Haus mit Zukunft

Praeger Richter Architekten
8. November 2023
An der Fassade zur Grotenstraße lassen sich die drei grundlegenden Elemente des Gebäudes ablesen: Das Stahlbeton-Regal, die Holzfassade mit den rötlichen Sonnenschutzvorhängen sowie die Ausbauelemente bleiben erkennbar. (Foto: Andreas Friedel)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Entgegen der üblichen Praxis in der Architektur wurde beim Ausbauhaus Südkreuz bereits in der Planung der spätere mögliche Umbau mitgedacht. Im Rahmen des Konzeptverfahrens »Schöneberger Linse« entwickelten wir für die Baugruppe Südkreuz GbR ein Wohnhaus als Holz-Beton-Hybrid-Regal. Auf sieben Geschossen befinden sich 13 Eigentumswohnungen und drei förderfähige Wohnungen zwischen 38 und 130 Quadratmetern. Dazu sind zwei kiezgebundene Gewerbenutzungen und eine Gästewohnung im Gebäude untergebracht. Zusätzlich wurde im Staffelgeschoss eine kleine Gästewohnung mit großer gemeinschaftlicher Dachterrasse umgesetzt.

Der zentral liegende Erschließungskern ist materialsichtig ausgeführt und greift das an der Fassade sichtbare Rot erneut auf. (Fotos: Andreas Friedel)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das Gebäude öffnet sich im Erdgeschoss mit zwei kiezfördernden Gewerbeeinheiten zur Nachbarschaft, welche durch die Baugruppenmitglieder mitfinanziert wurden. In den 4,5 Meter hohen Räumen mit stellenweise eingezogener Galerieebene sind Start-Up-Schulungsräume (Gründerseminare, Beratung) und ein Kiezwohnzimmer mit Atelier untergebracht (kultureller und sozialer Austausch auf ehrenamtlicher Basis). 

Aufgrund der Nähe zum Sachsendamm gelten hohe Schallschutzanforderungen. Hierzu wurden spezielle Holzfenster (Kastenfenster, Prallscheiben) entwickelt. Diese sind konsequent bodentief ausgeführt und prägen gemeinsam mit einem umlaufenden Austritt die rückbaubare und recyclebare Fassade. Die Holzkonstruktion mit vorvergrauter Lärchenschalung erhält durch die rötlichen Sonnenschutzvorhänge (Low-Tech-Textilien aus der Landwirtschaft) ein lebendiges Fassadenbild, das durch Bewohner individuell bestimmt wird. Hier drückt sich das gemeinschaftliche Wohnprojekt nach außen aus. Zudem wurden Vogelbrutkästen in die Fassade integriert und das begrünte Dach als Imkerstandort vorgesehen.

Der über die gesamte Breite der Fassade laufende Umlauf mit Balkonen, Loggien und bodentiefen Holzfenstern erweitert den Wohnraum großzügig in den Außenraum. (Fotos: Lindsay Webb, Andreas Friedel)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?

Neben den besonderen Anforderungen aus dem Konzeptverfahren, dem B-Plan sowie der Gestaltungssatzung, galt es den Spagat zwischen Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit des Gebäudes umzusetzen. Die Prämisse, die Klimaschutz- und Klimaanpassungsziele aus dem Konzeptverfahren zu berücksichtigen, wurde zum Grundsatz der Planung: Ein Haus, das über den gesamten Lebenszyklus gedacht wird und gleichzeitig eine zukünftige Umbaukultur im Wohnungsbau berücksichtigt und unterstützt.

Beim Innenausbau blieben die Oberflächen vorzugsweise unbehandelt oder wurden wohngesund lasiert. Somit können die einzelnen Bauteilschichten ausgebaut, abgeschraubt, gesammelt und individuell vom Nutzer selbst eingesetzt und aufgearbeitet werden. (Foto: Andreas Friedel)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Ähnlich wie im Vorgängerprojekt, dem Ausbauhaus Neukölln, wurde auch im Ausbauhaus Südkreuz der Ausbau durch wechselnde Nutzer in den Mittelpunkt gestellt. Ging es im Ausbauhaus Neukölln um das kosteneffiziente Haus (industrielles Betonregal mit flexiblem, individuellem Ausbau), wird beim Ausbauhaus Südkreuz die Kosteneffizienz auf den gesamten Lebenszyklus des Hauses und damit auf die Rückbaubarkeit und die Wiederverwendung der Baumaterialien des Ausbaus übertragen und erweitert: Haus als Materiallager.

