Otti Berger neu entdecken

Manuel Pestalozzi
1. Juli 2024
Otti Berger, Colorways für o. b.-Doppelgewebe Nr. 37, entworfen für die Sächsische Rosshaarweberei Schriever & Co, 1937. (Foto: © Uta Neumann, Berlin/Amsterdam)

Die Textilentwürfe von Otti Berger sind Teil der Identität des Bauhauses in Dessau. Sie trugen dazu bei, das Verständnis von dem, was Textilien sein und leisten können, grundlegend zu verändern. Grundlage der Ausstellung ist ein Forschungsprojekt der Künstlerin und Forscherin Judith Raum. Gemeinsam mit der Textildesignerin und Handweberin Katja Stelz hat sie sich den Stoffen Bergers genähert. Unterstützt durch das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung rekonstruierten sie erstmals die Funktionen sowie gestalterischen Qualitäten der historischen Textilien – und wagten den aufwendigen Prozess des Neuwebens.

Wandstoff Doppelgewebe aus Zellulose-basiertem Bändchen von Otti Berger, ca. 1933, Neuwebung von Katja Stelz, 2023. (Foto: © Konrad Langer)

Im Fokus der Installation »Otti Berger. Stoffe für die Architektur der Moderne« stehen die großformatigen Neuwebungen zweier Wandstoffe von Otti Berger: ein in seiner Schlichtheit bemerkenswert eleganter Entwurf aus sogenannten Ramie-Bändchen – er kann direkt auf die Wand aufgebracht oder mit Abstand und Hinterleuchtung montiert werden – sowie ein webtechnisch herausragendes, dichtes Gewebe aus Zellulose-basierten Bändchen. Letzteres hatte Berger für die Verbesserung der Akustik und zur Schallreduktion in Kinos oder Flugzeugkabinen entwickelt. Für beide Gewebe bemühte sie sich zwischen 1933 und 1937 vergebens um Patente. Die Textilien, Foto- und Archivmaterialien sowie drei Videoarbeiten in der Ausstellung zeigen damit nicht nur den industrie- und designgeschichtlichen Kontext von Bergers Werk. Sie geben auch Einblick in das berufliche und private Schicksal einer Gestalterin unter der nationalsozialistischen Diktatur.

Otti Berger, Muster für Scher, ca. 1932/33. (Foto: © Uta Neumann, Berlin/Amsterdam)

Ottilie (Otti) Esther Berger wurde in Vörösmart, Österreich-Ungarn (ab 1919 Zmajevac, Jugoslawien, heute Kroatien) geboren. Nach der Mittelschule in Pécs, Ungarn, besuchte sie die Allgemeine Zeichenschule in Wien, anschließend die Königliche Hochschule für Kunst und Handwerk in Zagreb. 1927 folgte die Immatrikulation am Bauhaus Dessau. Sie besuchte den Vorkurs bei László Moholy-Nagy und Josef Albers, später trat sie in die Weberei des Bauhauses unter Gunta Stölzl ein und übernahm im Jahr 1932 deren Leitung. 

Otti Berger arbeitete als Textilgestalterin mit Berühmtheiten der klassischen Moderne und diversen Herstellern zusammen. Für ihre Innovationen konnte sie mehrere Patente erwerben, etwa für »Möbelstoff-Doppelgewebe« aus künstlichem Rosshaar, »Gewebe (Lamé-Plume)« oder »Doppelgewebe für Möbel, Wandbekleidung usw.« aus Zellophan und weiterem zellulosebasierten Bändermaterial. Ihr Lebenspartner Ludwig Hilberseimer, Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe bemühten sich vergebens um ihre Einreise in die USA. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in der Nähe ihrer Familie. Im Juli 1944 wurde Otti Berger im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Polen, ermordet.

Porträt Otti Berger, Foto: Lucia Moholy, ca. 1927, Bauhaus-Archiv Berlin. (Bild: © VG Bild-Kunst Bonn, 2024)

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