Lochfassade – Fassadenlöcher

Thomas Geuder
22. Oktober 2013
Rechts vom Baum im Hintergrund befindet sich das jetzt von Behnisch Architekten zum «Schlauen Haus» umgebaute Bürgerhaus aus dem 16. Jahrhundert. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)

Die Welt der Architektur hat viel Gutes zu bieten. Zum Beispiel: der außenliegende Sonnenschutz. Bekanntlich hält der die wärmenden Sonnenstrahlen effektiv zurück, bevor sie (vor allem im Sommer) den Innenraum übermäßig und unnötig aufheizen würden. Stattdessen bleibt es dort kühl und angenehm. Energetisch ist das sinnvoll, vor allem mit sogenannten Raffstoren, horizontalen Lamellen also, die sich sehr individuell einstellen lassen. Manche Systeme leiten durch ihre spezielle Lamellenform sogar einen Teil des Lichts doch hinein und sorgen so für eine indirekte Beleuchtung über die Decke. Technisch ist das eine saubere Lösung. Dass viele Architekten dennoch kein Freund solcher Raffstoren sind, hat vielfältige Gründe. Neben der Optik spielen vor allem ökologische wie ökonomische Gründe eine Hauptrolle. Der Vorteil der Variabilität nämlich ist auch ihr größter Nachteil: Die Motoren verbrauchen Energie, der Raffstore ist der Witterung ausgesetzt und wird so zum Verschleißteil, das gewartet werden muss, wodurch wieder Folgekosten entstehen. Hinzu kommt, dass Raffstoren als Teil eines Gebäudeautomationssystems etwa wegen des Winds oftmals eingefahren werden müssen, auch wenn die Sonne gerade scheint. Mit einer cleveren Lösung hat all das meist wenig zu tun.

Die Südseite des Hauses, die gleichzeitig ein bisschen Westfassade beinhaltet, repräsentiert die architektonische Gegenwart. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)

Wünschenswert wäre also ein System, das Sonnenschutz ohne Zutun liefert. Ohne Zutun heißt: Ohne Verschleiß und ohne Energieverbrauch und somit ohne Kosten für eine aufwändige Technik und deren Wartung. „MicroShade“ zum Beispiel heißt ein System, das im Prinzip nur aus einer Folie besteht, die bereits bei der Herstellung der Scheibe eingebaut bzw. aufgebracht wird und somit keine besondere, planerische Berücksichtigung benötigt. Die Folie ist mit zahllosen, winzigen Löchern (der Hersteller nennt sie „Mikrolamellen“) perforiert, deren Form und Anordnung so gewählt ist, dass das direkte Sonnenlicht je nach Sonnenstand abgeschirmt oder hindurchgelassen wird. MicoShade macht sich dabei zunutze, dass die kräftige Sommersonne, die es abzuschirmen gilt, hoch am Himmel steht, während die Wintersonne, deren Wärmeenergie im Innenraum gerne genutzt wird, tiefer am Himmel steht. Zum Vergleich: Eine normale Niedrigenergiescheibe hat einen g-Wert (Abschirmungseffekt der Scheibe) von 0,76, Fensterscheiben mit besonderem Sonnenschutz können Werte bis 0,24 erreichen. MicroShade dagegen kann mit einem g-Wert bis 0,10 geliefert werden (maximalen Abschirmung, Herstellerangaben). Das System benötigt zum Funktionieren weder Energie noch muss es gewartet werden. Da die Folie im Scheibenzwischenraum aufgebracht ist, können die Fenster von innen und außen ganz gewöhnlich gereinigt werden. Effektiv und obendrein wirtschaftlich finden wir das, obgleich Mikroshade vor allem an Südfassaden sinnvoll ist, an Ost- und Westfassaden wegen der auch im Sommer tiefstehenden Sonne nur mit Bedacht eingesetzt werden kann.

Blick im Obergeschoss auf die Südfassade. Rechts die normale Dreifachverglasung, in der Mitte die Dünnschicht-PV-Verglasung, links die Dreifachverglasung mit MicroShade. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)