Für die Zimmerwände in den Wohnungen wurden im Ausbauhaus Südkreuz trocken montierbare Holzständerwände entwickelt, deren Beplankung und Ausdämmung aus Holzwerkstoffen besteht und die verbundstofffrei errichtet werden können. (Foto: Lindsay Webb)
Die Materialien werden sicht- und lösbar verschraubt, gelegt und gesteckt und können demontiert und an anderer Stelle neu eingesetzt werden. Oberflächen bleiben vorzugsweise unbehandelt oder werden wohngesund lasiert. (Fotos: Lindsay Webb)
Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?

Neubauten von heute werden in Zukunft nicht mehr abgerissen und entsorgt, sondern materialbewusst modernisiert oder umgebaut. Darum sind die Materialien des in Holz-Beton-Hybridbauweise errichteten Gebäudes adäquat zu ihrem Lebenszyklus eingesetzt: Die im dichten urbanen Kontext positionierte dauerhafte Tragstruktur (Brandwände, Decken, Erschließungskern) ist aus Beton. Die Fassade ist komplett als rückbaubare nicht-tragende Holzkonstruktion ausgeführt. Der Innenausbau der Wohnungen wurde verbundstofffrei und mit nachwachsenden Baustoffen umgesetzt. So wird zukünftig eine passgenaue Modernisierung bzw. bei Rückbau eine sortenreine Trennung der Materialien möglich.

Somit ist das Haus nicht nur ein wertvolles Materiallager für die Zukunft, sondern ist über Jahrzehnte gesehen auch die kostengünstigere Alternative zu aktuell üblichen Verbund-Konstruktionen. Die verwendeten Baumaterialien sind demontierbar, sortenrein trennbar, und sie können somit leicht wiederverwendet werden. Dies ermöglicht den einfachen und nachhaltigen Umbau oder Nutzungsänderungen bei Bedarf. Verschraubte Holzplatten, Holzparkett, Holzwolle, Schüttung im Fußboden etc. können geschliffen, neu ausgelegt oder zusammengefegt und am selben Ort oder in anderen Gebäuden wieder eingebaut werden. Die Wohnungen könnten auch nur partiell geändert und um-, an- und weitergebaut werden. 

Regelgrundriss im ersten und zweiten Obergeschoss (links): Vierspänner mit zwei großen und zwei kleinen zur Straße ausgerichteten Wohneinheiten und Regelgrundriss im dritten, vierten und fünften Obergeschoss mit zwei großen durchgesteckten Familienwohnungen. (Zeichnung: Praeger Richter Architekten)
Schnitt durch das Ausbauhaus. Im Erdgeschoss befindet sich das Kiezwohnzimmer, auf dem Dach die Gästewohnung mit gemeinschaftlicher Dachterrasse. (Zeichnung: Praeger Richter Architekten)
Details der Rückbaubaren Holzfassade, der trocken montierten Innenwand aus Holz und dem verbundstofffreien Fußboden. (Zeichnung: Praeger Richter Architekten)
Ausbauhaus Südkreuz
2022
Gotenstraße 45
10829 Berlin
 
Nutzung
Neubau Mehrfamilienhaus, inklusive Gemeinschaft und kiezgebundenes Gewerbe
 
Auftragsart
Direktauftrag nach Zuschlag im Konzeptverfahren
 
Bauherrschaft
Baugruppe Ausbauhaus Südkreuz GbR, private Bauherrenschaft
 
Architektur
Praeger Richter Architekten, Berlin
Team: Jana Richter, Henri Praeger, Philipp Dittus, Andreas Friedel, Tamara Granda, Max Mütsch, Paul Zöll
 
Fachplaner
Bauphysik: CLKT Ingenieure
Tragwerksplanung: Steffen Janitz Ingenieure
TGA: PSW Ingenieure
Schallschutz: Akustikbüro Moll
Projektmanagement: Müller Rose Projektsteuerung, L.I.S.T. Projektsteuerung
Brandschutz: brandschutz plus GmbH Eberl-Pacan Brandschutzplaner
Landschaftsarchitektur: Hutterreimann Landschaftsarchitektur

Ausführende Firmen
Holzbau: Zimmerei Feuerbach GmbH
 
Energiestandard
KfW Effizienzhaus 40
 
Bruttogeschossfläche
2.200 m²
 
Gebäudevolumen
7.800 m³ 
 
Gebäudekosten
4.300.000 € Brutto
 
Gesamtkosten
7.200.000 € Brutto
 
Auszeichnungen 
Preis Polis Award »Ökologische Wirklichkeit«
Auszeichnung Re-Use am Bau 2022
Zuschlag Konzeptverfahren 2018
Anerkennung HolzbauPlus Bundeswettbewerb 2022/23
Shortlisted DAM Preis 2023
Architekturpreis Berlin 2023 Sonderpreis Fokus Nachhaltigkeit
Nominiert EU Prize for Contemporary Architecture – Mies van der Rohe Award 2024
 
Fotos
Andreas Friedel und Lindsay Webb

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