Des Bürgermeisters neue Brücke

Oliver Pohlisch
29. April 2015
Visualisierung der geplanten Garden Bridge (Bild: Arup)

Ein urbaner Garten Eden, unter dem einer der weltbekanntesten Flüsse dahinströmt? Diese Idee einer Brücke spaltet London, obwohl das Bauwerk doch eigentlich verbinden soll: nämlich die beiden Ufer der Themse. Nicht wenige Kritiker bezweifeln, dass es sich bei der geplanten Garden Bridge tatsächlich um eine ordnungsgemäße Fußgängerbrücke handelt. Sie halten die Konstruktion für nichts weiter als eine letzte Duftmarke, die ein in sich selbst und ins architektonische Spektakel verliebter Bürgermeister setzt, bevor er auf nationaler Ebene nach höheren Ämtern strebt.

Boris Johnson, der sich bei der Unterhauswahl am 7. Mai um ein Mandat bewirbt, wird 2016 als Stadtoberhaupt zurücktreten. Der für die breite Masse erschwingliche Wohnraum wurde in London während der Regierungszeit des konservativen Politikers beständig knapper, während dieser großzügig Hochhausprojekte superreicher Investoren aus China oder dem Nahen Osten genehmigen ließ. 263 Gebäude mit mehr als 20 Stockwerkenbefinden sich in Planung, ungeachtet des Vorwurfs, der Bürgermeister würde den Ausverkauf Londons betreiben. Schon hat die Stadt den Titel Dubai an der Themse.

Johnson erwies sich zudem als Fan einer überdimensionierten Jahrmarktsarchitektur, von privater Hand in die Stadtlandschaft gestellt. Dank ihm betreibt seit 2012 die Fluggesellschaft Emirates Air Line eine Seilbahn über den Fluss. Und ArcelorMittal, der weltgrößte Stahlproduzent, errichtete nach Fürsprache durch Johnson im gleichen Jahr im Olympiapark Großbritanniens höchste, begehbare Skulptur, entworfen von Anish Kapoor.

Für die baumbestandene Themseüberquerung gab das Rathaus Ende 2014 grünes Licht – kurz nachdem die Planungsausschüsse der Bezirke Lambeth und Westminster den Bau bewilligt hatten. Ausgedacht hat sich die Garden Bridge die Schauspielerin Joanna Lumley. Bereits Anfang der Nullerjahre wollte sie Johnsons Vorgänger, Ken Livingstone, für die Brücke gewinnen – damals bewarb Lumley sie noch als Monument für die verstorbene Lady Diana. Der Labour-Politiker zeigte sich aber uninteressiert.

Dass Johnson weitaus empfänglicher für Lumleys Projekt war, mag wohl auch daran liegen, dass der Designer Thomas Heatherwick die Brücke gestalten wird. Nachdem dessen Schale für das Olympische Feuer der Sommerspiele 2012 von allen Seiten Lob geerntet hatte, wurde er zum Shooting-Star seiner Branche und vor allem zu einem Liebling des Bürgermeisters. Johnson ließ ihn das jüngste Update des traditionellen roten Doppeldeckerbusses entwerfen. 2013 gewann Heatherwick dann den Wettbewerb für die Gartenbrücke, den der eigens dafür gegründete gemeinnützige London Garden Bridge Trustausgelobt hatte.

Themseüberquerung dank Luftseilbahn (Bild: Oliver Pohlisch)

1000 Kubikmeter Erde in zwei Kupfer-Nickel-Pilzen

Heatherwick, derzeit beteiligt an Googles neuem Hauptquartier in Kalifornien, will die Garden Bridge zusammen mit den Ingenieuren von Arup realisieren. Zwei gigantische Pilze aus einer Kupfer-Nickel-Legierung, wie sie für den Schiffsbau verwendet wird, sollen aus der Themse sprießen und die Brücke tragen. Die 1000 Kubikmeter Erde, mit denen sie befüllt werden sollen, glaubt Heatherwick, mache den Unterschied zu einer Betonbrücke aus, auf der lediglich Blumenkästen in Löcher eingelassen würden.

