Glanzvolle Scheibe

Thomas Geuder
3. Juni 2014
Das :envihab ergänzt den bestehenden Hauptsitz des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zukünftig um wichtige Forschungsbereiche. (Bild: Christian Gahl / HD Wahl)

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt sowie Energietechnik, Verkehr und Sicherheit. An 16 nationalen und 4 internationalen Standorten wird dort im Bereich der angewandten Forschung und der Grundlagenforschung gearbeitet. Der Kölner Hauptsitz ist nun um einen wichtigen Baustein erweitert worden, in dem sich künftig Wissenschaftler mit der medizinischen Forschung im Bereich der Raumfahrt auseinandersetzen und Erkenntnisse zur Bewältigung extremer Umweltbedingungen auf der Erde gewinnen. Für diese Bauaufgabe wollten die Berliner Architekten Glass Kramer Löbbert zusammen mit Prof. Uta Graff einen Raum schaffen, der autark ist, gelöst vom irdischen Kontext also, und doch gleichzeitig dem Interessierten die Möglichkeit bietet, Einblicke zu gewinnen und Zusammenhänge mit unserem gewohnten Erlebnisraum herzustellen. Die besondere Herausforderung dabei war, Diskretion und Klausur der Wissenschaft mit dem Anspruch an ein öffentliches, eindrucksvolles Raumkonzept zu vereinen, bei dem der Besucher tatsächlich zu Gast in der Forschungsstätte ist. «:envihab», der Name des Projekts, leitet sich aus dem englischen «environment» für «Umwelt» und dem lateinischen Begriff «habitat» für «Lebensraum» ab.

Die weiße Farbe der Aluminiumverkleidung und das Spiel mit einem zweiten Fassadenlayer verleihen dem Gebäude eine zusätzliche Leichtigkeit. (Bild: Christian Gahl / HD Wahl)

Die architektonische Grundidee für das Vorhaben ist im Prinzip simpel: Beide Welten begegnen sich unter einem gemeinsamen Dach, der Raum darunter wird in eine Umfassung aus Mauer und Erdreich eingebettet, darunter befinden sich sämtliche, nach dem Haus-im-Haus-Prinzip frei angeordneten Raummodule auf einer Ebene, gegliedert und verbunden durch eine ausgeklügelte Erschließung, rhythmisiert durch Lichthöfe und Oberlichtfelder. Zwischen dem mächtigen Dachkörper und dem Boden bleibt lediglich eine Glasfuge, wodurch das Weiß verkleidete Dach von außen wie eine gigantische Scheibe förmlich zu schweben scheint. Die Dachkonstruktion besteht aus insgesamt 17 Stahl-Fachwerkbinder mit jeweils einer Länge von 57 Metern und überspannt eine fußballfeldgroße Fläche. Konisch geformte Stahlstützen unter den Fachwerkbindern sowie vier aussteifende Treppenhaus- bzw. Aufzugskerne und die massive Wand des runden Zentrifugenraums steifen die gesamte Konstruktion aus. Verkleidet ist das Dach mit Aluminiumblechen, die durch ein Lochraster rhythmisiert werden. Ihre weiße Farbe wird durch eine Duraflon-Beschichtung geschaffen, ein Einbrennlacksystem auf Fluorpolymerbasis, das sehr witterungsbeständig ist und eine besondere Strahlkraft besitzt, die durch passive Selbstreinigungseffekte auch lange anhält. In zweiter Ebene dahinter befindet sich ein zweiter, himbeerroter Fassadenlayer, der durch die Perforierung der weißen Fassadenhaut immer wieder durchschimmert und dem großen Dachvolumen eine plastische Tiefenwirkung verleiht. «Uns ging es um eine abstrakte und gleichzeitig spielerische Gestaltung des Dachvolumens. Die Durchlässigkeit ändert sich je nach Dichte der größeren Perforationsbänder und folgt den dahinter liegenden Anforderungen der Zu- und Abluftführung.», erläutert Johannes Löbbert, geschäftsführender Partner im Büro Glass Kramer Löbbert Architekten. Für den Außenraum des DLR-Campus in Köln-Porz ist das :envihab eine starke Geste, die für die Identität dieses Standorts in Zukunft prägend sein wird.


Impressionen vom :envihab anlässlich der Eröffnung. (ARD Mittagsmagazin, Dauer: 2:38 min.)

Das reduzierte, abstrakte Äußere des :envihab stellt sich als schwebende Scheibe über der leicht angehobenen Topografie dar. (Bild: Christian Gahl / HD Wahl)
Nicht Gebäude, sondern Dach: Hinter der weißen Verkleidung verbirgt sich die Dachkonstruktion aus 57 m langen Stahl-Fachwerkträgern. (Bild: Christian Gahl / HD Wahl)
Lageplan
Grundriss Tragwerksebene
Grundriss Erdgeschoss
Quer- und Längsschnitt
Die Farbechtheit und der bleibende Glanz kommen vor allem aus der UV-Beständigkeit des Beschichtungsmaterials Duraflon, das außerdem mit einer EPD (European Product Declaration) zertifiziert wurde. (Foto: Jörg Seiler / Ebener GmbH)
Blick hinter die Fassaden-Kulissen: Ein zweiter, himbeerroter Fassadenlayer sorgt zusammen mit dem Lochraster für die behutsame Dynamik und plastische Tiefenwirkung. (Foto: Jörg Seiler / Ebener GmbH)
Das :envihab erweitert das bestehende Institut um verschiedene Forschungsmodule wie Humanzentrifuge, Schlaflabor, Unterdruckeinheit, Schalllabor, MRT, Physiologielabor, Hörsaal. (Foto: Jörg Seiler / Ebener GmbH)

Projekt
:envihab des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR
Köln, D

Hersteller
HD Wahl
Jettingen-Scheppach, D

Kompetenz
DURAFLON® RAL-Farbton 9016, Sonderbauteile Eloxal E6/EV1 beschichtet

Architekt
Glass Kramer Löbbert, Gesellschaft von Architekten mbH BDA
Berlin, D

zusammen mit
Uta Graff, Prof. Dipl. Ing. Architektin BDA
Berlin, D

Projektteam
Jürgen Ochernal (Projektleitung), Christoph Conrad, Patrick Lau, Katharina Oberndörfer, Hannah Rohrbach, Johannes Thoma

Bauherr
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
Köln, D

Fassade
Ebener GmbH
Bad Marienberg, D

Bauleitung, Kosten, Termine
BIG Architekten und Ingenieure
Bonn/Berlin, D

Fertigstellung
2013

Fotografie
Jörg Seiler / Ebener GmbH
Christian Gahl / HD Wahl


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