Der Bahnhof als Museum

Manuel Pestalozzi
17. Juni 2024
Das Empfangsgebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist als Gastronomie- und Seminarbetrieb hergerichtet worden. (Foto: Michael Reiner)

Am Bahnhof Neuenmarkt-Wirsberg in Oberfranken verkehren heute noch Regional-Express-Züge sowie im Regionalverkehr Dieseltriebwagen. Man gelangt bis nach Bamberg, Hof, Bayreuth oder Coburg. Durch den Bau der Bahnstrecke Hochstadt-Marktzeuln-Probstzella verlor der Bahnhof bereits im frühen 20. Jahrhundert einen Teil des Personenfernverkehrs. Heute verkehren die Intercity-Express-Züge der Relation München–Berlin ausschließlich auf der Schnellfahrstrecke Nürnberg–Erfurt. Die Fernzüge auf der Sachsen-Franken-Magistrale umfuhren seit dem Jahr 2000 den Bahnhof auf der Schlömener Kurve.

Das Bahnhofsensemble ist Teil eines Areals, das verschiedene bauliche Zeugen aus der Pionierzeit des Bahnhofs umfasst. (Plan: ATELIER BRÜCKNER)

Früher war das anders: Ab den 1860er Jahren passierten hier durchgehende Reisezüge ohne Wagenwechsel von Köln nach Wien. Seine Bedeutung erhielt der Bahnhof durch die 1848 eröffnete »Schiefe Ebene«, einer Rampe, auf der zwischen Neuenmarkt-Wirsberg und Marktschorgast auf 6,8 Kilometern 157,7 Höhenmeter überwunden werden. Ihre maximale Steigung von 25 ‰ gilt als das Maximum, das damals gebaute Dampflokomotiven im Normalbetrieb bewältigen konnten. Die meisten Züge schafften die Strecke nur mit zusätzlichen Schiebelokomotiven, die im Bahnhof Neuenmarkt, wie er damals noch hiess, beheimatet waren. Er erhielt deshalb ein großzügig dimensioniertes Bahnbetriebswerk. Dieses hat seinen ursprünglichen Zweck längst erfüllt und dient seit 1977 als Standort des Deutschen Dampflokomotiv-Museums. An einzelnen Tagen führt dieses auch Pendelfahrten über die »Schiefe Ebene« durch. Hierbei können Interessierte »hautnah erleben, wie sich die Dampfrösser früher in der Steigung abmühen mussten«, wie das Deutsche Dampflokomotiv Museum auf seiner Website schreibt.

Die Halle mit dem Gastronomieangebot kombiniert mit Bedacht historische Zeugnisse mit zeitgemäßer Innenarchitektur. (Foto: Michael Reiner)
Revitalisierung

Ab 2013 wurde beim DDM ein Museumsentwicklungskonzept (MEK) in die Realität umgesetzt. ATELIER BRÜCKNER aus Stuttgart übernahm die szenografische Gestaltung. Die jetzt erfolgte Revitalisierung des Bahnhofsensembles bedeutet die Finalisierung des MEK. Diese wird ergänzt durch den Neubau eines baulich zurückhaltenden Eingangsgebäudes (Architektur: Anja Müller, Kasendorf), die Gestaltung des Prä-Prologs im alten Eingangsbereich des Deutschen Dampflokomotiv Museums, des Sonderausstellungsbereichs, die Integration der Dauerausstellung zur Schiefen Ebene mit der Neuinszenierung der Modellbahnanlage, die Neu- und Umgestaltungen im Außenbereich sowie die Neukonzeption des Museumspädagogischen Zentrums im Kohlenhof, Teilprojekte, die wie die Revitalisierung ATELIER BRÜCKNER übertragen wurden. Um das unter Denkmalschutz stehende Ensemble fachgerecht sanieren zu können, wurden zunächst die Raumstrukturen reorganisiert: Insbesondere im Empfangsgebäude haben in der Vergangenheit diverse Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen die historische Substanz verklärt. Die Durchwegung des Erdgeschosses und die Wiederherstellung alter Sichtbezüge soll die Vergangenheit wieder spürbar machen. 

Auch vor dem einstigen Fahrkartenschalter lässt sich tafeln. (Foto: Michael Reiner)

Für die Bahnhofshalle entwickelte man ein neues gastronomisches Konzept, das sich in Anordnung und Ausstattung ebenfalls am historischen Vorbild orientiert: Bis zu 100 Personen finden hier Platz – wobei der 300 Quadratmeter große Raum flexibel für Veranstaltungen nutzbar ist. Durch den Biergarten des Restaurants wird dabei gleichzeitig der Außenbereich reaktiviert und der Vorplatz bzw. der Zwischenraum von Empfangs- und Sozialgebäude wieder bespielt. Letzteres lag bisher brach und wird jetzt von den Eisenbahnfreunden Kulmbach als Vereinsheim genutzt. Auch in den Obergeschossen des Bahnhofsgebäudes wurden die ehemals klaren Strukturen wieder aufgegriffen: Während in den Seitenflügeln des ersten Obergeschosses wieder Wohnungen geschaffen wurden und im zentralen Gebäudeteil kleinere Einheiten Seminargästen zur Verfügung stehen, befinden sich im zweiten Obergeschoss weitere Seminarräume. Die Mischnutzung verspricht ein zukunftsfähiges Gebäude, das sowohl die Umgebung aufwertet als auch der Gemeinde und ihren Bedürfnissen dient.

Das Sozialgebäude wird jetzt von den Eisenbahnfreunden Kulmbach als Vereinsheim genutzt. (Foto: Michael Reiner)

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