Die Kosten des Projekts werden auf 175 Millionen Pfund geschätzt. Den Großteil soll der London Garden Bridge Trust bei Firmen und vermögenden Einzelpersonen eintreiben. Die können so die Namensrechte für einzelne Gartenstücke erwerben. Für die Bepflanzung der Brücke wird Landschaftsgestalter Dan Pearson sorgen.

Heatherwick vergleicht das Projekt mit der New Yorker High Line, einem stillgelegten Bahndamm in Manhattan, der lange verrottete, bevor er in einen Park umgewandelt und seine Umgebung damit aufgewertet wurde. Das Areal um die wenig frequentierte U-Bahn-Station Temple auf der Nordseite der Themse habe eine ähnliche Aufhübschung nötig, glaubt Heatherwick. Direkt vom Stationsdach aus soll die 367 lange Garden Bridge über die Themse führen und am National Theatre auf die Southbank treffen.

Während östlich der Tower Bridge keine einzige Brücke den Fluss überspannt, obwohl London sich dort noch Dutzende Kilometer an beiden Seiten der Themse entlangstreckt, gibt es aber ausgerechnet in der Nähe des vorgesehenen Standortes der Garden Bridge eine relativ hohe Brückendichte. Die Garden Bridge wird dann auch den Blick von der Waterloo Bridge auf die City und ihr Gotteshaus beeinträchtigen, beklagt die Gemeinde der St.-Pauls-Kathedrale und lehnt das Projekt entschieden ab. Und von der Southbank aus werde diese Stadtsilhouette dank der im Wasser stehenden voluminösen Kupfer-Nickel-Pilze gar nicht mehr zu sehen sein, fürchtet Michael Bell, ein ehemaliger Direktor der Waterloo Community Development Group, einer Nachbarschaftsorganisation, die sich schon seit den Siebzigerjahren in auf das Südufer bezogenen Planungsprozessen engagiert.

Bell, der zum Wortführer der Brückengegner geworden ist, behauptet, mit den Gesamtkosten für die Garden Bridge könne man andernorts in London die dreißigfache Größe an Grünraum schaffen. Vor dem High Court konnte er eine juristische Überprüfung ihrer Genehmigung durch den Bezirk Lambeth erwirken. Vergangene Woche folgte dort ein Richter Bells Argument, der Bezirk habe bei seiner Entscheidung mögliche Lücken in der Finanzierung des Brückenunterhalts nicht ausreichend berücksichtigt. Der Richter kritisierte Bürgermeister Johnson für seine widersprüchlichen Äußerungen hinsichtlich einer Beteiligung der öffentlichen Hand. Das Oberste Gericht wird im Juni die Überprüfung vornehmen.

Tatsächlich scheint sich im Fall der Garden Bridge das zu wiederholen, was schon für die Seilbahn und die begehbare Stahlskulptur galt. Diese wurden zwar als private Unternehmungen annonciert, erhielten dann aber doch staatliches Geld. Allein für die Emirates Air Line Cable Car musste die Stadt mindestens 24 Millionen Pfund aufbringen, nachdem die ursprünglich veranschlagte Bausumme überschritten worden war.

Dem London Garden Bridge Trust sollen bis jetzt 65 Millionen Pfund aus den Taschen wohlhabender Förderer zugesagt worden sein. Das britische Finanzministerium wird aber immerhin 30 Millionen Pfund für die Errichtung der Brücke zuschießen. Und Johnson, der das Bauwerk als «fantastische Oase der Ruhe im Herzen der Stadt» preist, hat weitere 30 Millionen aus dem Budget der städtischen Transportbehörde zugesichert.

