Wolken unter Denkmalschutz?

Martina Metzner
18. März 2020
Das 120 Meter lange Foyer verbindet das Sprech- mit dem Musiktheater der Städtischen Bühnen Frankfurt. (Foto: Oper Frankfurt)

Als Ende Januar die Stadtverordneten in Frankfurt beschlossen, die Doppelanlage für Oper und Schauspiel der Städtischen Bühnen am Willi-Brandt-Platz abzureißen, dauerte es nicht lange, bis sich der regional stark verwurzelte Immobilienentwickler Groß & Partner mit einem Entwurf von OMA für einen möglichen Neubau am Osthafen vorwagte. Stimmt nicht – so Niklas Maak nur wenige Stunden später in der FAZ: Rem Koolhaas distanziere sich von dem Entwurf. Maak verglich den Entwurf mit einer Luxusyacht und einem Stück Käse, bei dem man beim Partybuffet immer wieder etwas abgeschnitten hätte. Etwa später schrieb das Journal Frankfurt jedoch, dass das Büro sehr wohl hinter dem Entwurf stehe. Auf Anfrage für diesen Artikel bestätigte dies OMA. Die Spekulationen um die Städtischen Bühnen hatten damit Ende Februar eine neuen Höhepunkt erreicht. Nun ist Anfang März eine Petition von führenden Personen aus Architektur und Kultur unter Federführung von Philipp Oswalt, Professor für Architekturtheorie in Kassel und ehemaliger Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau, hinzugekommen, die die Debatte weiter anheizt.

Das Konglomerat aus Schauspiel (linker Bauteil) und Oper (rechter Bauteil) erhebt sich zentral am Willi-Brandt-Platz. (Foto: Uwe Dettmar)
Kosten für Sanierung und Neubau ähnlich

Seit sieben Jahren steht das Schicksal der Städtischen Bühnen in Frankfurt zur Diskussion. Denn schon lange war klar, dass die Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz, zwischen Bahnhof und Stadtzentrum, einer grundlegenden Sanierung bedürfen – die Dächer sind undicht, die Foyerfassaden nur einfachverglast, Brandschutzvorkehrungen nicht mehr ordnungsgemäß; zudem wurden feuchte Wände und eine veraltete Haustechnik mit jahrhundertealten Rohrleitungen bemängelt. Jährlich wurde eine Summe von rund 1 bis 2 Millionen Euro in Instandhaltungsmaßnahmen investiert. 2012 beliefen sich die Kostenschätzungen einer Sanierung noch auf 130 Millionen Euro. Die Stadt Frankfurt hat dann 2013 eine Machbarkeitsstudie bei PFP Architekten aus Hamburg in Auftrag gegeben, um die Kosten einer kompletten Gebäudeertüchtigung genauer zu beziffern. Das Büro von Professor Jörg Friedrich ist renommiert in Sachen Theaterbau, so hat es unter anderem das Schauspielhaus in Düsseldorf saniert. Im Juni 2017 wurde schließlich die Machbarkeitsstudie vorgestellt. Darin wurde aufgezeigt, dass rund 80 Prozent des Gebäudes saniert werden müssten – vor allem die Teile hinter den öffentlichen Bereichen, die für Technik, Lager, Garderoben etc. 11.000 Quadratmeter an Probe- und Logistikräumen sollten zusätzlich integriert werden, dies wollte man mit einem neuen 96 Meter hohen Turm an der Stelle des jetzigen Opernmagazins geschehen. Außerdem müssten Geschossdecken teils angehoben werden, da sie nicht mehr den Arbeitsrichtlinien entsprächen.
Eine eigens eingerichtete Stabstelle prüfte die Ergebnisse, ihre Bewertung diente den Stadtverordneten zur Entscheidung. Eine reine Basissanierung würde demzufolge 826 Millionen Euro kosten, eine verbesserte Sanierungs-Variante käme auf 918 Millionen Euro. Im Vergleich dazu: Die Sanierung der Oper in Köln, einem Nachkriegsbau von 1957 von Wilhelm Riphahn, dauert bereits seit 2012, soll 2023 abgeschlossen werden und beziffert sich vorläufig auf 577 Millionen Euro. Schließlich wurde in der Machbarkeitsstudie auch die Möglichkeit eines Abrisses und Neubaus vorgestellt. Nach Prüfung wurden die Kosten für eine neue Doppelanlage an gleicher Stelle mit 875 Millionen, für zwei getrennte Häuser mit 809 Millionen beziffert – bei letzterem spare man sich Interimskosten.

