Die Mühlen von übermorgen

ASTOC Architects and Planners mit Henning Larsen
29. Mai 2024
Lauffenmühle – next innovation (Modellfoto: ASTOC)
In zentraler Lage soll in Lörrach auf der rund neun Hektar großen Industriebrache des ehemaligen Textilunternehmens Lauffenmühle das erste klimaneutrale Gewerbegebiet in Holzbauweise Deutschlands entwickelt werden. Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?

Die Lauffenmühle steht prototypisch für viele vergleichbare Konversionen in den Tälern des Schwarzwaldes. Sie ist aber fraglos eines der stärksten Symbole für dessen kulturgeschichtliche Entwicklung. Man kann sie als Schnittstelle des Ressourcenraumes Schwarzwald mit dem Handels- und Metropolraum des Rheintales verstehen. In dieser Rolle war sie lange Zeit ein sichtbares Zeichen für Innovation und Fortschritt und ist im kollektiven kulturellen Gedächtnis tief verankert. Diese positive Besetzung verkehrte sich durch den Strukturwandel in eine Niedergangserzählung, die bis heute wirkt. 

Unsere Interpretation der Aufgabe liegt im Wesentlichen in der Schaffung einer Grundstruktur, die eine positive Zukunftserzählung ermöglicht. Innovation, Digitalisierung und eine Stadt im Rahmen der planetaren Grenzen sind die Grundbausteine dieser Erzählung. Die Lage an der Schnittstelle zwischen dem Natur- und Ressourcenraum Schwarzwald und den Innovationsräumen Basel und des Rheintals bieten die besten strategischen Grundlagen für die »Mühlen von übermorgen«.

Kern unserer Interpretation der Aufgabe war also die Fortschreibung der vorgefundenen Erzählung in die digitale Wissensgesellschaft. Das Resultat bietet Raum für »Einhörner« und »the-next-big-thing«, aber auch für den ortsansässigen Schlosser aus Brombach.

Konzept (Axonometrie: ASTOC / Henning Larsen)
Wie haben Sie auf den Kontext reagiert?

Das Areal ist durch seine Industrienutzung und die damit einhergehenden Emissionen durch einen grünen Saum vom angrenzenden Wohngebiet getrennt. Dieser Grünzug verknüpft die nord-östlichen mit den süd-westlichen Grünräumen und schafft einen Lückenschluss bei den charakteristischen linearen Biotopen. Das direkte und indirekte Erleben und Erfahren von Natur und Raum sind unserer Auffassung nach die Schlüsselqualitäten eines nachhaltigen Quartiers. Der Freiraum bietet so ein sinnliches Erleben von Natur, gewährleistet aber auch die notwendigen Funktionen. Die Zonierung der Infrastruktur und der Baufelder basiert auf der Leitidee des maximalen Erhalts der nicht versiegelten Böden. Die Hauptbaufelder sowie weite Teile des Infrastrukturloops sind auf den langjährig versiegelten Flächen der beiden großen Hallen und des Sportplatzes angelegt.

Unser Umgang mit dem Kontext ist also ganz wesentlich eine Reaktion auf die ökologischen Gegebenheiten und deren zukünftige Bedeutung. Strukturell binden wir die schützenswerten und identitätsstiftenden Bestandsgebäude ein, in dem wir die zentralen Orte des Gebiets um diesen Bestand herum und aus diesem heraus entwickeln. Das Portalgebäude eröffnet das Gebiet mit seiner historischen Anbindung zum Bahnhof und zum Straßennetz. Der weithin sichtbare Kamin und das ehemalige Kesselhaus bilden den neuen »Turbinenplatz«, den zentralen Kommunikationsort des Gebiets. Die angrenzende »Netzwerkgasse« bindet diesen sozialen Treffpunkt an das angrenzende Wohngebiet an.

Da das Areal aufgrund seiner Funktion immer eher als Insel in der Stadtstruktur gewirkt hat, spielt bei der Frage nach dem Kontext der intrinsische Kontext eine große Rolle. Die Lauffenmühle bezieht ihre ikonografische Kraft vor allem aus dem strengen Grundraster und der seriellen Addition der archetypischen Sheddach-Industriehallenform. Wir begreifen dieses dominierende Grundraster als konstruktives, vor allem aber auch als kulturgeschichtliches Fundament der Lauffenmühle. Als solches möchten wir es transformativ an die zukünftigen Anforderungen anpassen und somit die räumlich-strukturelle Geschichte des Ortes fortschreiben. An dieser Stelle schließt auch die Idee der urbanen Mine an, die uns aufgrund der hohen Zahl identischer und sortenrein eingesetzter Bauteile und der vorhanden On-Site-Lagerkapazitäten als zumindest nicht unrealistisch erscheint. Konzeptionell formuliert bauen sich die NutzerInnen mit ihren handwerklichen Fähigkeiten aus der DNA der alten Lauffenmühle ihre neuen Mühlen selbst.

