Weiterbauen um jeden Preis?

Katinka Corts
22. November 2023
Foto: © Aleksandar Pasaric

In deutschen Städten mangelt es an günstigem Wohnraum. Das hehre Ziel, mit schnellem Bauen und vereinfachten Verfahren diesem Problem zu begegnen, hat sich mit den Materialengpässen, den Kostensteigerungen und den gestiegenen Bauzinsen vorerst verflüchtigt. Zugleich verliert die Regierung, wenn sie die Klimaanforderungen beim Bauen zugunsten eines billigeren Bauens reduziert, die eigenen Ziele zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes aus den Augen. Die Positionen der regierenden Parteien und der Akteure der Bauwirtschaft gehen teilweise weit auseinander, wie aktuell deutlich wird.

Beim Halbzeit-Wahlcheck der Heilbronner Stimme hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz vergangene Woche den Fragen des Chefredakteurs Uwe Ralf Heer gestellt und sprach sich dafür aus, neue Stadtteile als Erweiterung von Ballungsgebieten zu planen. Wenn nicht genug Bauland vorhanden sei, brauche es politische Verabredungen, bundesweit mehr Flächen auszuweisen und höheres Bauen zu erlauben, wo es bislang begrenzt wird. »Wir brauchen wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meistgefragten Städten und Regionen«, so Scholz. Inzwischen hätten zwar viele erklärt, dass keine neuen Stadteile mehr entstehen sollen. Scholz: »Ich sage: Doch, das wird wohl gelegentlich erforderlich sein.« Die von ihm geforderte Neubewertung in dieser Frage führte bei Fachleuten und zahlreichen Parteiangehörigen der Grünen und der SPD zu Unverständnis.

So lehnt die Grünen-Fraktion im Bundestag den Vorschlag ab und nennt wichtige andere Ansätze, die zur Lösung der Wohnungsnot beitragen können: Nicht nur die Umnutzung des Bestandes, auch Aufstockung von Häusern und die Nutzung von Leerstandsflächen gelte es in den Fokus zu nehmen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verwies Kassem Taher Saleh, der sich als Bundestagsmitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für klimafreundliche sowie sozial gerechte Bau- und Wohnpolitik einsetzt, auch auf die Tatsache, dass mit der Umnutzung von Bestand Klimaschutz gefördert wird.

Offene Briefe an die Entscheider*innen

Bereits vergangenes Jahr setzten sich Vertreter*innen zahlreicher Institutionen der Baubranche sowie über 170 Einzelpersonen in einem gemeinsamen Schreiben an Bundesbauministerin Klara Geywitz für einen temporären Stopp von Gebäudeabrissen und für eine Neuregelung der derzeit gültigen Vorschriften ein. Nun hat kurz vor Beginn der Bauministerkonferenz der Länder eine Gruppe aus Akademiker*innen und Institutionen, darunter Architects for Future, die Deutsche Umwelthilfe, der Deutsche Mieterbund, die DGNB und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland erneut einen offenen Brief formuliert und fordert weiterhin die Genehmigungspflicht von Abrissen und die Vereinfachung des Umbaus. »Die aktuellen Vorschriften in den Bauordnungen erschweren den Erhalt und die Weiterentwicklung des Bestands deutlich«, heißt es darin. »Das Bauen im Bestand (insbesondere Umnutzung, Umbau, Aufstockung) muss durch vereinfachte Genehmigungen gefördert werden […].« 

Die richtigen Sektoren fördern

Und was ist indessen im aktuellen »Wohnbaurettungspaket« geplant? In ihm sind Sonderabschreibungen und das Aussetzen der Grundsteuer in bestimmten Fällen vorgesehen, zudem soll serielles Bauen dank deutschlandweit gültiger (und dennoch an bundesland- oder ortsspezifische Regelungen anpassbarer) Typengenehmigungen aus behördlicher Sicht einfacher werden. Es gebe aktuell einen großen Bauüberhang, das sei der Regierung klar. Scholz erklärt im Gespräch mit Heer, dass in der Vergangenheit »nicht die richtigen« Wohnungen geplant worden sind: »Wir brauchen Wohnungen für die Leute, die welche suchen und nicht für jene, die es in dieser Zahl gar nicht gibt.« Damit bezieht er sich auf die vielen bewilligten Wohnungsprojekte aus dem gehobenen Sektor, die Investor*innen hohe Renditen versprechen, dabei jedoch alle auf die Kaufkraft der Oberschicht zielen. Nun gibt es stattliche 18 Milliarden für den geförderten Wohnungsbau, gleichzeitig wurden aber auch Erleichterungen für Einfamilienhaus-Bauer beschlossen. Das verwundert nicht, denn das Einfamilienhaus bleibt ein Sehnsuchtsort der Deutschen.

Da jene neuen Einfamilienhäuser jedoch traditionell in Neubaugebieten am Stadtrand stehen, kollidiert die Förderung des privaten Kleinfamilienwohnens mit dem eigentlich benannten Ziel der Regierung: Anfang des Jahres hatte die Bundesregierung nämlich bekannt gegeben, dass der »Flächenverbrauch bis 2030 auf weniger als 30 ha pro Tag« gesenkt werden müsse – von aktuell 55 ha pro Tag. Versiegelter Stadtraum schließt den natürlichen Boden ab und verringert jene Flächen, die bei Starkregenereignissen für die Wasserversickerung relevant sind. Das Ziel, das das hauseigene Umweltprogramm in weniger als sieben Jahren erreichen will, ist mit maximal 20 ha Flächenverbrauch pro Tag gar schärfer. 

Freiräume bewahren

Unwetterereignisse werden sich aufgrund der klimatischen Veränderungen weltweit häufen und verstärken. Sollten in diesem Zusammenhang also wirklich im wenig oder nicht bebauten Raum neue Siedlungsgebiete entstehen und den Druck auf die Landschaft weiter erhöhen? 
In den vergangenen Jahren (letzter ausgewerteter Referenzzeitraum 2018 –2021) stieg die Siedlungs- und Verkehrsfläche mit 55 ha zwar nicht mehr so stark an wie in den drei Jahren vor der Jahrtausendwende, die im Schnitt 129 ha täglich verbuchten. Dennoch befinden wir uns mit diesen aktuellen Werten immer noch weit jenseits der proklamierten Ziele. 
Ob man jedoch im Bestand alles wird lösen können und das vor allem innerhalb welcher Zeit, bleibt fraglich. Im Bestand zu bauen heißt auch, sich mit zahlreichen kleineren Formaten zu beschäftigen und nicht mit einem großen Wurf tausende Wohnungen auf den Markt zu bringen. Sicherlich ist das Bauen »auf der grünen Wiese« also der bequemere und schnellere Weg, wenn man sich dort eine große Ansammlung von Typenbauten vorstellt. Der richtige Weg muss es deshalb nicht sein.

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