Das nächste Berliner Spielfeld

Oliver Pohlisch
18. Februar 2015
Aussicht von der Dachterrasse auf das Flugfeld

Die ewige Baustelle des BER-Airport in Schönefeld ruft in Berlin kaum noch Empörung hervor. Und mittlerweile ist es auch um das stillgelegte Tempelhofer Flugfeld wieder ruhig, nachdem die geplante Randbebauung 2014 in einer Volksabstimmung, über die German.architects.com im eMagazin 20/14  berichtet hatte, durch eine Mehrheit der StimmbürgerInnen abgelehnt wurde. Nun gerät verstärkt die Zukunft des dritten Berliner Luftverkehrslandeplatzes in den Blick. Und die steht durchaus in einem engen Zusammenhang mit Schönefeld und Tempelhof. Weil der BER nicht fertig wird, ist der Flughafen Tegel noch immer in Betrieb, seine Kapazitäten werden gerade sogar gesteigert. Und wird er doch mal stillgelegt, muss das Areal das auffangen, was in Tempelhof nicht realisiert werden darf.

Eine 1996 zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg sowie dem Bund  getroffene Vereinbarung sieht vor, dass Tegel ein halbes Jahr nach der Inbetriebnahme des BER dichtmachen muss. Auf einen Schlag können dann rund 495 Hektar und insgesamt 100 Gebäude einer neuen Bestimmung zugeführt werden. Im April 2013 verabschiedete Berlins Senat einen Masterplan TXL, dem seit 2008 sechs öffentliche Standortkonferenzen und damit verzahnte Werkstattverfahren vorausgegangen waren. Teilgenommen hatten daran die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben als Vertreterin des Bundes, mehrere Senatsverwaltungen, die Industrie- und Handelskammer, verschiedene Architektur- und Planungsbüros sowie die Tegel Projekt GmbH. Letztere ist seit 2011 für das Marketing und Management der Nachnutzung von Tegel beauftragt.

Laut Masterplan soll im und um das von Gerkan, Marg und Partner in den 1970er-Jahren erbaute ikonographische, achteckige Flughafenterminal von Tegel ein Forschungs- und Technologiepark für die Stadt der Zukunft entstehen. Dort können neue Konzepte der Energieeffizienz, der Mobilität und des Recyclings sowie die vernetzte Steuerung von Systemen erdacht und getestet werden, heißt es im Werbematerial für das Vorhaben, dem der beunruhigend nach Eigenstaatlichkeit klingende Name Urban Tech Republic verpasst wurde.

Masterplan für TXL (Bild: Andreas Schiebel)
Die Planungen für Tegel als Konzept (Bild: Tegel Projekt GmbH)

15'000 Jobs in 20 Jahren
Vorbild für Tegel ist der schon seit den Neunzigerjahren existierende Technologiepark Adlershof im Südosten Berlins, der von der landeseigenen Gesellschaft Wista betrieben wird, der Mutter der Tegel Projekt GmbH. Und wie in Adlershof, wird sich auch in Tegel als Herzstück der Planung eine höhere Lehr- und Forschungsanstalt niederlassen. Die Beuth-Hochschule für Technik soll das Terminalgebäude beziehen.

Die angrenzenden Flächen stünden als «Campus für Hochschul-, Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiezwecke zur Verfügung». Techniktüftler bekämen hier genügend Platz, um einen Prototypen zu bauen oder eine Produktionsstraße zu errichten und der Öffentlichkeit neue Erzeugnisse vorzuführen. Die Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie steht hier schon als eine Interessentin fest. Sie würde gern zwei Hangars übernehmen, auch, um dort Löschübungen durchzuführen. Die Hangars könnten aber zwischendurch auch für Messen und Kongresse genutzt werden, so die Vorstellung der Tegel Projekt GmbH.

Geplant ist ein Wachstum der «Urban Tech Republic» in vier Phasen von jeweils fünf Jahren. Der erste Bauabschnitt befindet sich südlich und westlich des Terminals und ist als Standort für Start-Up-Firmen vorgesehen. Ist seine Fläche zu zwei Dritteln voll, wird die nächste Etappe gestartet. Zwischen dem Campus und einem naturnahen Erholungselände im Norden soll sich nach dem Willen des Senats für Stadtentwicklung zudem ein rund zwei Kilometer langes, neues Industriegebiet erstrecken.

Erste Entwürfe für die «Urban Tech Republic» wurden von Gerkan, Marg und Partner sowie dem Architekturbüro Graft geliefert. Jedoch soll über ihre tatsächliche Gestalt erst noch in Realisierungswettbewerben entschieden werden. Die Tegel Projekt GmbH rechnet damit, dass sie 2017 die «Urban Tech Republic» an den Start schicken kann. Allein bis dahin darf sie 139 Millionen Euro an staatlichen Geldern für das Projekt ausgeben.

