Studieren und Parlieren

Thomas Geuder
11. November 2014
Der Beitrag «Cubity» der TU Darmstadt zum diesjährigen Solar Decathlon Europe widmet sich dem Thema «Modular Future Student Living». (Foto: Thomas Ott / Duravit)

Im Nachhinein betrachtet erscheint vielen das ehemalige Studentenleben wie ein Ausnahmezustand im eigenen Werdegang. Natürlich: Es ging darum, sich entscheidende berufliche Kompetenzen zu erarbeiten. Je nach Studiengang durfte das – dieser Meinung war man seinerzeit – aber auf keinen Fall allein im stillen Kämmerchen geschehen. Schließlich wollen die Dinge auch ausdiskutiert sein – gerne auch bei einer guten Flasche Wein. Das Leben als Student ist eben zwar ein lehrreiches, aber auch ein geselliges. Trotz Smartphone-Generation hat sich an diesem Prinzip nicht viel geändert, wie die Professorin Anett-Maud Joppien gemeinsam mit ihren Studenten nun herausgefunden hat. Sie stellte ihren Studenten die bedeutungsschweren Fragen «Wie möchten wir wir als Studierende leben?» und «Welche Art von Wohnsituation kann unsere Bedürfnisse erfüllen?» Die Analyse offenbarte verschiedene Ebenen des Zusammenlebens und zeigte, dass die gemeinschaftlichen Funktionen die privaten übertreffen. Dem will man nicht widersprechen.

Der Innenraum ist gegliedert in verschieden Zonen mit unterschiedlichen Aufenthaltsqualitäten. (Foto: Thomas Ott / Duravit)

Diese Untersuchung war Teil der Vorarbeit des diesjährigen Beitrags der TU Darmstadt zum Solar Decathlon Europe in Versailles. Die Studenten sollten dafür ein Studentenwohnheim entwerfen, das sich neben den Fragen nach energetischer Nachhaltigkeit vor allem mit Fragen des Zusammenlebens auseinandersetzt. So entwickelten sie ein Gebäudekonzept, das nach einer Optimierung der privaten Räume und einer Maximierung der Gemeinschaftsbereiche strebt. Aus diesem räumlichen Ansatz – sowie der Vorgabe einer Grundfläche von 16 x 16 m, der Transportierbarkeit der Module per Lkw, einer geringen Kostenentwicklung sowie des Plus-Energie-Standards – entstand schließlich ein Haus-im-Haus-Prinzip mit vielfältigen Gemeinschaftszonen und privaten Rückzugsräumen. Eine transparente und transluzente Hülle umschließt dabei einen Raum, in dem es wie in einer Art Dorf einen zentralen Marktplatz gibt, um den sich Wohn-Cubes, Küche, Emporte und Terrassen gruppieren. «Cubity» nannte sich das Ganze dann, eine Wortkreation aus den Kernthemen «cube, city und entity».

Individueller Rückzugsort im Raumgefüge sind die sechs doppelstöckigen Cubes, in denen sich nur die wichtigsten privaten Funktionen befinden. (Foto: Thomas Ott / Duravit)

Die räumliche Anforderung an den privaten Bereich in den einzelnen Cubes selbst beschränkte sich dabei aufs Wesentliche: Schlafen, Arbeiten und Körperhygiene. Auf einer Grundfläche von nur 7,2 m² befanden sich Bett, Schrank, Stuhl, Tisch sowie das Bad mit Dusche. Die Toilette und das Waschbecken wurde so gewählt, dass sie trotz kompakter Bauform viel Komfort etwa durch die abgerundeten Ecken oder minimierte Ränder bieten. Eine großzügige Raumwirkung wird in den Cubes erzeugt durch Verglasungen in der Eingangstür sowie durch ein ihr gegenüberliegendes, raumhohes Fenster. Außerdem sind die Cubes so angeordnet, dass vor jedem Zugang eine halbprivate Zone entsteht, die nur selten von den Mitbewohnern betreten wird. Zu den Cubes im Obergeschoss gelangt man über eine Galerie.

