Horizontal geschichtet

Peter Petz
3. Dezember 2014
Grundstück, am rechten Bildrand der Zaun zur britischen Botschaft.(Bild: Maxim Winkler)

Peter Petz: In Tiflis, Georgien, sollen für die Deutsche Botschaft das Kanzleigebäude und die RK-Visa-Stelle der Deutschen Botschaft, sowie die Residenz für den deutschen Botschafter realisiert werden. Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?
Tobias Wulf: Wir haben uns gefragt, was es heißt, für die Repräsentation Deutschlands im Ausland zu bauen. Was bedeutet das für Georgien, was für den speziellen Ort, an dem das Gebäude stehen soll? Was ist eigentlich eine Botschaft, wie kann sie unser Land darstellen? Wie sind die strengen Sicherheitsauflagen vereinbar mit einer freundschaftlichen, offenen Architekturhaltung, die dem Verhältnis der beiden Staaten entspricht? Was macht den Ort aus, die Stadt Tiflis, aber auch die direkte Umgebung des Bauplatzes? Wie ist die Topografie, wie steil das Gelände, wohin schweift der Blick, wie ist der Boden, welche Beschaffenheit und Farbe hat er? Wie ist die Vegetation, wie riecht es dort, wie ist das Klima im Jahresverlauf? Aber auch, wie baut man dort, was können die Menschen vor Ort dazu beitragen? Wir haben also eine Menge Fragen gestellt, die zunächst einmal gar nicht viel mit den quantitativen und komplizierten organisatorischen Anforderungen der Aufgabe zu tun haben. Kurz: wir wollten uns in das Thema einfühlen. Da der Ort gegenwärtig noch nicht stark von anderen Gebäuden geprägt ist, spielt der Bezug zur Natur und zur Landschaft eine wichtige Rolle. Die britische Botschaft als westlicher Nachbar besteht bereits und die Schweizer Botschaft soll als östlicher Nachbar später folgen.

Blick auf Kanzlei und Residenz

Wie organisieren Sie das Gebäude?
Bezeichnend für die konkrete Aufgabenstellung ist die Tatsache, dass das Programm und auch das Organigramm nicht nur die Innenräume, sondern auch die Außenräume umfasst. Dies betrifft die präzise Zuordnung ebenso wie die Einteilung in die unterschiedlichen Sicherheitsbereiche. Man konnte und durfte die Aufgabe mit einem oder auch mit mehreren Gebäuden lösen. Im Prinzip gibt es vier unterschiedliche Funktionsbereiche: die Kanzlei, die Visastelle, die Residenz und die Wohnung des Botschafters. Jeder hat seinen eigenen Freibereich und seinen separaten Eingang. Die Abgrenzungen und Kopplungen sind ebenso streng vorgegeben wie die Zugangswege vom öffentlichen Straßenraum aus. Nachdem wir all das analysiert und sortiert hatten, kamen wir zu dem Schluss, dass es vorteilhaft wäre, das Volumen auf zwei Baukörper zu verteilen, die sowohl seitlich als auch in der Höhe versetzt angeordnet sind. Der vordere Baukörper beinhaltet die Kanzlei mit seitlich angegliederter Visastelle, während die Residenz und die Wohnung den hinteren, etwas kleineren Baukörper einnehmen. Kanzlei und Visastelle müssen über separate Zugangswege von der Straße aus verfügen, andererseits an einer definierten Stelle im Inneren auch koppelbar sein. Aufgrund der inneren Organisation und der hohen Besucherfrequenz wird die Visastelle Tageslicht von zwei gegenüberliegenden Längsseiten erhalten. Der Haupteingang führt frontal in die Kanzlei, die sich über einen zentralen Lichthof nach oben entwickelt. Wegen des Geländegefälles liegt die Vorfahrt zur Residenz zwei Geschosse über dem Straßenniveau. Von dieser Ebene aus ist auch die Wohnung des Botschafters erschlossen, die noch eine Ebene höher liegt und dort Gartenanschluss erhält.

Modell

Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?
Das Thema war ein ausgewogenes dreidimensionales Geflecht sich ergänzender und überlagernder Innen- und Außenräume. Deshalb waren uns Höfe, Terrassen, Vorplätze, Gärten, Vertikalräume im Inneren genauso wichtig wie die eigentlichen «Nutzräume». Auf diese Weise soll der reine Zweck des Hauses mit dem Thema der Repräsentation in ungezwungener Weise auf eine höhere Ebene gehoben werden. Die Nutzung stellt hohe Ansprüche an die atmosphärische Ausstrahlung der Räume. Welche Stimmung braucht ein Empfangsraum, welche ein Raum, in dem auf einem historischen Flügel Konzerte in kleinem Kreis gegeben werden? Gleiches gilt für die Freibereiche mit Bewirtung, die verschiedenen Vorfahrten für PKW, die Wartezonen für Visabesucher im Inneren und im Äußeren. Einzelthemen gibt es viele bei einem solchen Gebäude, auch wenn es gar nicht besonders groß ist. Die Herausforderung haben wir darin gesehen, sie zu einem harmonisch kontrollierten Gesamten zu fügen.

Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?
Bei der Materialwahl spielten neben den gestalterischen Aspekten auch die Grundsätze der Nachhaltigkeit – eigentlich gefällt mir der Begriff «Zukunftsfähigkeit» besser – eine Rolle. Es ging darum, welche Materialien am Ort vorhanden sind und welche Bauweisen von den georgischen Handwerkern und Baufirmen beherrscht werden. Dieser Aspekt wurde auch schon vom Auslober des Wettbewerbs erwähnt. Dabei müssen die klimatischen Bedingungen einfließen, die sich in Tiflis vor allem in sehr heißen und trockenen Sommermonaten manifestieren. Größere Glasflächen in der Fassade und geringe Speichermassen wären nur mit aufwändigen technischen Maßnahmen zu kompensieren. Eine Fassade, die aus einer funktionsgerechten horizontalen Schichtung aus massiven Flächen und Glasflächen besteht, erschien uns geeigneter. Weiterhin war uns die Einheit von Innen- und Außenraum wichtig, was zu einer Betrachtung der Gesamtanlage als plastisches Bodenrelief führte. Das Modell ist deshalb komplett aus höhenlinienartigen Schichtungen dargestellt, auch die Baukörper. Das Material, welches all diesen Anforderungen am ehesten gerecht wird, ist der Lehm. Wir wollen ihn mit vor Ort getrockneten, großformatigen Blöcken in unterschiedlicher Höhe und changierender Farbigkeit verwenden. Die Fensterbänder sollen tief in den Leibungen sitzen. Dadurch können zusätzliche Sonnenschutzmaßnahmen entfallen oder zumindest reduziert werden. Das Material Lehm soll sowohl im Innenraum als auch an der Fassade und in den Freianlagen verwendet werden. Dies wird noch einige Vorabuntersuchungen erforderlich machen.

Ansicht Ost

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Bei der Eröffnung der Wettbewerbsausstellung war von dem 200-jährigen Bestehen der deutsch-georgischen Freundschaft die Rede. Dieses Jubiläum wird im Jahr 2016 begangen. Bis dahin kann das Gebäude nicht fertiggestellt sein, aber vielleicht kann zu diesem Zeitpunkt Richtfest gefeiert werden. Der Bauherr hat diesen Wunsch vage geäußert.

Lageplan

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