Mexikanische Anregungen für das Ehrenmal in Bad Nauheim

Manuel Pestalozzi
24. Oktober 2023
Das Gemeinschaftsprojekt der Studierenden aus Mexiko erhält die Säulenhalle mit den Gedenktafeln und schafft um sie herum Aufenthaltsräume. (Visualisierung: Universidad Autónoma Metropolitana (UAM))

Das Gedenken an die Toten sucht stets nach neuen Ausdrucksweisen, welche die Würde der Verstorbenen wahren. Besonders anspruchsvoll ist diese gestalterische Aufgabe, wenn an ein ungewöhnliches, kollektives Sterben, wie bei Epidemien oder im Krieg, erinnert werden soll. Einem solchen Zweck dient in der mondänen hessischen Kurstadt Bad Nauheim das Ehrenmal, dass den gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts gedenkt. Es steht auf dem ehemaligen »Löffler'schen Weinberg«, in einem Park, der Ende des 19. Jahrhunderts angelegt wurde. Die Anlage in der Blickachse der promenadenartigen Parkstraße wurde vom Regierungsbaurat August Metzger entworfen und 1933, kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, eingeweiht. Die Denkmalpflege Hessen bezeichnet die Anlage als Pfeilerhalle mit flankierenden geschlossenen Kuben. Die in den Hang eingebettete Anlage folgte in der Art einer Stützmauer den Höhenlinien, er kaschierte auch einen Wasserbehälter. Hehrer Anspruch und profaner Zweck gingen dabei eine eigenartig anmutende Mischung ein, kommentiert die Denkmalpflege die Wirkung.

Die inhaltliche Aussage der Gedenkstätte erfährt einen Höhepunkt in zwei monumentalen Figurenpaaren seitlich vor der Pfeilerhalle, die den soldatischen Auftrag verherrlichen. Der Entwurf Metzgers sei trotzdem nicht als typische NS-Monumentalarchitektur anzusprechen, betont die Denkmalpflege Hessen. Die als klassizistisch zu charakterisierenden Bauelemente seien soweit reduziert, dass sie an die Formensprache des Neuen Bauens aus den 1920er-Jahren erinnerten. Trotzdem hängt der Anlage für manche der Ruch der nationalistisch motivieren Gewaltverherrlichung an. Das Gebäude habe seinen patriotisch chauvinistischen Nimbus nicht verloren und sei zunehmend zu einem Anziehungspunkt von rechtsextrem ausgerichtetem Publikum und deren Aktivitäten geworden, zuletzt mit einem »Heldengedenken«, kommentiert die SPD Bad Nauheim die Wirkung der Stätte auf ihrer Website.

Im ursprünglichen Vorschlag von Hugo Galván Peréz wurde die Anlage mit kräftigen, schon fast an Luis Barragán erinnernden Farbanstrichen »verfremdet« und dadurch neu lesbar gemacht. (Visualisierung: Universidad Autónoma Metropolitana (UAM))

Im März dieses Jahres diskutierte der städtische Ausschuss für Sport und Kultur über die Zukunft der Anlage, wie die Frankfurter Neue Presse berichtet. Eine Koalition aus Grünen, CDU und SPD hatte im Stadtparlament angeregt, die ohnehin notwendige Sanierung mit einer inhaltlichen Botschaft an die Nachfolge-Generationen zu verknüpfen, etwas durch eine Umwidmung in eine Gedenkstätte für Opfer von Krieg und Vertreibung. Dieses Ansinnen stieß in der Bevölkerung auf Widerstand. Es gehe schließlich um das Gedenken an Verstorbene, die mit Namen genannt werden. Der Kernstadt-Ortsbeirat plädierte für eine Sanierung und die Ergänzung der Anlage durch Infotafeln, erarbeitet durch die AG Geschichte.

Der Gemeinschaftsentwurf orientiert sich am bestehenden Eingriff und interpretiert die Terrassierung neu. (Plan: Universidad Autónoma Metropolitana (UAM))
Anregungen aus der Ferne

Die Diskussion kam auch Architektur-Professor Christof Göbel zu Ohren. Er stammt aus Bad Nauheim, unterrichtet an der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM) in Mexiko-Stadt und beschloss, die Neugestaltung des Ehrenmals zur Entwurfsaufgabe für seine Studierenden zu machen. Er gab ihnen vier Wochen Zeit für Vorschläge. »Es war schwierig, aber es ist befruchtend, sich – mit dem Blick von außen – damit zu befassen«, zeigte sich Professor Göbel gegenüber der Frankfurter Rundschau überzeugt. Die Annäherung an die Aufgabe erfolgte über Fotos und geschichtliche Informationen.

In den Entwürfen sind Inhalte, wie beispielsweise Trauer, Leben nach dem Tod und Begrünung erkennbar. Jede Kultur hat ihre eigene Art und Weise, sich mit diesen Themen und den mit ihnen verbundenen Gestaltungsmitteln auszudrücken. Manche der Entwürfe wirken »exotisch«, aber der Bezug zum spezifischen Standort bleibt erkennbar. Diese Herangehensweise aus der Ferne muss als anregend empfunden werden, weil er für Neuinterpretationen dieser Gedenkstätte interessante Impulse vermitteln kann. Besonders viel Anklang unter seinen Kolleg*innen fand der Vorschlag von Víctor Hugo Galván Peréz. »Er hat das Monument als Ort der Begegnung interpretiert«, kommentierte Professor Göbel den Ansatz. Die Studierenden arbeiteten den Entwurf anschließend weiter aus. Die Pfeilerhalle mit den Namen der Gefallenen bleibt in seinem bisherigen Zustand erhalten, der Figurenschmuck wird entfernt. Die seitlichen Gebäude würden leicht verändert, die Fassaden geöffnet. Im einen Flügel sehen die Studierenden einen Bereich für Kinder und Jugendliche, im gegenüberliegenden Volumen würde ein Raum für Erwachsene geschaffen – zum Karten- oder Schachspielen, wie angeregt wird. »Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kommen in dem Entwurf zusammen«, meinte Göbel, als er der den Entwurf mit den anderen Arbeiten dem städtischen Ausschuss für Sport und Kultur vorstellte. Auf der Dachterrasse sei bei diesem Entwurf ein »Café der Generationen« vorstellbar. Die Initiative führt zum Schluss, dass ein Schuss mexikanischer Entspanntheit der Kurstadt vielleicht ganz gut anstehen würde.

Über der Pfeilerhalle sieht der Gemeinschaftsentwurf ein »Café der Generationen«. (Visualisierung: Universidad Autónoma Metropolitana (UAM))

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