Zwischennutzer und ihr vermeintlicher Erfolg

Wolfgang Kil
20. Februar 2013
Am 21. Februar um 19 Uhr diskutieren Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer und Philipp Misselwitz (Urban Catalysts) mit Daniela Brahm (ExRotaprint) und Wolfgang Kil beim Arch+ feature im alten "Haus Ungarn", Karl-Liebknecht-Straße 9, Berlin; 2 Neuerscheinungen

"Verrennen Sie sich nicht in Permanenz." Dieser Rat der Berkeley-Professorin Margaret Crawford könnte gut als Motto über dem ganzen Buch von Urban Catalyst stehen. Die Gründer des Forschungsnetzwerks wappnen sich mit betont sachlicher Analyse gegen jede idealistische, gar euphorische Erwartung. Sie nehmen den Begriff Zwischennutzung wörtlich, in der Vorsilbe "Zwischen-" sehen sie die Endlichkeit der Unternehmung schon vorgegeben. Mit solcher Portion Rationalität schaffen sie es, nicht nur das kommerzielle Umkippen einiger berühmter Großprojekte – etwa beim Spitalfield Market in London oder den NDSM-Werfthallen in Amsterdam – zu beschreiben, sondern auch die eigenen bitteren Erfahrungen beim Kampf um den "Volkspalast" auf der Berliner Spreeinsel zu reflektieren.

ExRotaprint, Berlins Musterprojekt: Baudenkmal, Industriebrache, jetzt alternativer Gewerbehof (Bilder: Free Wikimedia, Daniela Brahm) 

Längerfristige Perspektiven   In der Bremer "ZwischenZeitZentrale" sieht man das ein bisschen anders. Den Aktivisten dort geht es nicht nur um vorübergehend veränderte Spielregeln, sondern um nachhaltig geänderte Verhältnisse, weshalb in ihrem Buch der Begriff Zwischennutzung eine sanfte Ausweitung erfuhr: Second Hand Spaces ("schon mal gebrauchte Räume") sollen, anstelle der befristeten Freuden des Lückenfüllers, zu echtem Funktionswandel führen: Das "Recyceln von Orten" will am Ende gänzlich neue Orte sehen. Diese Beispielsammlung kommt deutlich emotionaler daher, ihre Herausgeber hoffen und bangen mit den Akteuren der verschiedenen Projekte. Mit dieser Parteinahme bezeugen sie das unverzichtbare Motiv jeden Leerstanderoberers – jenes Stück romantischen Überschwangs, der die stete Neugier auf vakante Räume trägt.
Das Nebeneinander der zwei Positionen bringt die Kernfrage aller temporären Aneignungen auf den Punkt: Um wen oder was soll es eigentlich gehen – um eine Bändigung des vorübergehend aus dem Takt geratenen Grundstücksmarkts, oder um die "Zwischennutzer" als aktive und sich deutlich artikulierende Interessengruppe einer Gesellschaft im Wandel?

Mit viel Lärm zum Erfolg: Das ORWO-Haus in Berlin-Marzahn. Leerstand, Zwischennutzung, jetzt Zentrum freier Musikproduktionen (Bild: Free Wikimedia, A. Arnold) 

