Atrium als Gebäudelunge

Martina Metzner
14. Januar 2020
Foto: Zeljko Gataric © FHNW Campus Muttenz

Neun Jahre hat es gedauert, bis die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) nun in einem neuen Mischnutzungsquartier in Muttenz im Kanton Basel-Landschaft steht und rund 4'500 Lehrende und Studierende empfangen kann. 2011 gewannen pool Architekten aus Zürich den Wettbewerb, bis 2018 wurde geplant und gebaut – darunter auch mit Kalt+Halbeisen Ingenieurbüro für die Haustechnik. Das Projekt ist nicht nur deshalb besonders, weil es mehrere Fachrichtungen in einem vertikalen Campus übereinander stapelt, sondern auch, weil es ein besonders gelungenes Wechselspiel aus Architektur und TGA darstellt. Die Energiewerte entsprechen dem Schweizer Standard Minergie-P Eco und den Anforde­rungen der 2000-Watt-Gesellschaft.

Die gesamte Luftmenge im Gebäude beträgt 370'000 m3/h. Die Abluft dient auch der Wärmerückgewinnung im Kreislaufverbundsystem (KVS). (Visualisierung: Kalt+Halbeisen Ingenieurbüro)

Die Architekten haben dafür mit den TGA-Spezialisten auf Systeme gesetzt, die neue Technologien mit althergebrachten Systemen verbinden. Zunächst spart die kompakte Würfelform des Hauses – 72 Meter breit, 64,5 Meter lang und 64,5 Meter hoch – Energie ein und verbraucht wenig Fläche, was mehr Platz für den Park bedeutete. 
Mit seinen über 60 Metern Höhe ist der Neubau der Fachhochschule direkt am Gleisfeld faktisch ein Hochhaus, als Bautyp hingegen ein Hofhaus. Gelangt man ins Innere, wird man überrascht von der Weite und der Helligkeit. Vom Erdgeschoss aus streckt sich ein Atrium empor und wird von einem Glasdach im 13. Geschoss abgeschlossen. Ab dem vierten Obergeschoss unterteilt ein zusätzlich eingeschobener Mittelreiter über neun Geschosse das Atrium in zwei Lichthöfe bis unter das Dach. Um diese organisieren sich die einzelnen Institute der fünf neu zusammengeführten Fachrichtungen von Architektur bis Life Science. Das zwölfte Stockwerk bietet als Abschluss eine Lounge mit Panoramablick sowie einen versteckten Dachgarten.

Die Seminarräume werden ausschließlich mit freier Überströmung ins Atrium belüftet. (Visualisierung: Kalt+Halbeisen Ingenieurbüro)

Um die Nutzer bei der dichten Gebäudehülle mit genug Außenluft zu versorgen und Bauschäden zum Beispiel durch Schimmelbildung zur verhindern, haben die Planenden ein pragmatisches und intelligentes Überströmkonzept entwickelt, bei dem das Atrium als Abluftkanal fungiert und einen Kreislauf-Verbund zur Wärmerückgewinnung bildet. Die Abluft strömt über Flure und Gittertüren frei ins Atrium über und dort bis unter das Dach, wo im Winter Monoblocs die Luft absaugen und die Wärme zurückgewinnen. Im Sommer werden die Abluft-Ventilatoren ausgeschaltet und die Dachfenster geöffnet. Die Luft strömt dann entsprechend der Thermik durch die Öffnungen nach Außen. Dadurch konnte auf große Abluftsteigzonen und das Abluftkanalnetz verzichtet werden. Abluftrohre sind nur in den Laboren und in den Gastronomiebereichen notwendig. Auf diese Weise ließen sich Installationskosten reduzieren und die Energiekosten für Antriebsenergie minimieren. Im Falle eines Brandes saugen Turbinen unter dem Dach den Rauch aus dem Atrium.

Alle Zuluft-Leitungen sind sichtbar in den Rippen der Betonrippendecken eingelassen. (Foto: Tom Bisig)

Im Inneren überzeugt der Betonbau durch roh belassene Wände. Zwischen den Rippen der vorfabrizierten Betondecken in den Seminarräumen befinden sich die Überströmelemente. Der vom Raum aus sichtbare Schlitz der Elemente wurde als zwei Zentimeter hohe offene Schattenfuge ausgebildet, die als durchlaufend schwarzes Band optisch in Erscheinung tritt. In den Hörsälen im ersten und zweiten Obergeschoss wurden speziell angefertigte schallabsorbierende Überströmelemente hinter einer Holzlamellenwand aus massiver Eiche integriert. Die Zuluft drückt die Abluft automatisch durch die eigens angefertigten Überströmelemente mit schallabsorbierender Zusatzfunktion ins Atrium. Zuluft und Sprinkler sind in Fassadennähe positioniert, die wasserführende Bauteilaktivierung und die Zusatzkühlung sind innen angeordnet. So konnten von Beginn an Kreuzungen vermieden und die Installationshöhen reduziert werden. 

Durch die wasserführenden thermoaktiven Bauteilsysteme wird die Wärme an die außen liegenden Büros geführt. Erst bei einem sehr hohen Heizbedarf wird Heizenergie aus Fernwärme bezogen. Zur Notkühlung des Rechenzentrum werden 25'000 Liter Regenwasser im 13. Geschoss des Gebäudes gesammelt. Dieses „Pluvia-System“ kann ohne Strom betrieben werden – außerdem erspart man sich dadurch energieintensives Hochpumpen des Wassers wie bei herkömmlichen Systemen.

In die Lamellen aus Eiche sind auch die Öffnungen der Überströmelemente von Kiefer Luft- und Klimatechnik eingebunden. (Foto Zeljko Gataric © FHNW Campus Muttenz)
Bauherrschaft: Hochabauamt Basel-Landschaft, Fachhochschule Nordwestschweiz
Generalplanung: pool Architekten, Takt Baumanagement AG
Generalunternehmung: HRS
Landschaftsarchitektur: Studio Vulkan
Bauingenieur: Schnetzer Puskas Ingenieure AG
Haustechnik: Kalt+Halbeisen Ingenieurbüro AG
Elektroplanung: Pro Engineering AG
Brandschutz: Visiotec
Orientierungssysteme: Emanuel Tschumi Grafik Design
Lichtplanung: Reflexion AG
Laborplanung: Laborplaner Tonelli AG
Fassadenplanung: gkp Fassadentechnik AG
Möblierung: Inch Furniture
Gastroplanung: hpmisteli AG
Bauphysik: Kopitsis Bauphysik AG
Akustik: Applied Acoustics GmbH
Akustik Atrium: Neuhaus Akustische Architektur
Kunst und Bau: Katja Schenker
 
Gebäudevolumen
322.000 m³
Energiebezugsfläche
55.000 m²
Laborfläche
6.000 m² (Bio, Chemie, Tech, Verfahrenstechnik) 
Gesamtluftmenge
370.000 m³/h 
Kälteleistung
2.500 kW NH3 
750 kW Grundwasserfreecooling 
200 kW Prozesskälte 
Notkühlung
260 kW mit 25.000 Liter Wasserreservoir
Heizleistung
1300 kW 
Dampf
500 kg/h Prozessdampf 
Spezialgasversorgung
N2 / He / Ar / CO2 / Druckluft

Andere Artikel in dieser Kategorie