Zwar schloss Johnson zunächst aus, dass die Londoner für die Wartung der Brücke zur Kasse gebeten würden. Doch im März stellte sich heraus, dass er dem Trust sehr wohl zugesichert hat, die jährlich 3,5 Millionen Pfund Betriebsausgaben aus dem städtischen Haushalt zu zahlen, falls die dafür vorgesehenen Sponsorengelder und Einkünfte aus Souvenirverkäufen ausblieben.

Blick von der Warterloo Bridge auf das Nordufer der Themse mit St. Pauls Cathedral und City of London (Bild: Oliver Pohlisch)

Taliban-hafter Hass auf Schönheit

Die Gegner der Gartenbrücke nennen die Unterstützung des Bürgermeisters und des Finanzministers für das Bauwerk einen Skandal. Mittel, die normalerweise für Projekte des öffentlichen Nahverkehrs reserviert seien, würden einer Konstruktion zugeschustert, die nach Fertigstellung kaum als öffentlicher Verkehrsweg bezeichnet werden dürfe.

Zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens soll die Brücke geschlossen bleiben, Fahrradfahren wird auf ihr nicht erlaubt sein und größere Personengruppen werden ihre Überquerung vorher anmelden müssen, was wohl einen Zugang durch Schranken voraussetzt. Ganz offen gibt der London Garden Bridge Trust zu, damit Protest auf der Brücke verhindern zu wollen. Dem Trust wird außerdem das Recht zugesprochen, die Brücke an 12 Abenden im Jahr für exklusive Firmenanlässe zu sperren.

Besonders regt Bell und andere Kritiker die Art und Weise der Bewilligung des Projekts auf. Planungs- und Auftragsvergabevorschriften seien mit privaten Schreiben an den Bürgermeister umgangen worden. Die Kontrollinstanzen hätten ihren Job mangelhaft erledigt. Die Forderung nach einer unabhängigen Überprüfung des Genehmigungsprozesses lehnte Johnson bei einer Fragestunde im Stadtparlament Ende März aber kategorisch ab.

Die kam von der Fraktionschefin der Liberaldemokraten, Caroline Pidgeon. Sie nimmt an, dass Joanna Lumley vor allem aufgrund ihres Status' als Freundin der Familie mit dem Lobbying für die Gartenbrücke Erfolg bei Johnson gehabt hätte. Ihren Vorwurf sah sie durch einen Brief Lumleys an den Bürgermeister aus dem Jahre 2010 gestützt, in dem die Schauspielerin darauf hinweist, dass sie Johnson schon seit seinem vierten Lebensjahr kenne.

Vor allem aber hinterfragte Pidgeon die Entscheidung für den Entwurf von Heatherwick. Sie bemängelte, im Auswahlverfahren sei sein Studio in der Kategorie Konstruktionserfahrung höher gewertet worden als der Mitbewerber Wilkinson Eyre. Obwohl Letzterer schon mehr als 25 Brücken realisiert habe, während Heatherwick bisher lediglich eine Brücke bauen durfte.

Johnson bezeichnete das Verfahren dagegen als angemessen und fair. Pidgeons Argumentation nannte er lächerlich, die Mehrheit der Jury habe das Design von Heatherwick für grandios befunden. Nie verlegen um markige Sprüche, erklärte Johnson, Pidgeons Taliban-hafter Hass auf Schönheit sei deprimierend.

Untersicht der geplanten Garden Bridge (Bild: Arup)

Eine touristische Attraktion zuviel

Wäre Heatherwick ein Genie à la da Vinci, wie ihm Johnson und Lumley stets bescheinigen, dann hätte er den vorgesehenen Standort für die Garden Bridge ablehnen müssen, meint Michael Bell. Die Brücke ende auf beiden Flussseiten eher abrupt. Acht Meter Höhenunterschied zum Boden machten eine wenig elegante Phalanx aus Treppen notwendig. Die Garden Bridge führe von Irgendwo nach Nirgendwo und beziehe sich nicht auf ihre Umgebung. Für die Besucher der Southbank stelle sie sogar ein Sicherheitsrisikodar, glaubt Bell. Schon jetzt brächte der tägliche Strom der Touristen die Uferpromenade auf der Themse-Südseite an die Grenze ihres Fassungsvermögens. Eine weitere Attraktion, von der die Bauherren hoffen, dass sie von 7,1 Millionen Menschen jährlich überquert werde, könne für gefährliche Stauungen sorgen. Auf der Nordseite wiederum drohe ein Ende der Beschaulichkeit rund um die U-Bahn-Station Temple.