Lageplan (Zeichnung: ASTOC / Henning Larsen)
Worin lag die Herausforderung der Aufgabenstellung?

Die Aufgabe war aufgrund ihrer hohen Komplexität, vor allem aber aufgrund des angestrebten Pilotcharakters des Gebiets sehr herausfordernd. Die Komplexität ergab sich aus dem stark mit Bedeutung und Emotionen aufgeladenen Ort, der Anforderung weiterhin als Gewerbegebiet mit all seinen Konsequenzen zu funktionieren, wirtschaftlich zu sein und gleichzeitig den Anforderungen der CO2-Neutralität und des Holzbaus gerecht zu werden.

Hier schließt auch die Herausforderung des Pilotcharakters an. Es existieren zwar im Einzel- bzw. Objektfall durchaus gute Beispiele für Industrie- und Gewerbebauten in Holzbauweise, auf städtebaulichem Maßstab gibt es allerdings wenig Referenzen auf die wir uns stützen konnten. Auch wenn die Stadt Lörrach in exzellenter jahrelanger Vorarbeit bereits hervorragende Grundlagen gelegt hat, bleibt doch viel Pionierarbeit. 

Genau das macht für uns aber die Besonderheit aus: Wir können hier einen Präzedenzfall für den Umgang mit den vielen vergleichbaren Gebieten schaffen, die mit den grundsätzlichen Veränderungen des Strukturwandels in der Produktion, der Digitalisierung und den großen ökologischen Fragen der Zukunft umgehen müssen.

Diagramm: ASTOC / Henning Larsen
Diagramm: ASTOC / Henning Larsen
Diagramm: ASTOC / Henning Larsen
Diagramm: ASTOC / Henning Larsen
Diagramm: ASTOC / Henning Larsen
Wie strukturieren Sie die Lauffenmühle – next innovation?

Aus den bereits erwähnten ökologischen und kulturgeschichtlichen Gründen erhalten wir die Bestandstrukturen so umfassend wie möglich. Die versiegelten Flächen sind die Basis für das Grundgerüst der Infrastruktur. Die vitalen Böden bilden das Rückgrat des Grünraumes. 

Aus diesen beiden Setzungen heraus schlagen wir eine Infrastrukturloop vor, der mit den existierenden Bausteinen die Grundlage der Neuen Mühlen bildet. Von ihm aus werden alle Parzellen mit dem motorisierten Verkehr sehr effizient erschlossen. Die existierenden Tragstrukturen, auf deren Basis sich ein effizientes Holzbauraster entwickeln lässt, bleiben ebenfalls erhalten und können zu neuen Gebäuden ausgebaut werden. Das historische Raster wird also zum verpflichtenden strukturierenden Element, aus dem heraus sich dann auch die neue Bebauung entwickelt.

Definiert durch Bestandstruktur und Lage bilden sich Zonen, die ganz unterschiedliche Angebote für die Nutzer bereithalten. Jeder Nutzer kann sich je nach Bedarf den Ort seiner »Mühle« aussuchen. In der Mitte entsteht ein zentraler Ort, der der Kommunikation und der Identitätsbildung dient. Hier ist nicht nur das soziale Zentrum, sondern auch der Ankunftsort für den Individualverkehr.

Lageplan Zoom 1 (Zeichnung: ASTOC / Henning Larsen)
Lageplan Zoom 1 (Zeichnung: ASTOC / Henning Larsen)
Auf welche Erfahrung konnten Sie bei der Bearbeitung zurückgreifen? 

