Wohnungsbaupolitik bei Bauexperten umstritten

Leonhard Fromm
1. Februar 2023
Spannende Debatte um die Wohnungsbaupolitik (v.l.): Falco Herrmann, Moderatorin Prof. Katja Frühwald-König, Achim Nagel und Moritz Michaelis (Foto: Fromm)

Breiten Raum haben Baurecht und Wohnungsbaupolitik bei der 1. Holzbau-Konferenz „Building Wood“ am 25./26. Januar im Hamburger Alten Gaswerk eingenommen. Der Forderung von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) nach jährlich 400’000 Neubauwohnungen widersprachen bspw. auf dem Podium sämtliche Referenten. „Wenn wir pro Jahr 190’000 bis 240’000 neue Einheiten schaffen, ist das völlig okay,“ meint Falco Herrmann. Der Bauingenieur und Umwelttechniker, der seit 2020 Partner bei Entwickler Sauerbruch Hutton in Hamburg ist, verweist auf das Bevölkerungswachstum, das bundesweit deutlich unter einem Prozent liege. „Wer soll denn da wohnen?“, fragt er provokativ. Es gehe darum, den vorhandenen Wohnraum intelligenter zu verteilen und zu nutzen, um Ressourcen zu schonen.

Für den schnellen Bedarf seien Umwidmungen etwa von Kaufhäusern oder Verwaltungsgebäuden in Wohnungen ohnehin geeigneter. Herrmann: „Das geht schneller, ist günstiger und machen unsere Nachbarländer auch.“ Dazu passt eine aktuelle Studie der Uni Kassel im Fachgebiet Städtebau, die im Kontext der Pandemie mit dem Titel „Raumpotentiale für eine gemeinwohlorientierte, klimagerechte und ko-produktive Stadtentwicklungspraxis in wachsenden Großstädten“ erhoben und von der Bosch-Stiftung finanziert wurde.  

Am Beispiel Hamburgs zeigt die Studie auf, welche Transformation - Stichworte sind Homeoffice, Online-Handel oder Bankensterben - die urbanen Zentren aktuell durchlaufen und welche Flächenpotentiale in besten Lagen damit u.a. für Wohnen nutzbar werden: Der Bedarf an Parkhäusern sinkt demnach bis 2030 um 19 %, stationärer Handel um 14 %, Bankfilialen minus 42 %, Kinos minus 41 %, Kirchen und Gemeindehäuser minus 12 % und Tankstellen minus 33 %.

Achim Nagel stimmt Herrmann zu. „Die 400’000 Wohnungen würden dank seriellem Bauen auch nicht an den Facharbeitern scheitern,“ sagt der Geschäftsführer der Primus Development GmbH, die Bestandsimmobilien ökologisch entwickelt. Das Problem seien gestrichene KfW-Fördermittel, gestiegene Zinsen und Baustoffpreise. Nagel: „Kein Bauträger engagiert sich mehr im privaten Wohnungsbau, weil es nur viel Risiko gibt und aktuell keinen Ertrag mehr.“ Die Rendite seien letztlich die KfW-Fördergelder gewesen. Nun fänden selbst Bauwillige keine Bank mehr, die mit ihrer Finanzierung mit ins Risiko geht.

Der Immobilienprofi, der 20 Jahre für den Bertelsmann-Konzern in Stahl und Glas gebaut hatte und 2017 über die Entwicklung eines Studentenwohnheims zur Holzbauweise gekommen war, fordert „eine politische Neuaufstellung im Wohnungsbau“. Die Werkzeuge hießen staatliche Förderung, steuerliche Abschreibung und weniger Regulatorik, die die Kosten treibt. Auch müsse dichter gebaut werden, um Flächen zu sparen und Bodenpreise anteilig zu senken.

Für den Chef der Primus Development sprechen auch die Kosten für die Holzbauweise, „weil das jetzt schon günstiger ist.“ Auch Sanieren statt Abreißen und neu Bauen sei in aller Regel günstiger. Herrmann pflichtet ihm bei: „Holz revolutioniert aktuell die Baubranche wie im vorigen Jahrhundert Stahl und Beton.“ Das bestätigt Moritz Michaelis, der bei Derix in Hamburg den Bereich der Presssperrholzprodukte verantwortet. Von fünf Standorten in Deutschland und den Niederlanden aus liefert der Mittelständler Wand- und Deckenmodule im Volumen von aktuell mehr als 100’000 m3 pro Jahr, aus denen etwa das 60 Meter hohe Holzhochhaus Roots in der Hamburger HafenCity und viele andere Gebäude seriell gefertigt werden.

Michaelis: „Wenn wir früh in den Planungsprozess einbezogen werden, können wir effiziente Produkte liefern, die Montagezeit verkürzen und vieles mehr, was alles Geld spart.“ Durch permanente Optimierung des Engineerings und große Stückzahlen skalierten sich schon kleine Effekte, wenn auch nur wenige Späne an einem Holzmodul eingespart würden. Nach dem Cradle-to-cradle-Prinzip verpflichtet sich Derix zudem, seine Bauteile wieder zurückzunehmen und kooperiert dabei mit der Materialdatenbank Madaster, um Zweitverwerter zu finden.

