Aufgeklappt und abgetaucht

Huber Staudt Architekten
12. März 2014
Der eingegrabene Labor-Neubau (links) klappt aus dem „Physikalischen Park“. Rechts: das umgebaute Observatorium.  (Foto: Werner Huthmacher)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Bereits im Wettbewerb im Frühjahr 2008 mussten wir zwei unterschiedliche Haltungen zur anstehenden Bauaufgabe annehmen: Eine bewahrende, bei der Rekonstruktion des historischen Observatoriums und eine innovative Haltung beim Neubau des benachbarten MRT-Forschungslabors. Das Observatorium gilt als das älteste Physiklabor in Deutschland. Es wurde auf Initiative von Werner von Siemens errichtet, um die physikalischen Maßeinheiten im aufkommenden Industriezeitalter zu definieren. Heute ist die Physikalisch Technische Bundesanstalt PTB mit Sitz in Braunschweig und Berlin das nationale Metrologie-Institut. Das Observatorium wurde im Krieg weitgehend zerstört und in den fünfziger Jahren nur notdürftig wieder aufgebaut. Unser Wettbewerbsentwurf zeigt eine Lösung, wie das historische Gebäude einerseits in seiner ursprünglichen Form und Materialität wiederhergestellt werden und andererseits aber auch als modernes Forschungsgebäude genutzt werden kann.

Ausgangspunkt für das MRT-Labor ist ein unterirdischer Messraum als Ausstülpung des Observatoriums. Jener Raum, in dem zu Beginn des Jahrhunderts die erste deutsche Quarz-Uhr stand, die Taktgeber für die Zeitmessung im Deutschen Reich war, beherbergt heute einen der stärksten Magnetresonanztomographen (MRT) Deutschlands. Dieser sollte für Wissenschaftler und Probanden erschlossen und um weitere Räume ergänzt werden. Die Kernidee des Wettbewerbs war, das neue MRT-Labor als Teil des „physikalischen Parks“, also des großzügigen Campus der PTB zu interpretieren. Alle Räume liegen vollständig auf der abgesenkten Ebene des historischen Quarzuhren-Kellers und werden über einen geneigten Lichthof natürlich belichtet und belüftet. Eine aufgefaltete begrünte Dachfläche als Bestandteil des „Physikalischen Parks“ bildet den Eingang, das «Abtauchen» wird ablesbar.


 

Der geneigte und begrünte Innenhof wird durch eine neu gepflanzte, blühende Felsenbirne betont (Foto: Juny Brullet)
 
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Bereits im Studium haben wir uns mit dem „Eingraben“ als architektonische Intervention auseinandergesetzt. Beispiele sind die Erweiterung des „Sainsbury Centre for Visual Arts“ von Norman Foster oder auch die unterirdischen Studios des ORF von Gustav Peichl. Durch die Herausforderung, einen Neubau mitten im Park zu realisieren, rückten die Fragen nach sich auflösenden Grenzen in den Mittelpunkt der Entwurfsüberlegungen. Wo ist das Ende der Wiese und der Anfang des Gründachs?

Die Eingangstreppe folgt der Neigung des Innenhofs (Foto: Werner Huthmacher)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Zahlreiche kleine Einbauten (Garagen, Umspannstationen, Gaslager, et cetera) hatten die großzügigen räumlichen Zusammenhänge zwischen dem historischen Observatorium und den rahmenden Altbauten auf dem Stammgelände völlig verwischt. Das „Abtauchen“ des Neubaus bot die einmalige Chance, den Ort neu zu ordnen und verlorene Bezüge wiederherzustellen. Die „aufklappende“ Wiese und der «abtauchende» Patio bilden neue, überraschende topographische Elemente, ohne die Idee des «physikalischen Parks» zu schwächen. Im Gegenteil: Kleinere topographische Interventionen im Gelände sind bereits vorhanden, zum Beispiel zur Absaugung der Außenluft am Observatorium.

In die tiefgelegte Erschließungshalle gelangt viel Tageslicht (Foto: Werner Huthmacher)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die Erläuterungen der Nutzer beim Kolloquiumsrundgang reiften schnell zu der Erkenntnis, dass nur ein radikaler Ansatz die widersprüchlichen Anforderungen zu einer sinnvollen Nutzung zusammenführen konnte – anstelle der zweigeschossigen Aufteilung der zusammenhängenden Nutzung drängte es uns, alle Räume in eine Ebene zu verlegen. Ausgangspunkt war der Wunsch der Nutzer, die Aufnahmeuntersuchung der Probanden mit kurzen Wegen zum bereits im Untergeschoss eingebauten Forschungs-MRT zu verknüpfen. Der Bedienplatz musste in der Geräteachse des Magnetrings des MRT´s angeordnet sein, um Reaktionen der Probanden und getesteten Materialien im laufenden Prozess beobachten zu können. Verknüpft mit dem Wunsch nach großzügiger Versorgung mit Tageslicht und möglichst freiem Ausblick, entstand der Entwurf sehr geradlinig und logisch.