Für die grundsätzlichen städtebaulichen Setzungen konnten wir auf unsere sehr breite Erfahrung in diesem Bereich zurückgreifen. Die große Herausforderung war der grundsätzliche Wunsch, das Gebiet ausschließlich in Holzbauweise zu erstellen. Da erstens die Wirtschaftlichkeit eine große Rolle im Industrie- und Gewerbebau spielt und zweitens die Wahl der richtigen Rasterweite entscheidend für die Wirtschaftlichkeit der Holzkonstruktion ist, haben wir in diesem Bereich gemeinsam mit den Ingenieuren von MerzKley Partner zunächst ausführlich über die Bedeutung und Ausformulierung des Holzbaurasters auf städtebaulicher Ebene nachgedacht. Bei den großen ökologischen Fragen des Freiraums, die die Grundlage der städtebaulichen Figur definiert haben, war die breite Erfahrung und das profunde Wissen von Hennig Larsen superhilfreich.

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Dank der hervorragenden jahrelangen Vorarbeit der Stadt Lörrach sind die Projektgrundlagen bereits recht weit fortgeschritten. Aussagen über den weiteren zeitlichen Ablauf des Verfahrens oder gar einen Fertigstellungstermin können wir im Moment aber nicht seriös treffen.

Schwarzplan (Zeichnung: ASTOC / Henning Larsen)
Lauffenmühle – next innovation – in Lörrach
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Stadt Lörrach
Betreuung: schreiberplan GmbH Stadtplanung Architektur Landschaftsarchitektur, Stuttgart
 
Jury
Markus Müller, Architekt und Stadtplaner, Stuttgart (Vors.) | Jules Beckers, Architekt, Amsterade | Dea Ecker, Architektin, Heidelberg | Prof. Dr. Ing. Annette Hafner, Architektin, Bochum | Prof. Frank Hovenbitzer Architekt, Lörrach | Prof. Dr. Ing. Michael Koch, Architekt und Stadtplaner, Berlin | Axel Lohrer, Landschaftsarchitekt und Stadtplaner, München | Monika Neuhöfer-Avdić, Architektin und Stadtplanerin, Bürgermeisterin der Stadt Lörrach | Hubert Bernnat, Fraktion der Stadt Lörrach | Fritz Böhler, Fraktion der Stadt Lörrach | Silke Herzog, Ortsvorsteherin Brombach | Horst Simon, Ortsvorsteher Haagen | Matthias Lindemer, Fraktion der Stadt Lörrach | Ulrich Lusche, Fraktion der Stadt Lörrach | Jörg Lutz, Oberbürgermeister der Stadt Lörrach
 
1. Preis
ASTOC ARCHITECTS AND PLANNERS GmbH, Köln | Markus Lang, Dr. Matthias Stippich
Mitarbeit: Prof. Markus Neppl, Anna Rieger, Marlene Gehrmann, Marcin Wasag, Nima Maghsoudi
Henning Larsen GmbH, Überlingen | Gerhard Hauber
Mitarbeit: Marie Huber, Xiang Lin, Aleksandra Plotnikova, Raphael Benzkirch, Hendrik Porst
Merz Kley Partner | Hannes Hirsch
 
2. Preis
urbanista, Hamburg | Sven Kohlschmidt
Mitarbeit: Tristan Lannuzel, Björge Köhler, Lennard Hertz
TREIBHAUS Landschaftsarchitektur, Hamburg | Gerko Schröder
Mitarbeit: Jan-Erik Raupach, Klaus-Peter Lorenz, Sara Scheuing
Coido architects (coido GmbH), Hamburg | Jan H. Ipach
Mitarbeit: Marius Jungblut, Teresa Timm
 
3. Preis
arc.lab Bergner Dinse Theis - Architektinnen Landschaftsarchitektin Stadtplanerin PartG mbB, Hannover | Julia Theis, Freya Bergner
Mitarbeit: Marsha Dinse
studiomauer | Bohlen, Hiddessen, Lubs, Pape, Staack GbR, Hannover | Niklas Staack
Mitarbeit: Heiko Lubs, Jakob Bohlen, Dariya Muxunowa
 
4. Preis
Albert Wimmer ZT-GmbH, Wien | Albert Wimmer
Mitarbeit: Michael Frischauf, Ivan Zdenkovic, Kalina Vankova, Maria Gallego Torres, Natascha Nepp, Annika J. Michel, Celine Stemmelen
LAND Germany GmbH, Düsseldorf | Andreas Kipar
Mitarbeit: Stefanie Ostermann, Dr. Michael Gräf, lna Prager
Bollinger und Grohmann ZT-GmbH, Arne Hofmann, Thomas Schaumberger
Zeleny lnfrastrukturplanung, Georg Zeleny
Rosinak & Partner ZT GmbH, Dr. Werner Rosinak

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