Komplexe Gewöhnlichkeit

Peter Petz
23. Januar 2013
Tafel und Agora
Auf dem weitläufigen Gelände des im Münchener Nord-Osten gelegenen Garchinger Wissenschaftszentrum soll die alte Mensa ersetzt werden. Welche Bilder leiteten Sie durch den Entwurf für den Neubau der Mensa?

Die Neue Mensa in Garching wird ein Ort werden, an welchem in regelmäßigen Abständen und begrenzten Zeiträumen sehr viele Menschen immer wieder zusammentreffen werden.
Wir haben deshalb beim Entwurf sehr schnell begonnen, die Neue Mensa als die neu geschaffene „Kardia“, das Herz des Campus zu verstehen. Als einen kristallinen Lichtkörper, ein durch einen Filter umhülltes Gefäß, das im Wechselspiel Mensch und Materie aufnimmt und wieder loslässt. Diese Vorstellung findet sich auch im Umgang mit dem Licht und den Sichtbeziehungen wieder. Licht fällt in die Mensa ein, gleichermaßen strahlt sie von innen heraus.
Die Organisationsform des Quadrats dient hierbei der inneren Funktion und ist der Vorstellung von einem richtungslosen Solitärbaukörper entlehnt, der sowohl von außen als auch in sich zentriert die „Mitte“ darstellt und verkörpert.

„Kardia“ - Herz des Campus
Welche stadt- und freiräumlichen Themen waren Ihnen besonders wichtig?

Mit unserer städtebaulichen Konzeption antworten wir integrativ auf die vorhandenen Strukturen des Campus Garching: so wie die Baumasse, die unter Bezugnahme auf die bestehende Rasterstruktur und die umgebenden Bestandsbauten gesetzt ist, verknüpft sich der Neubau mit seinem direkten Umfeld und verortet ihn in diesem unverrückbar. Mit dem Rückbau des bestehenden Plateaus der alten Mensa bauen wir die zentrale Mitte nach Norden hin weiter und führen sie fort. Diese Maßnahme führt zu einer selbstverständlichen Setzung des Solitärbaukörpers, der gut sichtbar und prägnant von der zentralen Mitte aus erlebbar wird. Auf dem neu entstehenden Vorbereich, als räumliche Erweiterung der zentralen Mitte, haben wir die bestehenden Wegeverbindungen zusammengeführt. Über die mögliche Nachverdichtung auf dem Areal der alten Mensa, zum Beispiel mit einem „IAS des 22. Jahrhunderts“, (Anm. d. Red.: IAS=Institute for Advanced Study) könnte dem Vorbereich weitere Qualität verliehen werden. Die Durchwegung des Neubaus von Süd nach Nord war uns hierbei besonders wichtig. Auf diese Weise werden auch die bestehenden Institutsbauten sowie mögliche Neubauten und Nachverdichtungen, die sich im Norden der neuen Mensa befinden, sehr gut angebunden.

Durchwegung
Agora, Erschließung, Speisesaal
Wieviele der zu Semesterzeiten am Campus beschäftigten 15.000 Menschen werden täglich in der Mensa erwartet? Welches innenräumliche Thema war Ihnen besonders wichtig?

Die Neue Mensa soll künftig täglich rund 7.300 Essen bereitstellen können, welche größtenteils über die insgesamt 1.700 Essensplätze der Neuen Mensa konsumiert werden. Nur ein kleinerer Anteil ist für externe Bewirtschaftungsflächen bestimmt.
Über einen Hof, einen zentralen Treffpunkt als funktionsverbindende ‚Agora‘ werden die einzelnen Bereiche erschlossen. Sie dient als Freifläche für die Cafeteria und ist Ort der Begegnung und der Kommunikation. Die ‚Agora‘ wird von schattenspendenden Kiefern überstanden. Das Foyer als räumliche Erweiterung der ‚Agora‘ beherbergt die Vertikalerschliessung, die Basis (Sockel) und Raum (Speisesaal) verbindet. In der Basis sind die öffentlich zugänglichen Bereiche um die ‚Agora‘ gruppiert: Foyer, Studentenkommunikation und Cafeteria sorgen für pulsierendes, kommunikatives und studentisch-attraktives Leben. Für das Obergeschoss gilt: Vorbereiten, Kochen, Ausgeben, Essen, Rückgeben und Spülen, gemeinschaftlich auf einer Ebene, der ‚großen Tafel‘. Die Grenzen der einzelnen Funktionsbereiche können unserer Auffassung nach hierbei fließend sein. Die Funktionsverteilung gehorcht dem Personen- und Warenfluss, wobei sich der Speisesaal in die Mitte öffnet. Blickbeziehungen über die ‚Agora‘ zur Cafeteria und zum Foyer lassen die räumliche Komplexität spürbar werden und sorgen für gute Orientierbarkeit innerhalb des Organismus.

Grundrisse
Teilschnitt
Welche Besonderheiten hinsichtlich Konstruktion, Material und Gebäudetechnik zeichnen Ihren Vorschlag aus?

Die konstruktive Struktur des tragenden Gerüstes aus Stahlbeton reagiert auf die Schichtung der unterschiedlichen Nutzungen und räumlichen Strukturen: der Sockel eng und dicht, der Raum (Speisesaal) licht und weit. Eine Kassettendecke aus Stahlbeton bildet das Dachtragwerk des Speisesaals und verleiht dem Raum in Verbindung mit dem seitlichen Lichteinfall eine einzigartige Atmosphäre.
Der das Gefäß umhüllende Filter aus wartungsfreien Glasbausteinen ermöglicht im Speisesaal den Lichteinfall durch Bereiche mit hinterlegter transluzenter Wärmedämmung, die eine hervorragende Lichtstreuung garantiert. In Übergangszeiten leuchtet die Neue Mensa von innen heraus. Wohl gesetzte Öffnungen im Filter ermöglichen Blickbeziehungen, sowie Ein- und Ausblicke.
Auch die thermische Struktur des Gebäudes wird getragen von der Konzeption der Mensa als ‚Kardia‘. Über die transluzente Wärmedämmung werden in der Kälteperiode solare Gewinne aktiviert. Integrierte Sonnenschutzvorrichtungen und Nachtlüftung schützen vor Überhitzung in der Sommerperiode. Die hohe Speichermasse der Konstruktion reguliert ausgleichend die klimatischen Schwankungen auf selbstverständliche Art und Weise.

Detail
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Ein konkreter Fertigstellungstermin ist uns noch nicht bekannt. Angestrebt wird von Seiten des Staatlichen Bauamtes eine Fertigstellung zum Wintersemester 2017/18. Wir wissen auch, dass das Studentenwerk auf eine zeitnahe Inbetriebnahme der Neuen Mensa drängt, zumal die alte Mensa an ihrem Lebensdauerende angelangt ist.

Modell (Foto: Staatliches Bauamt München 2)
Neubau Mensa, Campus Garching
Begrenzt offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren

Jury
Josef P. Meier-Scupin, Vors.
Prof. Hannelore Deubzer
Gero Hoffmann
Stefanie Jühling
Jörg Moser
Prof. Meinrad Morger
Prof. Peter Pfab

1. Preis
meck architekten
München

ein 3. Preis
Burger Rudacs Architekten
München

ein 3. Preis
Auer+Weber+Assoziierte
München

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