Kompromiss und Drahtseilakt  Man darf sie zu den Gewinnern der Krise rechnen. Doch auch wenn die Preise für ihren kleinen Gewerbehof im Keller und die Grundstücksverweser großzügig waren, sind die Leute vom Hallenser Postkult e.V. sich der Konsequenzen bewusst, die der neue Aggregatzustand des Eigentümerdaseins mit sich bringt: "Auf das Prädikat 'Leerstandsnutzer' müssen wir nun wohl verzichten." Trotzdem wollen sie sich nicht so rasch geschlagen geben: "Das Grundstück darf niemals zum Selbstzweck werden. Es muss immer Rahmen für unsere Aktivitäten, also ein Mittel für unsere eigentlichen Zwecke bleiben. Ein Drahtseilakt, den wohl jeder bewältigen muss, der sich für die soziale, kulturelle, mitunter auch bauliche Aufwertung von Quartieren einsetzt."
Lassen sich gegen derart konfliktgeladene Kompromisse wirklich keine Vorkehrungen treffen? Die Freude über die "befreiten Räume" galt doch nicht dem reinen Spaßvergnügen verwöhnter Großstadtkinder. An diese Räume wurden doch ernsthafte Erwartungen gestellt: Nach Klaus Overmeyer sind sie keine temporären Spielwiesen, sondern "Nährboden für experimentelle Arbeits- und Wohnformen, alternative Ökonomien oder die Erfindung neuer kultureller Szenen –Werte, die unter herkömmlichen Bedingungen der Immobilienwirtschaft nur schwer entstehen." Die jetzt allenthalben gefeierte Rückkehr in den "Normalzustand" bedeutet für die betroffenen Stadtteile also auch eine effektive Verarmung. Mühselig errungene, aber notwendige Freiräume gehen wieder verloren! Deren Rückverwandlung in Vermarktungsobjekte erfordert schlicht andere Nutzer. Oder man zwingt die hartnäckig Ausharrenden so lange in ein Anpassungskorsett, bis noch der letzte Funken anarchischer Kreativität erlischt.  
Immerhin zeigt die offizielle Debatte über eine veränderte Liegenschaftspolitik in Berlin, das ein Bewusstsein für den Wert solch unverplanter, dem Marktdruck entzogener Flächen und Räume wächst. Wo solche "Teststrecken" und "Probebühnen" nicht – als Krisenfolge – im Selbstlauf und im Überfluss entstehen, wäre es Aufgabe der Verwaltungen, entsprechende Nischen freizuhalten. Ob Bahnhof, Lokschuppen, Kino oder Postamt seligen Angedenkens – irgendein Stück kommunaler Infrastruktur wurde doch in jeder Stadt ausgemustert. Sollte da nicht der frische Geist von Improvisation und Experiment frei wehen dürfen?

Bahnhof Radebeul-West, seit Jahren Leerstand, weil die Stadt auf den reichen Investor wartet. (Bild: Wolfgang Kil) 

"Betongold"  Eine Feststellung darf schließlich nicht verschwiegen werden: Oft ist es gar kein wirklich neu erwachsender Nutzungsdruck, der die Nachfrage nach eben noch leeren Räumen und damit die Konkurrenz auf die zwischennutzenden Billigheimer antreibt. Weil das Vertrauen in die üblichen Anlageformen des Bankengeschäfts sinkt, werden inzwischen Flächen und Häuser ergattert, ohne sie wirklich bebauen bzw. betreiben zu wollen. Immer häufiger geht es um das panische "Verbuddeln" ziellos umherirrender Geldmengen. Dank international agierender Aufkäufer steigen in Berlin oder München die Bodenpreise inzwischen wöchentlich in messbaren Margen, und wie die Süddeutsche Zeitung schon im vorigen Sommer meldete, werden mittelgroße Städte Ostdeutschlands für süd- und westdeutsche Anleger plötzlich wieder attraktiv. Immobilienhandel zum Zwecke reiner Geldversenkung hat aber weder Nutzerbedürfnisse noch überhaupt irgendwelche gesamtstädtischen Belange im Kalkül. Es gibt bereits Stimmen, die davor warnen, dass der schwunghafte Handel mit nicht real nachgefragten Flächen und Räumen die nächste Blase riskiert. Wollen wir uns wirklich damit trösten, dass sich in der dann drohenden Stunde der Wahrheit wieder jede Menge Leerstand auftut, neue Spielwiesen für die "Zwischennutzer" der nächsten Generation? Wolfgang Kil

Literatur:
Michael Ziehl, Sarah Oßwald, Oliver Hasemann, Daniel Schnier (Hrsg.): Second Hand Spaces. Über das Recyceln von Orten im städtischen Wandel. Jovis Verlag, Berlin 2012
Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer, Philipp Misselwitz (Hrsg.): Urban Catalyst. Mit Zwischennutzungen Stadt entwickeln. Dom Publishers, Berlin 2013
"Wahnsinn Immobilie", in: Süddeutsche Zeitung vom 21.7.2012, S. 32

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