der Karlsruher Altstadt und der folgenden Stadtteilsanierung drohte deshalb auch mehrmals der Abriss, was die Nutzung durch die benachbarte Gewerbeschule sowie das in den 1980er Jahren einsetzende Umdenken im Umgang mit historischer Bausubstanz jedoch verhinderten. So fiel 1987 die Entscheidung, das Gebäude zum Stadtarchiv umzubauen, was schließlich bis 1990 umgesetzt wurde. 2013 nun erfolgte die Aufstockung des Magazinflügels um zwei Stockwerke, durchgeführt vom Architekturbüro Eisemann aus Karlsruhe. Die von den Architekten vorgeschlagene Lösung scheint zu vollenden, was bis dato unvollendet schien: Das Gebäude erhält als oberen Abschluss ein halbtonnen-förmiges Dach mit Titanzink-Deckung, was vom Material her auf den Bestand verweist und formal seine Eigenständigkeit proklamiert. Insgesamt 12 Fenstergauben schneiden plastisch in die Dachform ein und übernehmen den Rhythmus der Lochfassade des altehrwürdigen Bauwerks. Sie bestehen aus einer innen- und einer außenliegenden Zarge, durch das Fensterelement thermisch getrennt. Im Sinne des Denkmalschutzes war es geboten, den Eingriff in die historische Bausubstanz zu minimieren und etwa die Rückkühlgeräte der Klimaanlage zur Temperierung der Archive in der Aufstockung unterzubringen. Mit dem Umzug der Mitarbeiter vom 2. Obergeschoss des Magazintrakts in die Aufstockung konnten 1.400 laufende Meter Regalfläche geschaffen werden.

Das Dachtragwerk besteht aus 5 Bogenbindern, gewalzt auf einen Radius von 4850 Millimetern, die mit durchlaufenden Verbindungsrohren gekoppelt sind. (Foto: Daniel Vieser)

Aufgrund der begrenzten Tragfähigkeit des Bestands wurde die Aufstockung nicht als Massivbau, sondern als leichter Stahlbau entwickelt. Die Konstruktion besteht aus einem vorgefertigten Stahlskelett mit fünf Bogenbindern, auf denen Trapezprofiltafeln als Tragschale für Dach und Zwischendecke befestigt werden. Die einachsig leicht verformbaren Trapezprofiltafeln sind für die Form des Tonnendachs besonders geeignet. Im Innenraum ist das gesamte Tragwerk sichtbar und prägt so maßgeblich den Charakter der Büros der Stadtarchivare, ebenso wie die vorherrschende Farbe Weiß, eine Sonderfarbe in RAL 9003 Signalweiß. Die meist harten Oberflächen von Decke, Wand und Fußboden würden normalerweise zu einer unangenehmen Raumakustik führen, da sie den Schall ungedämpft reflektieren würden. Platz für gesonderte Akustiksegel oder ähnliche schallabsorbierende Elemente war nicht, und so haben die Architekten den Schallschutz quasi in der Decke versteckt: Sämtliche Trapezprofile (Hoesch) sind mit einer Steglochung versehen, hinter der mineralische, vlieskaschierte Sickenfüller (Rockwool mit einer Materialstärke von 40 mm) für die nötige Schallabsorption sorgen und so zur Sprachverständlichkeit im Raum einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Sicken der Trapezbleche dienen außerdem als Installationsraum für die Zuleitungen der Deckengeräte wie Leuchten und Brandmelder. Speziell entwickelte Langfeldleuchten fügen sich elegant in die Hochsicken und sorgen so für eine in Längsrichtung verlaufende Grundbeleuchtung. Verbunden sind die beiden neuen Stockwerke übrigens durch eine geradläufige Trog-Treppe aus vollverschweißtem Stahlblech, die nicht nur der Erschließung dient, sondern auch der Längsaussteifung der gesamten Aufstockung.

Im Prinzip besitzt das Gebäude eine L-Form, mit repräsentativem Flügel zur ehemaligen Schwanenstraße und Archivflügel zum Innenhof. (Foto: Daniel Vieser)
Zur Süd-Westseite sind die neuen Büroräume mit einem horizontalen Sonnenschutz versehen, der sich partiell aufklappen lässt. (Foto: Daniel Vieser)
In der Queransicht gut zu sehen: Die Lochung in den Stegen der Trapezprofilbleche. (Foto: Daniel Vieser)
Lageplan
Grundriss 7. Obergeschoss
Grundriss 6. Obergeschoss
Isometrie der Konstruktion und Detail Querschnitt Tonnendach
Die Lochung befindet sich in den Stegen des Hoesch-Trapezprofils und muss vom Planer mit der für die Bedingungen passenden Akustikdämmung hinterfüttert werden. (Foto: Hoesch Bausysteme GmbH)
Aus Trapezblech mit Steglochung besteht auch die Zwischendecke, die auf insgesamt sechs Stützen ruht. (Foto: Daniel Vieser)
Tragende Schale sind Trapezblechprofiltafeln, darauf verschraubte, gebogene Brettschichtholzträger in der Dämmebene verbinden die äußere Dachschale mit dem Trapezblech. (Foto: Daniel Vieser)
Das Karlsruher Stadtarchiv vor dem jüngsten Umbau möchten wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten. Ohne Tonnendach mag man sich dieses Gebäude gar nicht mehr vorstellen. (Foto: Atelier Altenkirch)

Projekt
Aufstockung Stadtarchiv
Karlsruhe, D

Hersteller
Hoesch Bausysteme GmbH
Kreuztal, D

Kompetenz
Akustik-Trapezprofil T 100.1 A

Architekt
Peter Eisemann BDA
Karlsuhe, D

Mitarbeit
Anne Eisemann (Wettbewerb), Daniel Vieser (Ausführung)

Bauherr
Stadt Karlsruhe
Karlsruhe, D

Fertigstellung
2013

Fotografie
 Daniel Vieser
 Dirk Altenkirch


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