Gestoßen sind wir auf MicroShade beim „Schlauen Haus“ in Oldenburg. Behnisch Architekten aus Stuttgart haben dort am Schlossplatz im Zentrum der Stadt ein leerstehendes Bürgerhaus aus dem 16. Jahrhundert zu einem Ort der Wissens- und Informationsvermittlung umgebaut und baulich ergänzt. Der Fokus auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit war dabei entwurfsbestimmend. Dem Thema „Tageslicht“ kam dabei auf vielen verschiedenen Ebenen eine besondere Bedeutung zu: Ein vertikaler Tageslichtkorridor dient der Beleuchtung des schmalen und langen Hauses sowie als Solarkamin zur natürlichen Belüftung, mit dem Tageslicht wird per Fotovoltaik Energie erzeugt, und nicht zuletzt ist die Verschattung an der Südfassade ein zentraler Punkt. Die Südfassade wurde in aufwändigen Simulationen formal so entworfen, dass so viel Tageslicht wie möglich hineintritt und so wenig sommerliches Aufheizen der Räume wie nötig entsteht. Sie ist außerdem teilweise mit abdunkelnden Fotovoltaik-Dünnschichtmodulen ausgestattet, zum größeren Teil jedoch mit der MicroShade-Folie, die einen hohen Tageslichtanteil bei gleichzeitig guter Verschattung möglich macht. Die Südfassade, die Hauptfassade der Büroarbeitsplätze also, ist zwar vom Schlossplatz aus gesehen die Rückseite des Gebäudes, dennoch ist sie zum Oldenburger Schlossgarten orientiert – ein Anblick, den man nur ungern mit ständig hinauf und wieder herunter fahrenden, horizontalen Lamellen versperren lassen möchte. Mit MikroShade jedenfalls können die Mitarbeiter nahezu ungestört hinaus schauen, da die Folien horizontal am durchlässigsten ist. Die Planer haben so eine gute Balance zwischen Offenheit, Diskretion, Licht, Sonnenschutz, Aussicht und Einsicht gefunden.

Die Hauptfassade zum Schlossplatz benötigt keinen besonderen Sonnenschutz, da sie gen Norden gerichtet ist. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)
Lageplan (Quelle: Behnisch-Architekten) 
A: Mit MikroShade kann ein außenliegender Sonnenschutz mit Lamellen-Raffstoren ersetzt werden. B: Die Schicht wird bereits bei der Herstellung der Fensterscheibe montiert. C: Mikrolamellenstruktur von MikroShade. (Quelle: MikroShade) 
Anordnung PV-Verglasung und der MikroShade-Fenster in der Südfassade. Alle anderen Gläser bestehen aus einer Dreifachverglasung mit einem U-Wert von 0,7 W/m²K. (Quelle: Behnisch-Architekten) 
Beispielhafter Verlgeich MikroShade und Sonnenschutzglas: Im Winter steigt der g-Wert an. So wird dann trotz der gegenüber der Sommerzeit geringeren solaren Einstrahlung ein absolut höherer Energieeintrag erreicht – und damit Heizkosten gespart. (Quelle: MicorShade)
Grundriss 3. Obergeschoss (Quelle: Behnisch-Architekten) 
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Behnisch-Architekten) 
Der zum Schlossplatz gewandten Bereich mit der Touristeninformation ist das alte Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)
Längsschnitt. Links: Bestand. Rechts: Neubau. (Quelle: Behnisch-Architekten) 
Der längs verlaufende Lichtkorridor im Neubau wirft das Licht bis ins Erdgeschoss und ist gleichzeitig Kernstück des Brandschutzkonzepts, in dem die durch Wassernebel-Düsen erzeugte Strömung die Rauchgase nach oben abführt. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)
Am Ende des Beitrags müssen wir natürlich verraten: Die Westfassade wurde im Bereich der Büros zusätzlich mit Lamellen-Sonnenschutz im Scheibenzwischenraum versehen, um dem Licht der nachmittags im Westen tiefstehenden Sonne zu begegnen. (Foto: Archimage Hamburg / Meike Hansen)
MicroShade A/S
Taastrup, DK

Hersteller-Kompetenz
Sonnenschutz MikroShade

Projekt
Das Schlaue Haus
Oldenburg, D

Architekt
Behnisch Architekten
Stuttgart, D
Partner / Partner
Stefan Rappold
 
Bauherr
Schlaues Haus Oldenburg gGmbH
Oldenburg, D
 
Klimakonzept
Transsolar Energietechnik GmbH
Stuttgart, D
 
Objektüberwachung
Architekten Simon-Exner-Kersten
Oldenburg, D
 
Tragwerk
ARGE IB Bröggelhoff, Oltmanns & Partner
Oldenburg, D
 
Bauphysik
Höfker Nocke Bückle Partnerschaft
Backnang, D
 
Brandschutz
TPG Lehmann, Andreas Flock
Berlin, D
Auszeichnung: Brandschutz des Jahres, Kategorie Brandschutzkonzept (2013)
 
HLS
Ingenieurbüro Ahrens GmbH & Partner
Oldenburg, D
 
Akustik
Akustikbüro Oldenburg, Dr. Christian Nocke
Oldenburg, D
 
Elektro
Ingenieurbüro von Kiedrowski, Beratende Ingenieure GmbH
Oldenburg, D
 
Fertigstellung
2012
 
Bildnachweis
Archimage Hamburg / Meike Hansen
MikroShade

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