Die weltweit größte Drehbühne befindet sich in der Oper Frankfurt. (Foto: Barbara Aumüller)
Transparenz für junge Demokratie

Doch was ist das eigentlich für ein Haus, um das so viel Aufheben gemacht wird? Interessanterweise befinden sich noch die Außenmauern des alten, im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schauspielhaues aus dem Jahr 1902 unter der Konstruktion der heutigen Anlage. Daher sprechen die Frankfurter nicht etwa von den Städtischen Bühnen, sondern vom Schauspielhaus. Vor dem Zweiten Weltkrieg war hier nur das Städtische Theater beheimatet – Oper wurde in der heutigen Alten Oper gespielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte man auch mit der Oper an den Standort des Schauspielhauses. Dort wurde bis 1963 die Doppelanlage durch ABB Architekten errichtet. Das Schauspiel Frankfurt, so nun der neue Name, wurde mit der Oper Frankfurt durch eine 120 Meter lange Glasfassade und ein gemeinsames Foyer verbunden. Interessant dazu: Die Bürgerinitiative „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt e.V.“ befürwortet eine Rekonstruktion des historischen Schauspielhauses. 

Der Bau, der Sprech- und Musiktheater aneinander koppelt, von den Frankfurter Architekten Otto Apel und Hannsgeorg Beckert sowie dem Ingenieur Gilbert Becker, die unter ABB Architekten firmierten und auch für Bauten wie das Nordwestzentrum oder die Deutsche Bundesbank verantwortlich zeichneten, steht aufgrund seiner Transparenz symbolhaft für die damals junge Demokratie. Seine kühne Architektur lehnt sich mit klaren Linien und der Fassadenlisenen an den an damals vorherrschenden International Style an. Das um einen Stock erhobene Niveau des Foyers, das von Frankfurtern liebevoll „Aquarium“ genannt wird, ist typisch für öffentliche Nachkriegsbauten. Dort wirken die Besucher selbst wie auf einer Bühne. Hintenan befinden sich noch die kleinen Kammerspiele. Ende 1987 brannte der Opernturm vollständig aus. Später wurde er in unveränderter Form wiederaufgebaut. Von 2005 bis 2010 erweiterte Gerkan Marg & Partner den Komplex um einen Anbau für die Theaterwerkstätten für rund 55 Millionen Euro. Gleichzeitig wurde der Bühnenturm der Oper um fünf Meter aufgestockt, ein Ballettproberaum ergänzt. Der Komplex in der heutigen Form ist daher eine Collage verschiedener Bauperioden, die sich immer an geänderte Bedürfnisse anpasste.

Der Entwurf von OMA wurde vom Immobilienentwickler Groß & Partner in Auftrag gegeben und avisiert einen neuen Standort am Osthafen. (Rendering: OMA)
Symbol der bewegten Nachkriegszeit

Vor allem hat sich das Schauspiel mit seinen Stücken nicht nur in Frankfurt, sondern in Deutschland und über dessen Grenzen hinaus in die Kulturgeschichte der Nachkriegszeit eingeschrieben. In den 1970er- und 1980er-Jahren war die Doppelanlage Austragungsort von Debatten nationaler Bedeutung, die schließlich im Deutschen Herbst kulminierten – etwa durch die Inszenierung von Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ um einen jüdischen Immobilienspekulanten, die eine bundesweite Aufruhr auslöste und zum Aufführungsverbot führte. Das Schauspiel war bis 2009 außerdem Heimat des zeitgenössischen Ballettkompagnie des international gefeierten William Forsythe. Die Oper Frankfurt mit der weltweit größten Drehbühne wurde viermal, zuletzt 2018, von der Zeitschrift Opernwelt als „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet. Nur so kann man verstehen, weshalb die Debatte um die Zukunft der Städtischen Bühnen solche hohen, emotionalen Wellen schlägt.

Bislang spaltete sich die Diskussion um die Städtischen Bühnen grob gesehen in zwei Lager – mit den Anhängern der Petition kommt nun ein neues hinzu. Der Idee der Rekonstruktion des Schauspielhauses wie vor dem Zweiten Weltkrieg erteilten die Stadtverordneten bereits eine Absage. Immobilienentwickler wie Groß & Partner, aber auch der ehemalige Planungsdezernent Martin Wentz sowie Baudezernent Jan Schneider (CDU) plädieren für ein spektakuläres Signature Building im Osthafen-Gebiet – der Entwurf von OMA sollte das illustrieren. Als einer der ersten hatte Martin Wentz einen eher biederen Entwurf für den Raab-Karcher-Standort vorgeschlagen – der in der öffentlichen Meinung auf wenig Gegenliebe stieß. Der größte Teil der Theater- und Kulturszene votiert für den bisherigen Standort im Herzen der Stadt, darunter auch Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD). Sie will Oper und Schauspiel allerdings trennen, um sich so Kosten für ein Interim einzusparen. Möglicher zweiter Standort könnten die Wallanlagen sein, der grüne Gürtel, der die Innenstadt umschließt. Mitunter schalten sich auch Architekten wie Arno Lederer in die Diskussion ein, der das benachbarte Staatstheater in Darmstadt saniert hat und aktuell das Volkstheater in München baut. Er wünscht sich für die Städtischen Bühnen Frankfurt eine dem inhaltlichen Konzept angepasste Architektur und einen internationalen Wettbewerb, der auch für junge Architekten offen sei.