Diagonal zum Eingang, in der räumlichen Organisation hinter dem zentralen Marktplatz, befindet sich der Küchenbereich mit angegliederter Terrasse. (Foto: Thomas Ott / Duravit)

Mit seiner technischen Ausstattung erfüllt das Gebäude den Plus-Energie-Standard und ist somit (laut Entwerfer) das erste «Plus-Energie-Studentenwohnheim» der Welt. Rund zwei Drittel der Dachfläche ist mit PV-Modulen versehen, deren Strom in Batterien gespeichert werden kann. Eine Wärmepumpe kann in Kombination mit einem Wasserpuffer sowohl zum Heizen also auch Kühlen herangezogen werden. Fensterbänder in den Ecken sowie im Oberlicht des Gebäudes ermöglichen die Zu- und Abluft, ein Deckenventilator sorgt für die Durchmischung. Die Belüftung der Cubes funktioniert über Ventilatoren in den Sanitärzellen, deren Abluft über ein Rohrsystem direkt hinaus geführt wird. Im Boden des Marktplatzes, der per Vorhang auch eingehüllt werden kann, befindet sich eine Niedrigtemperatur-Flächenheizung. Nach seinem Einsatz will die TU Darmstadt das Haus auf dem heimischen Campus Lichtwiese einem Dauertest als «Living Lab» mit echten Bewohnern unterziehen. Wir sind gespannt auf die Resultate! tg

Seinen Strom gewinnt «Cubity» hauptsächlich durch eine 162 m² große Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. (Foto: Thomas Ott / Duravit)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: TU Darmstadt)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: TU Darmstadt)
Schnitt (Quelle: TU Darmstadt)
Impression vom Bau: Die Cubes wurden als modulare, vorgefertigte Elemente geliefert und eingebaut. (Foto: TU Darmstadt)
Die Duravit-Produkte der Serien Happy D.2 und Darling New passen gut zu dem jungen, experi-mentellen Wohnkonzept. Waschbecken und Kompakt-WCs erhöhen den Komfort auf kleinem Raum. (Foto: Thomas Ott / Duravit)

Projekt
Cubity – Realiserungsprojekt für den Solar Decathlon en France 2014
Versailles, FR

Architektur
Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur
Entwerfen und Gebäudetechnologie, Prof. Anett-Maud Joppien
Entwerfen und energieeffizientes Bauen, Prof. Manfred Hegger
Darmstadt, D

Hersteller
Duravit AG
Hornberg, D

Kompetenz
Waschtisch Happy D.2
Wand-WC Darling New Compact

Mitwirkende
Rebecca Aldinger, Markus Bauer, Tim Bialucha, Lucas Bickert, Aslihan Cetin, Frederik Dauphin, Sabrina Dechant, David Disse, Doris Eckert, Catarina Farinha, Christine Göhrig, Viola Goßner, Christine Gunia, Manfred Hegger, Wolfgang Hinkfoth, Siqi Huang, Marisa Imhof, Anna-Lena Johé, Anett-Maud Joppien, Sandra Jörges, Tae Yoon Kim, Umut Kocak, Martin Koleda, Verena Krekel, pAgnes Krüger, Axel Lettmann, Sascha Luippold, Katharina Möbus, Ushio Ota, Sung Jean Park, Aamie Perera, Lennart Petzold, Anna Lena Plaßmann, Johanna Saary, Max Sand, Stefan Schmand, Matthias Schönau, Chrissi Stadler, Elisa Stamm, Christine Störmer, Jens Völker

Hauptpartner
Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst
Deutsche Fertighaus Holding AG
Achitectura Virtualis GmbH
Bollinger + Grohmann GmbH
hpp Berlin GmbH
INNIUS GmbH
TU Braunschweig, Institut für Gebäude- und Solartechnik

Fertigstellung
2014

Fotografie
Thomas Ott / Duravit


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