Wehmut in Gesundbrunnen

Manuel Pestalozzi
4. April 2023
Der „kleine Palast“ erinnert nicht an repräsentative Funktionen, sondern an die Tage, in denen die Computer-Industrie in Berlin Fuß fassen wollte. (Foto: Peter Kuley/Wikimedia Commons)

Der gemeinsame Nenner der beiden Paläste ist das bedampfte, braun getönte und reflektierende Glas sowie der strenge orthogonale Raster, der die Hülle gliedert. In den frühen 1980ern waren solche „Sonnenbrillen-Fassaden“ das Nonplusultra des angesagten, in die Zukunft weisenden Baustils. Manche dachten gleich an Ludwig Mies van der Rohe und seinen Seagram Turm in New York. Doch das positive Image hielt sich nicht lange. Heute begegnen viele diesen Zeitzeugen mit Nostalgie – selbst wenn es für sie eigentlich nur wenig Ankerpunkte gibt, handelt es sich bei den Bauzeugen doch oft um neutrale Strukturen, die frei interpretierbar sind.

In Berlin ist dieses Verhältnis vielleicht etwas anders, weil es den Palast der Republik der DDR gab, der 2008 vom Erdboden verschwand und seither als irritierende Leerstelle in der Erinnerungskultur herumgeistert. Computer-Hersteller Nixdorf orientierte sich sicher mehr an Vorbildern in den USA als am 1976 eröffneten „Palazzo Prozzo“, nachdem der Entscheid gefallen war, in Berlin-Gesundbrunnen eine Produktionsstätte für Großrechner mit 6000 Mitarbeiter*innen zu errichten. Für die Architektur war Hans Mohr zuständig, der auch schon Gebäude am Nixdorf-Hauptsitz in Paderborn entworfen hatte. Als Heinz Nixdorf und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 1984 den Grundstein legten, war die Rede vom „Silicon Wedding“ – auch wegen der umliegenden Unternehmen auf dem historischen Industriegelände von AEG, berichtet die Welt in einem aktuellen Rückblick auf die Entstehungszeit.

Ein neues Quartier

Nur kurze Zeit diente das Gebäude an der Gustav-Meyer-Allee dem angedachten Zweck. 1990 wurde die Produktion eingestellt, im selben Jahr ging Nixdorf im Siemens-Konzern auf. In Gesundbrunnen zog die Verwaltung der Berliner Sparkasse ein. Doch jetzt sind die Tage des kleinen Palastes gezählt: „Das Gebäude soll nach dem Auszug der Berliner Sparkasse abgerissen werden, da es nicht den heutigen energetischen und funktionalen Standards entspricht“, erklärte Laura Sander vom Bezirksamt Mitte dem Berliner Kurier. Der Abriss sei in der zweiten Jahreshälfte 2024 geplant. Denn es soll Neues entstehen: Die Investmentgesellschaft Coros will auf dem 6,5 Hektar großen Gelände ab 2025 das „Quartier am Humboldthain“ errichten, mit einem „Nutzungsmix aus Wissenschaft, Labor, Büro und Produktion“. Im vergangenen Jahr ging das vom dänische Planungsbüro COBE aus dem zweiphasigen, städtebaulichen Wettbewerb hervor, der die künftige Gestalt des Quartiers bestimmen soll. Sein Entwurf sieht eine Bebauung mit überwiegend fünf- bis achtgeschossigen Gebäudezeilen mit Hochpunkten rund um einen zentralen, grünen Quartierspark vor. Dieser soll künftig als Erholungsraum und „grüne Lunge“ des Areals dienen. An der Gustav-Meyer-Allee, an dem der kleine Nixdorf-Palast noch steht, werden eher niedrigere Gebäudehöhen um einen Hochpunkt gruppiert, der den Eingang zum Quartier bilden wird.

Andere Artikel in dieser Kategorie