Zeichenhaft

schneider+schumacher
2. April 2014
Die Autobahnkirche behauptet sich souverän gegen den Autohof (Foto: Helen Schiffer)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Für Architekten ist es ein Traum, eine Kirche planen und bauen zu dürfen. Es geht um etwas Höheres, Größeres, um etwas, das sich eigentlich nicht fassen oder darstellen lässt. Es geht darum, eine Gestalt zu finden, die uns in unserem Inneren anstößt und es dadurch ermöglicht, Welten zu betreten die für uns sonst verschlossen sind. Unsere Kirche lässt vielfältige Assoziationen zu, die individuell ganz verschieden ausfallen können, von OSB-Gotik bis Origami. Schließlich geht es um das Überirdische und darum, dass es kein eindeutiges Bild von Gott gibt.

Das zweidimensionale Kirchenpiktogramm bildete den Ausgangspunkt für den Entwurf der äußeren Gestalt (Foto: Helen Schiffer)
Die lange, abgeschirmte Eingangsbrücke leitet den Besucher in das stille Innere der Kirche (Foto: Helen Schiffer)
Wie reagiert der Entwurf auf die eher unwirtliche Lage an der Autobahn?

Das Umfeld der Autobahnkirche ist alles andere als idyllisch und lädt nicht unbedingt zur Ruhe und Besinnung ein. Die Kirche muss sich souverän gegen den Autohof und seine wenig subtilen Angebote behaupten. Dies haben wir durch die kantige, reinweiße Außengestalt der Kirche erreicht, die zweifelsfrei den Blick auf sich zieht, neugierig macht, polarisiert, und durch ihre breite Aufgangsbrücke dennoch offen und einladend wirkt.

Die Gestaltung des Inneren der Kirche verfolgt konträre Ziele. Hier soll einerseits eine spirituelle und mystische Atmosphäre herrschen, die aber auch freundlich, warm und angenehm wirkt. Auf diese Art hoffen wir, die Menschen näher an sich und an das unfassbare unserer Existenz zu führen.

Im Inneren öffnet sich die Holzinnenkuppel sanft zum Altarbereich (Foto: Helen Schiffer)
Die Kreuzrippenstruktur der Innenkuppel erinnert fern an gotische Bauten, ist im Gegensatz dazu aber leicht und schafft durch das einfallende Licht eine warme, spirituelle Atmosphäre (Foto: Helen Schiffer)
 
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Als wir zu dem kleinen Wettbewerb eingeladen wurden, waren wir begeistert! Das persönliche Engagement der Familie Hering hat uns beeindruckt und durchweg motiviert, die Kirche in enger Absprache und im Rahmen des möglichen umzusetzen. Denn der gesamte Bau wurde ja rein aus Spenden finanziert, die ein enges Budget vorgaben. Es war also nicht immer leicht, unseren gestalterischen Anspruch und den finanziellen Rahmen in Einklang zu bringen. Aber Dank des unermüdlichen Einsatzes des eigens gegründeten Fördervereins und der Einsatzbereitschaft aller Beteiligten, also von Planern, Firmen und Bauherren – all dies zusammen ermöglichte letzten Endes den Bau der Kirche. In seiner Gestalt wurde der Entwurf nur von uns beeinflusst.

Je nach Blickwinkel stellt sich die Autobahnkirche unnahbar-kantig oder einladend-klar dar (Foto: Helen Schiffer)
 
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Anfänglich planten wir die Autobahnkirche noch als Betonbau. Wir dachten an komplexe  Hohlräume, die das Licht nach Innen durchführen sollten, stellten uns eine Schalen-konstruktion aus Putz vor und wir entwickelten komplexe Metallkonstruktionen. Aber irgendwie ergab sich nicht die selbstverständliche Einheit von Konstruktion, Material und Atmosphäre, die wir uns vorstellten. Als fest stand, dass die Kirche aus Gründen des Budgetrahmens ein Holzbau wird, wurde auch die Gestalt der Innenkuppel klar. Wir nahmen die bisherige Schalenform und überlagerten sie mit der Rippenstruktur, die das einfallende Licht auf transzendente Weise steuert. Wir fanden ein Raster, das progressiv nach außen dichter wird, um die bodennahen Teile der Kuppel so nahe aneinander zu bekommen, dass die Außenwände der Kirche für die Besucherblicke verborgen bleiben. Wahrnehmbar bleibt vor allem das Tageslicht, das magisch von oben durch die Rippen fällt.

Lageplan (Zeichnung: schneider+schumacher)
 
Grundriss (Zeichnung: schneider+schumacher)
 
Schnitt (Zeichnung: schneider+schumacher)
 
Autobahnkirche Siegerland
2013
Wilnsdorf (bei Siegen)

Nutzung
Autobahnkirche, christlich-ökumenisch

Auftragsart
Wettbewerb, 1. Preis

Bauherrschaft
Förderverein Autobahnkirche Siegerland e.V.

Architektur
schneider+schumacher Planungsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main

Team
Michael Schumacher, Hans Eschmann (PL), Kerstin Högel (BL), Jana Heidacker, Ragunath Vasudevan, Alexander Volz, Elmar Lorey, Baha Odaibat

Fachplaner
Tragwerk/Baupysik: B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH, Frankfurt am Main
Haustechnik: rpb - ingenieure GmbH, Köchingen
Lichtkonzept: Studio Dinnebier, Berlin
Vermessung: Dipl.-Ing. Jürgen Seelbach, Siegen
Kunst am Bau: Heine/Lenz/Zizka Projekte GmbH, Frankfurt/Berlin
Typografie für Psalm am Haupteingang

Ausführende Firmen
Stahlbeton-Rohbau: W. Hundhausen Bauunternehmung GmbH, Siegen
Holz-Rohbau:  Holzbau Amann GmbH, Weilheim-Bannholz
Fenster: Metallbau Weinmann, Friedrichsdorf
Fassadenbeschichtung: Elacoat GmbH, Schaan (FL)
Stahltreppe: Ernst Stahl- und Treppenbau GmbH, Burgwald-Bottendorf
Bodenbelag: Obering. Kaspar König & Söhne, Siegen,
Hartmut Thielmann Baugeschäft, Breitscheid
Holz-Kuppel/Mobiliar: Schreinerei Hein GmbH, Waldbüttelbrunn
Lüftung/Fußbodenheizung: Robin Sohn GmbH, Neunkirchen
Elektroarbeiten: Michael Pitthan  GmbH, Kirchen-Wehbach
Türen: Metallbau Weinmann, Friedrichsdorf
Holzbau Amann GmbH, Weilheim-Bannholz

Hersteller
Beleuchtung: ERCO GmbH

Gebäudevolumen
ca. 2.000 m³

Bruttogeschossfläche
240 m²

Gesamtkosten
1.500.000 €

Auszeichnungen
best architects ’14
DAM Preis für Architektur in Deutschland 2013, Shortlist
ICONIC Awards 2013, Best of Best

Fotos
Helen Schiffer

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