Innerhalb von zwei Dekaden will die Tegel Projekt GmbH 800 Unternehmen und Forschungseinrichtungen an den Standort locken. Diese sollen dort 15'000 Jobs und 5'000 Studienplätze schaffen – bei einem jährlichen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro. Vorerst kann aber aufgrund der Ungewissheit über den Zeitpunkt der Fertigstellung des BER noch kein einziger Vertrag für eine Nachnutzung unterzeichnet werden.

Umgestaltung der Hangars des Airport Tegel im Zuge der Nachnutzung, Entwurf gbp Architekten (Bild: Architekten)
Lounge im umgenutzten Terminal D (Bild: GRAFT)
Außenansicht auf das Terminal D (Bild: GRAFT)

Eine energieautarke Modellsiedlung
Dem Wohnungsbau hatte der Masterplan TXL ursprünglich nur eine geringe Fläche des Flughafenareals zugewiesen. Ein auf der Ostseite von Tegel vorgesehenes Quartier, in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem direkt an das U-Bahnnetz angeschlossenen Kurt-Schumacher-Platz im Ortsteil Reinickendorf, sollte etwa 1000 Wohneinheiten umfassen. Diese Planung beruhte sichtlich noch auf Überlegungen aus einer Phase, in der Berlins EinwohnerInnenzahl stagnierte. Doch schon 2013 verzeichnete die Stadt einen Zugewinn von 50'000 Bürgern. Gegenwärtig wird der Wohnraum knapper, Mieten und Immobilienpreise schnellen in die Höhe. Selbst in die Gegend rund um den Kurt-Schumacher-Platz, der direkt in der Einflugschneise des Flughafens liegt, drängen jetzt vermehrt Wohnungssuchende, die sich die Innenstadt nicht mehr leisten können. Der Durchschnitt der Kaltmiete liegt hier bei sieben Euro pro Quadratmeter, in ganz Berlin sind es 8,50 Euro. Im Vorgriff auf eine Zukunft ohne Fluglärm steigen aber auch hier langsam die Preise, im Neubaubereich können schon Mieten zwischen 8,50 und 9,30 Euro pro Quadratmeter genommen werden.

Dass der Senat dem Ruf nach neuen Wohnungen nachgeben will aber wiederum mit seinem Randbebauungskonzept in Tempelhof kläglich gescheitert ist, hat sich inzwischen dann doch auf die Planung in Tegel ausgewirkt: Die Zahl der Wohneinheiten auf dem Flughafengelände wurde im vergangenen Jahr auf 5'000 erhöht. Und die Stadtväter verknüpfen den Siedlungsbau jetzt mit einem weiteren Großprojekt, mit dem sie Berlin in der internationalen Städtekonkurrenz nach vorne bringen wollen.

Vorgesehener Standort des Olympischen Dorfes im Falle einer erfolgreichen Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024 oder 2028 (Bild: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin)

Spreeathen soll sich für die Olympischen Spiele 2024 oder 2028 bewerben. Und falls seine Kandidatur erfolgreich ist, wird das neue Wohnquartier zunächst als Olympisches Dorf dienen. Eine Milliarde Euro will sich der Senat dessen Bau kosten lassen, die Mittel für die Infrastruktur sind in dieser Summe noch nicht eingerechnet. Auf Geld vom Bund hoffend, plant er, eine energieautarke Modellsiedlung zu realisieren, die internationale Aufmerksamkeit erregen soll.

Die Verknüpfung des Siedlungsbaus in Tegel mit Berlins Olympia-Plänen hat aber ein paar Haken: Unter anderem müssen die Wohnungen innerhalb eines rigiden Zeitrahmens alle auf einmal fertig gestellt werden, können nicht je nach Bedarf in Abschnitten entstehen. Und den Gebäuden blüht auf jeden Fall ein späterer Umbau, da ihr Grundriss zunächst direkt vom IOC diktiert wird. Entlang der Richtlinien des Komitees sollen in Berlins Olympischem Dorf SportlerInnen-Unterkünfte mit einer Durchschnittsgröße von 76 Quadratmetern und ein bis drei Zimmern überwiegen. Diese müssen nach dem Ende der Spiele zu größeren Einheiten zusammengelegt werden, um dann auch Familien Platz bieten zu können. Zur Vereinfachung der postolympischen Konversion sollen die fünfgeschossigen, behindertengerechten Häuser als «Baukastensystem» entstehen.