Teile des 1902 erbauten Schauspielhauses, das 1944 durch Bomben schwer beschädigt wurde, steckt noch unter der Doppelanlage von ABB Architekten. (Bild: Wikimedia Commons L. L. F. Verlag)
Denkmalschutz für Foyer und Wolken

Oswalt und seine Anhänger hingegen wollen ausdrücklich eine Doppelanlage am Willi-Brandt-Platz unter Würdigung der erhaltenswerten architektonischen und kulturellen Denkmalaspekte erhalten. Den Fokus setzen die Unterzeichner auf das „schützenswerte“ Foyer und dessen Wolken-Kunstwerk des ungarischen Künstlers Zoltán Kemény, das an der Decke des Foyers hängt. Stefan Forster, einer der Unterstützer, möchte daher diskutieren, ob man Foyer und Opernsaal erhalten und den Rest drumherum bauen könne. Damit steht erstmals ein Teilabriss zur Debatte. Der Petition zuträglich dürfte sein, dass das Hessische Denkmalschutzamt seit 2016 prüft, Teile des Hauses unter Denkmalschutz zu stellen. Auch vollkommen außer Acht gelassene Aspekte der Nachhaltigkeit wie der Einkalkulierung der grauen Energie stehen in der Forderung, die mittlerweile mehr als 3.500 Unterzeichner hat. Zudem wollen sie, dass die Debatte um die zukünftige Architektur von einer Auseinandersetzung um ein inhaltliches Konzept getragen wird.

Für viele kommt die Petition von Philipp Oswalt zu spät. Denn die Debatte war in den letzten Jahren schon breit in der Öffentlichkeit ausgetragen worden. Obendrein hatte das Deutsche Architekturmuseum mit einer Ausstellung 2018 unter dem Titel „Große Oper – viel Theater?“ einen wichtigen Beitrag zum Diskurs geleistet. Dennoch dürfte die Petition die Debatte wieder neu anheizen, das zeigen die Namen der rund 430 Erstunterzeichner aus Architektur und Stadtplanung wie Daniel Bartetzko (Moderne Regional), Professor DW Dreysse, Dr. Konrad Elsässer (Martin-Elsaesser-Stiftung), Jürgen Engel (KSP Jürgen Engel Architekten), Kristin Feireiss (Aedes Architecture Forum), Prof. em. Jochem Jourdan, David Kasparek (der architekt, BDA), Professor Stephan Trüby, Tobias Wallisser (LAVA) sowie Wolfgang Voigt, der ehemalige Vize-Direktor des Deutschen Architekturmuseum. Zum Vergleich: Die Debatte um die Rekonstruktion der Altstadt ging auch viele Jahres ins Lande, bereits verhandelte Pläne wurden zwischenzeitlich gekippt. Und obwohl sich viele führende Architekten nach wie vor negativ zur rekonstruierten Altstadt äußern, kommt das Ensemble aus 35 Neu- und Rekonstruktionsbauten bei der Allgemeinheit sehr gut an. Die Kosten dafür waren aber vergleichsweise gering mit circa 200 Millionen Euro. Und während die Altstadt mittlerweile vor allem für die Touristen funktioniert, geht es bei den Städtischen Bühnen um das kulturelle Rückgrat, mehr noch, um das Selbstverständnis der Stadt. 

Angesichts der dynamischen Stadtentwicklung in Frankfurt am Main, die in den vergangenen Jahren einige Häuser der Nachkriegsmoderne zugunsten von Immobilienspekulationen zu Fall gebracht hat, ist es quasi Pflicht der Stadtmütter und -väter, die Städtischen Bühnen als Ort des kulturellen Diskurses aus vom Verwertungsdruck geleiteten Erwartungen herauszunehmen. Frankfurt fehlt es auch mit Hinblick auf die rund 20 neuen Hochhäuser, die gerade entstehen oder entstanden sind, darunter die EZB von Coop Himmelb(l)au, nicht an spektakulären Signature Buildings. Ob allerdings die Entscheidung, die Doppelanlage von ABB Architekten komplett abzureißen, durch die Petition von Philipp Oswalt und seinen Unterstützern noch aufgehalten werden kann, ist ungewiss.

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