«Wir Architekten sind unstete Kreaturen»

Uta Abendroth
29. Oktober 2014

Herr Adjaye, vor einiger Zeit haben sie gesagt «Architektur verliert ihre Relevanz zum Leben. Es geht mehr um das Spektakel als um die Gebäude». Was unternehmen Sie gegen diesen Trend?
Ich versuche, «monolithische» Statements zu vermeiden und eine Architektur zu kreieren, die den Zugang zu einem kollektiven Bewusstsein und gleichzeitig den Dialog zwischen verschiedenen Generationen und sozialen Gruppen ermöglicht. Das ist die Essenz meiner Arbeit.

Wie definieren Sie gute Architektur?
Ich glaube, dass gutes Design die soziale Verantwortung und das bürgerliche Bewusstsein hinterfragen soll. Ich habe immer danach gestrebt, die Ästhetik dieses Hinterfragens in meinem Schaffen auszuarbeiten. Im Idealfall sollte Architektur zu sozialem Wandel beitragen.

Francis A. Gregory Neighborhood Library, Washington, DC, 2012

Man sagt, Sie hätten keine spezifische architektonische Sprache. Wie würden Sie selbst Ihren Stil beschreiben?
Ich bin Teil einer Generation von Architekten, die sich vom Konzept des unverkennbaren Stils wegbewegt hat. In meiner Arbeit geht es mehr um die Besonderheiten der Kultur, des Orts, der Geographie usw. Wenn es ein vereinendes Element gibt, dann ist das vielleicht mein Umgang mit Licht als Primärmaterial in der Architektur.

Aber jeder Kontext ist anders, und jeder Kontext bringt ein neues Szenario hervor. Anstatt das Universelle zu suchen, suche ich nach dem Spezifischen. Ich bin der Meinung, dass es fast unmöglich ist, das selbe Projekt immer und immer wieder zu entwerfen – selbst wenn ich das wollen würde.

Sie haben Büros in London, Berlin und New York mit mehr als 30 Angestellten. Gibt es eine Stadt, in der Sie es vorziehen zu arbeiten?
Mittlerweile sind es mehr als 80 Angestellte weltweit – mit Büros in Accra und Shanghai. Man lernt immer dazu sei es in Geschichte, Kultur, Geographie oder dem Klima, was sehr spannend ist. Ich habe ein festes Forschungsteam, das zu Beginn an all unseren Projekten arbeitet. Die Interpretation von Identität, Geschichte und Gedächtnis in meinen Gebäuden ist der Ausgangspunkt des Entwurfs für mich. Ich versuche, ein Verständnis genau dieser Qualitäten zu gewinnen und diese als essentiellen Antrieb für die Form und die Materialität des Gebäudes zu benutzen.

Smithsonian National Museum of African American History and Culture, Washington, DC

Der größte Auftrag Ihres Büros ist der Entwurf desSmithsonian National Museum of African American History and Culture an der National Mall in Washington D.C. Weitere Projekte reichen vom Privathaus über Ausstellungen und temporäre Pavillons bis zu großen Kunstzentren und öffentliche Gebäuden. Welche Auftragsart mögen Sie am liebsten?
Ich bin am breitest möglichen Spektrum an Projekten interessiert, und ich bin immer begierig, neue Typologien anzuschauen. Am wichtigsten ist es, mit Auftraggebern zusammenzuarbeiten, die einen Sinn für meine Fragestellungen haben, und Projekte zu finden, die mich intellektuell vorwärtsbringen.

Ob ein Gebäude schlussendlich Erfolg hat wird auch durch Faktoren jenseits von Architektur und dem Einfluss des Architekten bestimmt. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich bisher mit Ihren Projekten gemacht?
Im Gegensatz zu vielen Architekten macht es mir viel Spaß, die Entwicklung und die Benutzung der von mir entworfenen Gebäude zu verfolgen, denn was mich betrifft, ist das menschliche Narrativ ein Kontinuum und ein wichtiger Teil des Entwurfsverlaufs. Ich habe eine Anzahl an wiederkehrenden Kunden, und das ist oft ein guter Indikator dafür, dass sie mit dem Gebäude zufrieden waren. Aber abgesehen davon tendiere ich nicht dazu, im Sinne von Erfolg oder Scheitern zu denken. Auch sehe ich Gebäude nicht als isolierte Einheiten. Es ist spannend zu sehen, wie sich die Gebäude anpassen und formen, wenn sie einmal Teil der Stadtlandschaft geworden sind. Die Unvorhersehbarkeit der Zukunft eines Gebäudes ist genau das, was mich inspiriert.

Sclera, London Design Festival, 2008

Architektur ist eine langwierige, manchmal zermürbende Angelegenheit. Wie schaffen Sie es, durch die lange Entwicklungs- und Konstruktionsphase zu blicken?
Ich genieße den Prozess, vor allem den Dialog. Für mich ist es mehrheitlich spannend und nicht zermürbend. Zudem arbeite ich in vielen verschiedenen Größenordnungen; Projekte wie etwa Pavillons und Ausstellungen haben eine viel kürzere Entstehungszeit.

Ist die Tatsache, dass Architekturprojekte Zeit verschlingen, der Grund, weshalb sie Exkurse in andere Disziplinen machen, zum Beispiel der «Sclera Pavilion»für das London Design Festival 2008, oder die Installation «Genesis» für die Art Basel Miami 2011?
Nein, das ist nicht der Grund, aber es bringt mir Abwechslung. Ich habe immer danach gestrebt, kreative Plattformen zu kreuzen, indem ich mit Künstlern und Designern aus verschiedenen Disziplinen zusammengearbeitet habe.

Washington Skeleton™ Aluminum Side Chair, David Adjaye 2013. (Bild: Knoll)

Diesen Frühling haben Sie ihr erstes Möbelstück vorgestellt, einen Stuhl für Knoll International. Woher kommt es, dass Architekten vorzugsweise Stühle entwerfen?
Am Anfang war ich besorgt, denn ich bin Architekt, nicht Möbeldesigner. Als ich aber begriffen hatte, dass dies eine Gelegenheit ist, meine Position bezüglich Materialien, Silhouetten und Formen auszudrücken – also die Erweiterung meiner Arbeit als Architekt – wurde die Angelegenheit interessanter und ich fühlte mich diesbezüglich selbstbewusster.

Und was gefällt Ihnen am Washington Chair besonders?
Das Projekt drehte sich um die Erforschung des «Körpers im Raum», aber in einem kleineren Maßstab als in meiner architektonischen Tätigkeit. Knoll hatte schon immer eine erstaunliche Fähigkeit, Möbel zu produzieren, die eine Destillation des Zeitgeists sind.

Sie wurden in Tansania geboren, und bevor Sie mit neun Jahren nach London zogen, hatten Sie bereits in Ägypten, im Libanon und Yemen gelebt. Haben diese Erfahrungen Sie sehr beeinflusst?
Wenn man viel umzieht, beginnt man zu realisieren, auf welch deutliche Weise verschiedene Geographien Städte und Orte prägen. Meine Herkunft hat sicherlich mein Verständnis von Raum geformt, und natürlich schöpfe ich aus Afrika, denn es ist mein Erbe. Aber ich schöpfe auch aus vielen anderen Dingen. So machen das Architekten. Wir sind unstete Kreaturen.


Uta Abendroth ist freischaffende Journalistin, spezialisiert auf Design und Architektur. Sie war Redakteurin bei Design Report, Architektur & Wohnen, Schöner Wohnen, Häuser und Brigitte. Sie lebt in Hamburg.

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