Visualisierung des Olympischen und Paralympischen Dorfes (Bild: Tegel Projekt GmbH)
Nachnutzung des Olympischen und Paralympischen Dorfes (Bild: Tegel Projekt GmbH)

Obwohl solche Details noch gar nicht ins breite Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen sind, ist die Stimmung unter den BerlinerInnen auch so schon olympiakritisch. Die Stadt kann sich das Spektakel nicht leisten, finden viele. Die Spiele beschleunigen Mietensteigerungen und Verdrängungsprozesse, glauben manche. Zu vermuten ist, dass der Deutsche Olympische Sportbund sich Ende März letztlich nicht nur wegen der Nörgelei der BerlinerInnen dafür entscheiden könnte, mit der Kandidatin Hamburg ins Rennen zu gehen, sondern auch, weil er eine Ablehnung der jetzigen Olympia-Pläne der deutschen Hauptstadt durch das IOC antizipiert. Die inzwischen primäre Fokussierung auf Aspekte der Sicherheit lässt die Funktionäre eher Spiele der kurzen Wege als ein Olympisches Dorf favorisieren, das nicht gerade in der Nähe der wichtigsten Sportarenen liegt. Hamburg hat da mit seinem Konzept eines kompakten Olympiaparks auf einer Elbinsel die besseren Karten.

Herkömmliche Zonierungslogik
Es muss also ein Plan B für den Siedlungsbau in Tegel her, der im Falle eines Scheiterns der Bewerbung Berlins greift. Wahrscheinlich läuft er auf ein weniger ambitioniert geplantes Quartier heraus, was aber die Chance deutlich erhöht, dass dort tatsächlich auch preiswerter Wohnraum bezogen werden kann.

Noch 2015 soll eine «Arbeitsgemeinschaft von landeseigenen und privaten Wohnungsbaugesellschaften» gegründet werden, die – gemeinsam mit dem Land – Anregungen und Bedenken der BerlinerInnen sammeln und nach Abwägung in den Städtebaulichen Wettbewerb zur Gestaltung des neuen Quartiers einspeisen wird. Eine verbindliche Planung ist schon für 2017 avisiert, damit ein Jahr später die Bagger anrollen können.

Sebastian Heiser, vom Berliner Lokalteil der taz, ist der Ansicht, das die Fläche noch viel stärker für die Errichtung neuer Wohnungen genutzt werden sollte. Der Wohnraummangel in Berlin könnte in dieser zentralen Lage mit einem Schlag gelöst werden. Dagegen sei die geplante Industrieansiedlung unrealistisch und unzeitgemäß, schließlich hätte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch 2009 festgestellt, dass ein Industriepark in Tegel bei zurückgehender Nachfrage einem schon vorhandenen Gewerbestandort in Pankow-Nord Konkurrenz machen würde. Doch wieso sollte das derzeitige Bevölkerungswachstum nicht auch zeitversetzt einen erhöhten Bedarf nach Standorten für Produktionsstätten nach sich ziehen?

Könnte auf dem Flughafen Tegel nach seiner Stilllegung nicht ein Raum entstehen, in dem eine qualitativ neue, engere Nachbarschaft von Industrie, Wohnen und Erholung angestrebt wird? Die Kritik an der aktuellen Planung - aber vor allem auch diese selbst - gehorchen viel zu sehr einer herkömmlichen Zonierungslogik. Und damit sie doch noch aufregend anmuten, hat der Senat an die in Tegel vorgesehenen Zonen jeweils das Label eines großspurigen Stadtoptimierungsprojekts geheftet.

Im Gegensatz zum Tempelhofer Feld, gibt es rund um den Airport Tegel keine Bevölkerungsmilieus, die die Bebauungskonzepte des Senats ernsthaft mit der Forderung nach einem vollständigen Erhalt der Freiflächen des Flughafens herausfordern. Die Tegel Projekt GmbH will stattdessen «einen breiten Konsens» für die bisherige Planung ausgemacht haben. Die Strategie der Behörden, reine Informations- und Diskussionsveranstaltungen zur Nachnutzung von Tegel als angemessene Bürgerbeteiligung zu verkaufen, scheint hier zu verfangen.

Nicht nur die NachbarInnen des Airports, sondern alle BerlinerInnen sollten sich aber stärker als bisher in die Entwicklung eines Geländes einmischen, das, wie der Senat nicht müde wird anzumerken, stadtweite Bedeutung hat. Damit sie später nicht unangenehm überrascht sind, wenn alle Welt plötzlich von Berlin als Mekka der Smart-City-Verteidiger spricht, die Demokratie gern durch Technokratie ersetzt sehen würden, oder darüber spottet, dass sich die doch sonst so widerspenstige Stadt vom IOC einfach die Planungshoheit über den Wohnungsbau hat abluchsen lassen.

Oliver Pohlisch ist Journalist, Kulturwissenschaftler und Mitglied des Berliner Zentrums für städtische Angelegenheiten, metroZones. Er arbeitet als Chef vom Dienst bei taz.de. 

Andere Artikel in dieser Kategorie