Das Projekt bekommt im übrigen noch von ganz anderer Seite Gegenwind. Organisationen wie der London Wildlife Trust oder die Metropolitan Public Gardens Associationverlauteten, das dafür vorgesehene Geld sei an anderer Stelle besser angelegt. Bei den Umweltorganisationen kommt gar nicht gut an, dass der umstrittene Bergbaukonzern Glencore die Kupfer-Nickel-Legierung der Brücke zu spendieren beabsichtigt, einen Baustoff, der zudem einer vielfältigen Fauna unzuträglich sei.

Der Trust bleibt überzeugt vom Nutzen der Brücke für die Stadt genau am geplanten Standort. Nicht nur würde sie Kulturstätten und Sehenswürdigkeiten an beiden Ufern der Themse miteinander verbinden. Sie verbessere auch die Sicherheit von Fußgängern, die dank ihrer Hilfe verkehrsreiche Routen künftig umgehen könnten. Unterstützung erhält der Trust vom noch amtierenden Kulturstaatssekretär Ed Vaizey, der den staatlichen Zuschuss für das Bauwerk als sinnvolle Ausgabe bezeichnet. Und auch Stararchitekt Richard Rogers hält die Brücke für eine wunderbare Idee, die London bereichere.

Oliver Wainwright, Architekturkritiker der Tageszeitung The Guardian, ätzt dagegen, die Gartenbrücke würde wie ein mit mageren grünen Sprengseln garnierter Flugzeugträger wirken. Sie sei geradezu exemplarisch für die Strategie von Immobilieninvestoren in London und andernorts,  öffentliche Zustimmung für ihre in Wirklichkeit trostlosen, profanen Neubauprojekte dadurch zu erlangen, daß sie diese mit ein wenig urbaner Petersilie bestreuten.

Bell will den nationalen Rechnungsprüfungsausschuss dazu bringen, nach der Parlamentswahl eine Untersuchung von Finanzminister George Osbornes Zusage einer Förderung der Garden Bridge durch Verkehrsprojektemittel vorzunehmen. Dem Brückenbau blüht also, durch längere politische und juristische Auseinandersetzungen mindestens verzögert zu werden. Was nicht nur weitere, dringend benötigte Geldgeber abschrecken, sondern auch zur Kollision mit der Konstruktion des so genannten Super-Abwasserkanals entlang der Themse führen könnte. Der Start eines der größten Infrastrukturprojekte Europas ist für 2017 geplant, bis dahin müsste die Sperrung der Schifffahrtsrinne für den Bau des Mittelspanns der Garden Bridge wieder aufgehoben sein.

Die Brückengegner hoffen letztlich, dass eine veränderte politische Konstellation in Westminster nach dem 7. Mai dem Projekt das Wasser abgräbt. Nicht unwahrscheinlich ist aber, dass das Resultat der Wahl so ausfällt, dass es Boris Johnson näher an sein eigentliches Ziel bringt: Großbritanniens Premier zu werden. Sollte bis dahin noch kein Garten Eden über die Themse führen, würde Johnson sicherlich alles in seiner Macht Stehende tun, um diesen am Ende doch noch als Erster beschreiten zu können.


Oliver Pohlisch ist Journalist, Kulturwissenschaftler und Mitglied des Berliner Zentrums für städtische Angelegenheiten, metroZones. Er arbeitet als Chef vom Dienst bei taz.de

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