Entwickler Nagel machte ein Dilemma in der politischen Debatte deutlich: „Da gehen plötzlich Beton-Lobby und Umweltschützer, die den Wald retten wollen, seltsame Allianzen ein, die den Holzbau schwächen.“ Den Architekten im Publikum rief der erfahrene Bauentwickler zu: „Sie sind alle viel zu nett. Gelegentlich muss man auch mal die Brechstange herausholen, wenn man eine Planung genehmigt bekommen will.“ Sichtbar machte die Diskussion auch, dass die baurechtlichen Standards nicht klimakonform sind, wie es ein Zuhörer formulierte. Und ein anderer ergänzte, auch die Potentiale von Stroh, Hanf oder Lehm zum Bauen und zum Dämmen würden erst ansatzweise genutzt.

Einig waren sich die Referenten, dass den politischen Kampf die Verbände führen müssten. Planer und Architekten sollten sich dagegen auf das Machbare im Rahmen des bislang Möglichen im Baurecht konzentrieren. Das heiße, statt bei einzelnen Prestigeobjekten den Bio-Composite-Anteil auf 80 % und mehr zu pushen, besser in der Breite zügig auf Quoten von 10, 20 oder 30 % zu kommen. Die Hamburger Konferenz leiste dafür einen wichtigen Beitrag, weil Wissen geteilt werde und dadurch in viele Architekturbüros migriere.

Nur in Ansätzen wurden Wohnkonzepte diskutiert, die Flächen sparen. Etwa von mehreren Partien gemeinsam genutzte Räume; multifunktionale Räume, die morgens anders genutzt werden als nachmittags oder abends und vieles mehr. Innovationstreiber könnten kommunale Wohnungsbauträger sein, die lokal gefördert werden, oder Genossenschaften und Bauherrenmodelle, die andere Instrumente nutzten, um das Ziel nachhaltigen und sozialen Bauens und Wohnens zu erlangen. Auch hier meinte ein Teilnehmer, der Ruf der Politik nach jährlich 400’000 zusätzlichen Wohnungen sei auch der Versuch, die Mieten niedrig zu halten und zu Lasten von Ressourcen und Umweltschutz Sozialpolitik zu betreiben.

Premiere in Hamburg mit 100 Teilnehmern
15 Experten referieren über Bauen mit Holz – keine Frau hält einen Vortrag

Die Premiere des dänischen Veranstalters „Building Green“, erstmals in Deutschland eine Fachkonferenz zu nachhaltigem Bauen auszurichten, ist gelungen: Mehr als 100 Fachleute aus den Bereichen Architektur und Bauingenieurwesen vor allem aus Norddeutschland haben sich bei der 1. Holzbau-Konferenz „Building Wood“ am 25./26. Januar im Hamburger Gaswerk-Hotel über das Bauen mit Holz, dessen Öko-Bilanz, den Stand des Planungsrechts oder Fragen des Brandschutzes informiert. 

Im Mittelpunkt standen Hochhäuser in Holzbauweise mit 20 und mehr Etagen, mit denen es vor allem in Skandinavien aber mittlerweile auch in der Hamburger HafenCity viel Erfahrung gibt. Dem Veranstalter aus Kopenhagen, der 19-köpfigen Agentur „Building Green“, ist es somit gelungen, ihre Expertise auf die Bundesrepublik zu übertragen. Bereits im Juni folgt eine zweite Konferenz in Hamburg, die deutlich größer und thematisch breiter auch als Messe mit 60 Ausstellern angelegt ist.

Rückgrat des Erfolgs ist neben zwölf Jahren Veranstaltungserfahrung zu dieser Thematik und einem internationalen Expertennetzwerk die enge Kooperation mit dem Holzbau-Netzwerk Nord e.V., das etliche der 15 Referenten vermittelte und Teilnehmer warb. Organisatorin Helene Henriksen bedauert, dass es ihr zur Premiere in Deutschland nicht gelungen ist, auch Frauen als Referentinnen zu gewinnen, obwohl sie diese monatelang bundesweit recherchiert und angefragt hatte. „Die haben leider alle aus Zeitgründen abgesagt,“ bedauert die Dänin, deren Chefin selbst eine Frau ist und in der Agentur die Frauenquote bei 75 % liegt. Zudem hat der kleine Nachbar im Norden seit Jahren die politische Vorgabe, alle Funktionen paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen. Henriksen: „Das wird beim nächsten Mal nicht mehr passieren.“ Immerhin hatte sie mit Katja Frühwald-König, Professorin für Holzwirtschaft an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, eine Moderatorin, die durch die beiden Tage führte. 
 
Beim Blick ins Plenum fiel hingegen auf, dass der Frauenanteil bei sicher 30 % lag und das Publikum im Gros zwischen 30 und 40 Jahren alt war. Auch saßen viele Inhaber und Partner im Saal, deren Büros oft 40 bis 120 Mitarbeiter umfassen. Und: Viele haben offenbar noch wenig Erfahrung im Holzbau, spüren aber die steigende Nachfrage.

Andere Artikel in dieser Kategorie