Die Bestandsbäume im „Physikalischen Park“ zwischen begrüntem MRT-Labor und Observatorium konnten erhalten werden (Foto: Werner Huthmacher)
 
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die Grundidee hat sich sehr stabil bis zum heutigen Betrieb erwiesen. Wesentliche Details haben sich geändert, wie zum Beispiel die  Attika des Grasdaches, die sich von einer ganz filigranen Kante zu einem kräftigen geknickten Band wandelte. Die Eindeutigkeit und Geradlinigkeit der Attika stellte sich als wesentlich heraus, um der Kontrast zur transparenten Glasfassade darunter zu stärken.

Hinter MRT-Labor, Observatorium und «Physikalischem Park» lugt die Silhouette von Charlottenburg hervor (Foto: Werner Huthmacher)
 
Inwiefern findet sich die „Handschrift des Büros“ im Gebäude wieder?

Beim Neubau des MRT-Labors findet sich ein wesentliches Charakteristikum unserer Herangehensweise wieder: Die Lösung einer komplexen, funktionalen Aufgabe, mit dem Ziel, ideale Arbeitsbedingungen für die Wissenschaftler zu schaffen, verbindet sich zu einer sehr poetischen architektonischen Grundaussage.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Das „Eingraben“ als architektonische Grundhaltung bekommt in der momentanen Diskussion zu nachhaltigen Architekturkonzepten eine neue Bedeutung. Da sind wir natürlich nicht allein. Mit der Auflage, 5 Jahre lückenloses Monitoring zu betreiben, konnte das gesamte Gebäude als erstes Laborgebäude in Deutschland mit LED Beleuchtung ausgeführt werden

LED-Licht beleuchtet den Eingang und die Erschließungshalle  (Foto: Werner Huthmacher)
Das Eingangsdach wird durch filgrane, fassadenintegrierte Stützen getragen. Verbunden wird das MRT-Labor mit dem umgebauten Observatorium durch eine Rampe am Eingangsplatz  (Foto: Werner Huthmacher)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Dazu zählen die Glasfassade mit den bündigen Glasandruckleisten aus poliertem Edelstahl und die großflächige Verwendung von Ortsterrazzo, der sich in der Farbe und Struktur am Altbau orientiert. Außerdem sind die Sichtbetonoberflächen sehr hochwertig gelungen und die Räume dank der mit Mikroperforation ausgestatteten Systemtrennwände akustisch sehr gut.

Lageplan (Zeichnung: Huber Staudt Architekten)
 
Grundriss (Zeichnung: Huber Staudt Architekten)
 
Schnitt (Zeichnung: Huber Staudt Architekten)
Physikalisch-Technische Bundesanstalt Berlin, Umbau Observatorium, Neubau MRT-Labor
2013
Abbestraße 2 - 11
10587 Berlin

Nutzung
Forschungslabore für Medizinphysik und Biomedizin, insbesondere Forschungslabor für Magnetresonanztomographie, MRT

Auftragsart
Beauftragung nach gewonnenem Wettbewerb

Bauherrschaft
BBR, Berlin

Architektur
huber staudt architekten bda, Berlin

Team
Julian Arons, António Henriques, Christian Huber, Leander Moons, Natalia Novoa Vidal, Tobias Schäfer, Joachim Staudt, Wolfgang Staudt, Jörg Wich

Fachplaner
Tragwerksplanung: Blüml & Riethmüller
Landschaftsarchitektur: Bernard : Sattler
Denkmalpflege: a´s´d
Brandschutz: Peter Stanek
Lichtplanung: Studio Dinnebier
alle Berlin

Ausführende Firmen
Rohbau: Fa. ANES, Berlin
Trockenbau: Fa. Lindner, Arnstorf
Fassadenarbeiten: Fa. Innotech, Berlin
Gründach: Fa. Brandenburg

Hersteller
Fassade: Fa. Schüco
Trennwandsystem: Fa. Lindner
LED: Fa. RIDI

Energiestandard
EnEV 2009 (-30 %)

Gebäudevolumen
17.714 m³

Bruttogeschossfläche
3.973 m²

Kubikmeterpreis
540,815 €/m³

Gebäudekosten
Observatorium:
6.930.000 €
MRT-Labor:
2.650.000 €

Gesamtkosten
9.580.000 € brutto

Auszeichnung
da! Ausstellung 2013 in Berlin

Fotos
Werner Huthmacher, Berlin (1, 3-8)
Juny Brullet, Berlin/Barcelona (2)

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