Werkausstellung von Michael Ruetz in Berlin

Zeit und Wandel sichtbar machen

Katinka Corts
26. Juni 2024
Michael Ruetz bei Aufnahmen zum Timescape-Projekt. Standfoto aus: FACING TIME, Dokumentarfilm, 2023, Produktion und Regie: Annett Ilijew (© Foto: Ines Thomsen © Annett Ilijew und Michael Ruetz)

Facing Time, Die absolute Landschaft und Eye on Time sind die drei Teile des Projektes Timescapes, in dem Michael Ruetz mit tausenden von fotografischen Aufnahmen die Veränderungen von Menschen, Landschaften und Bauten über die vergangenen Jahrzehnte dokumentiert hat. Die Versuchsanordnung für die Fotografien war dabei immer gleich: Standort und Position waren ebenso wie die Optik definiert, Ruetz fotografierte mit seiner Linhof-Technorama in Farbe und Schwarzweiß, genauso achtete er akribisch auf Blick- und Sichtachse. Allein in Berlin hatte der Fotograf mit den Jahren 140 Punkte definiert, von denen aus er die breitformatigen Aufnahmen zum Berliner Stadtgeschehen in unterschiedlichen Zeitabständen machte. Mit den Jahren entstanden aus den einzelnen, nur für sich sprechenden Aufnahmen jene Reihen, die heute in der Berliner Ausstellung zu sehen sind und die Geschichte der Orte erzählen. 

Michael Ruetz hätte sich für seine Arbeit keinen besseren Ort als Berlin aussuchen können, ließen sich dort doch die Neugestaltung historisch relevanter Orte wie Brandenburger Tor und Schlossplatz genauso dokumentieren wie die Veränderungen im Städtebau, die Sichtachsen unterbrachen oder öffneten und Brachen zu hochverdichteten Quartieren machten. Besonders der Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze, die sich 155 km um die Stadt und durch sie hindurch zog, ist eine Zone der intensiven Veränderung. Der Potsdamer Platz, an dem sich der sowjetische, der britische und der amerikanische Sektor trafen und über den später die Berliner Mauer verlief, wurde ab den 1990er-Jahre mit mächtigen Hochhäusern besetzt, wodurch die ehemalige Grenzbrache zur größten innerstädtischen Baustelle Europas wurde.

Vom Palast der Republik zur Großbaustelle Schloss. Timescape 312, Schloßplatz, Berlin-Mitte: 26.10.2002 / 10.12.2005 / 17.12.2015 (Fotos © Michael Ruetz)
Timescape 139, Linkstraße, Potsdamer Platz, Berlin-Mitte: 26.6.1990 / 3.6.1994 / 11.6.2006 (Fotos © Michael Ruetz)
»Die Fotografie ist eine perfekte Methode, wenn nicht die einzige, nicht nur das Sichtbare zu erfassen, sondern zugleich das Unsichtbare: die Zeit.«

Michael Ruetz

»Ruetz thematisiert nicht den Stillstand, sondern den Wandel, und vergegenwärtigt den Prozess unaufhaltsamer Veränderung am immer gleichen Motiv, der sich mal langsamer, mal heftiger vollzieht.«

Klaus Honnef, Publizist, Kurator und Prof. em. für Theorie der Fotografie

Timescape 178, Alexanderufer/Ecke Kapelle-Ufer, Berlin-Mitte: 2.6.1995 / 9.6.1996 / 26.11.2002 / 9.11.2020 (Fotos © Michael Ruetz)

Mitte der 1960er-Jahre begonnen, beendete Ruetz die Arbeit an Timescapes vergangenes Jahr. Die Entwicklung und den Wandel von etwa 360 Orten hat er insgesamt für das Projekt dokumentiert und mit seinen tausenden von Fotografien ein einzigartiges Gesamtprojekt geschaffen. Die 23 in der Ausstellung gezeigten Timescapes von Ruetz, dem die bildende Künstlerin Astrid Köppe bei dem Projekt assistiert hat, sind zusammen mit dem umfangreichen dokumentarischen Apparat ein Archiv des Wandels und der Geschichte. Dieses Archiv und einen Teil seiner weiteren Arbeiten hat der Fotograf der Akademie der Künste bereits als Vorlass übergeben.

In der Ausstellung sind die Arbeiten zu Berlin zu sehen – neben städtischen Eindrücken auch das Beispiel einer stillgelegten Autobahn, die mit der Zeit wieder Grün überwächst. Die Metamorphose geht aber auch andersherum, wenn zum Beispiel aus einer Brache erst ein grünes Idyll wird, dieses dann aber zerstört wird. Ruetz bezeichnet das im Beitrag von rbb als brutal und kritisiert, wie in der deutschen Hauptstadt über die Jahre mit einer großen Rücksichtslosigkeit gebaut wurde und wird. Einen eigenen Eindruck zur Entwicklung der Stadt kann man sich in der Ausstellung noch bis Anfang August verschaffen. 

Michael Ruetz, Akademie der Künste am Pariser Platz, Berlin 2023 (Foto © Amélie Losier)

Ausstellung: Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin
Künstler- und Kuratorinnenführungen mit Michael Ruetz, Franziska Schmidt oder Astrid Köppe jeweils sonntags, 14 Uhr, nach Anmeldung
Finissage: Führungen mit Michael Ruetz und Franziska Schmidt, 4. August 2024, 14 Uhr

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