Chef von Zaha Hadid Architects begrüßt EU-Austritt

Der Pro-Brexit-Architekt

Oliver Pohlisch
18. Juli 2016
Staatlich finanziert: das Schwimmzentrum für die Olympischen Spiele 2012 von Zaha Hadid Architects (Bild: George Rex via Wikimedia Commons)

Patrik Schumacher, langjähriger Geschäftspartner von Zaha Hadid und seit ihrem Tod im Frühjahr alleiniger Chef von Zaha Hadid Architects (ZHA), veröffentlichte vor einer Woche auf uk.archinect.com einen Text, der den Brexit als Türoffner ins Reich der Marktradikalität willkommen heißt und - wenig überraschend - für eine heftige Debatte in der Kommentarspalte gesorgt hat.

Großbritannien könne sich nun freimachen von der paralysierenden Umarmung durch die regulatorischen, gleichmacherischen Übertreibungen der Europäischen Union, so Schumacher. «Die Tendenz der EU, immer mehr Aspekte des sozialen und ökonomischen Lebens im Namen des Schutzes seiner Bürger und der Schaffung eines eingeebneten ökonomischen Spielfeldes zu lenken und zu 'harmonisieren', lähmt jegliche unternehmerische Innovation und führt zur Stagnation», tadelt er. Damit setzt er sich deutlich von seinen Kollegen auf der Insel ab, die das Pro-Brexit überwiegend mit Bestürzung zur Kenntnis genommen hatten, wie German-Architects berichtete.

Drei Aspekte hebt Schumacher in seiner Polemik besonders hervor, nicht zuletzt, weil sie unmittelbar sein Metier betreffen: die Zuwanderung, das Arbeitsrecht und Bau- und Planungsvorschriften. Gerade bei Letzterem wird allerdings deutlich, dass seine Kritik gar nicht so sehr der EU, sondern ganz allgemein dem Staat auf allen Ebenen gilt. Als in London beheimateter Architekt bemängelt er eine Überreglementierung des Bausektors durch den nationalen Gesetzgeber, die Stadtregierung und die Bezirksrathäuser. Von einer europaweiten Nivellierung kann hier also keine Rede sein. Es sind kommunal festgelegte Standards in Bezug auf Wohnungsgrößen, die Baudichte oder den Anteil von «erschwinglichem» Wohnraum bei Neubauten, die seiner Meinung abgeschafft werden sollen, damit Investoren den Wünschen und Bedürfnissen einer dynamischen Bevölkerung besser nachspüren könnten.

Dass aber ausgerechnet eine von jeglicher staatlicher Einmischung bereinigte Konkurrenz von Kapitalgebern die Wohnungskrise Londons zu lösen imstande ist – daran glaubt wohl niemand, der in den vergangenen Jahren beobachten konnte, wie gerade die vorhandenen Auflagen für Bauprojekte in der britischen Metropole von Investoren teils auf kreativste Art und Weise ausgehebelt wurden, während die Mieten und Immobilienpreise einfach weiter in die Höhe schnellten.

Nur «Wettbewerb», keine «Kooperation»
Überhaupt ist in Schumachers Text viel von «Wettbewerb» die Rede. Das Wort «Kooperation» kommt dagegen kein einziges Mal vor – so, als ob nur die Rivalität unternehmerischer Individuen, nie aber eine Zusammenarbeit zwischen Akteuren und Institutionen die von Schumacher gewünschten Innovationen hervorbringen kann, deren Gehalt er im übrigen nicht näher ausführt.

Mehr Konkurrenz wünscht der Architekt auch auf dem Jobmarkt, dessen Regulation durchaus noch Sache der Nationalstaaten ist. Und Schumacher zeigt sich explizit froh darüber, dass Großbritannien jetzt schon beim Arbeitsschutz signifikant vom Kontinent abweicht. In Deutschland, so behauptet er, würde eine Firma wie seine gar nicht existieren, müsste sie doch dann bei Entlassungsrunden soziale Indikatoren berücksichtigen und könne nicht bloß die halten, die für das Unternehmen am «wertvollsten» seien. Im Umkehrschluss mag das wohl heißen: Die Konkurrenz aus München, Berlin und Düsseldorf kann ZHA in Sachen Kreativität und Ästhetik einfach nicht das Wasser reichen, schlicht, weil ihr der Sozialstaat die Fesseln angelegt hat.

So, als ob zum Beispiel der Gender Pay Gap nichts weiter als ein Ammenmärchen sei (um im von Schumacher negativ konnotierten, geschlechtsspezifischen Bild des «nanny state» zu bleiben), hält der ZHA-Chef die auf der EU-Ebene verabschiedeten, die Arbeitswelt betreffenden Anti-Diskriminierungs-Gesetze für hinfällig, da Diskriminierungen in den entwickelten Gesellschaften praktisch nicht mehr existierten. Sowieso stünden sie konträr zu den Interessen der Unternehmer, die einzig und allein Leistung zum Maßstab nähmen. Stattdessen, so Schumacher, würden solche Gesetze zu ihrem regelmäßigen Missbrauch durch solche einladen, die keine Leistung erbingen wollen oder können. Diskriminierungen würden, behauptet Schumacher unverblümt, wenn überhaupt, immer und überall eher von der Belegschaft als vom Arbeitgeber ausgehen.

Big Government statt schlanker Staat
Trotzdem das EU-Referendum sich eindeutig an der Frage der Zuwanderung entschieden hat, meint Patrik Schumacher, dass Großbritanniens Austritt die Chance berge, eine offenere, immigrationsfreundlichere Gesellschaft und Wirtschaft zu schaffen. Und wie? In dem man Einwanderung nach rein ökonomischen Kriterien steuert und wohlfahrtstaatliche Leistungen für Neuankömmlinge einschränkt, denn dann fließt ja automatisch nur das arbeitsfähigste Humankapital ins Land.

Schumacher erklärt, dass die Vorschläge der britischen Regierung zur Begrenzung des Zugangs zu staatlichen Zuwendungen für Einwanderer aus der EU von Brüssel abgelehnt worden seien. Tatsächlich hatte Cameron während der Verhandlungen um ein Reformpaket gegenüber den anderen Mitgliedsländern immerhin eine vierjährige Sperre durchsetzen können. Die Mehrheit für den Brexit aber kam zustande, weil selbst das den Wählern nicht restriktiv genug war. Die vielen prekär Beschäftigten in den Regionen Nordenglands erachten auch arbeitende und steuerzahlende Ost- und Südeuropäer als Konkurrenz auf dem Jobmarkt und, erfolgreich indoktriniert durch die rechtspopulistischen Parolen von Ukip, zudem als vermeintliche Gefahr für die kulturelle Identität ihrer über Jahre deindustrialisierten Gemeinden.

Vor allem in Richtung dieser durch die Effekte der Globalisierung verunsicherten oder tatsächlich ins Abseits gedrängten Bevölkerungsteile addressierte die neue Premierministerin Theresa May ihre ersten Worte nach Amtsantritt. Sie suggerieren, dass May zur Bewältigung der anstehenden Probleme statt eines staatlichen Rückzugs eher eine Wirtschafts- und Sozialpolitik verfolgen wird, die stärker interventionistisch orientiert ist als die ihres Vorgängers David Cameron. Nicht einmal die von Schumacher so sehr geschätzten Tories möchten in der schwierigen Phase, in der sich das Land gerade befindet, freudig der Ideologie Maggie Thatchers, die in seiner antietatistischen Rhetorik nachhallt, folgen. Ein marktradikales Albion wird also der feuchte Traum des Architekten bleiben.

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