Angst ist ein schlechter Ratgeber

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Feb. 9, 2011

In Darmstadt wurde in den letzten Wochen zäh um den Neubau eines Museums auf der Mathildenhöhe gestritten. Der Widerstand überraschte die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung; doch auch wenn man der Meinung war, alles richtig gemacht zu haben, hat man schnell den zuvor versäumten Dialog eingeleitet. Bereits getroffene Entscheidungen stehen nun wieder zur Disposition. Anders als im bisherigen Verfahren gilt es nun, den weiteren Prozess so zu gestalten, dass auch die Architektur ihr Potenzial entfalten kann.
 
Am 1. Februar fand in Darmstadt das dritte und vorerst letzte öffentliche Fachforum zum Museumsbau auf der Mathildenhöhe statt. Freilich bleibt weiterhin offen, wie es weitergeht. Empfohlen hatte der Moderator der Foren, Joachim-Felix Leonhard, eine Gesamtkonzeption für die Mathildenhöhe zu entwickeln und rasch zu entscheiden. Die Sorge ist nicht unberechtigt, die Stifter könnten sich nach allem, was geschehen ist, nach einem anderen Ort umsehen.
Ins Rollen kam der Protest, als im Juli 2010 ein Wettbewerb für ein Museum an der Stelle entschieden wurde, an der einst das Haus Christansen gestanden hatte und an der sich heute der Bartning-Brunnen befindet, der für den deutschen Beitrag auf der Expo in Brüssel erstellt worden war. Ein Neubau an dieser Stelle war zum ersten Mal 2006 im Rahmen eines Forums "Entwicklung Mathildenhöhe" vorgeschlagen, dies in einer Rahmenkonzeption vom Magistrat 2009 bestätigt worden. 2008 hatte Ehepaar Sander einen Museumsneubau für ihre Sammlung vorgeschlagen, den es ebenso wie den Unterhalt zu finanzieren bereit war. Der Architektenwettbewerb 2010 endete schließlich mit einem einstimmigen Votum für den Entwurf des Leipziger Büros Schulz & Schulz.
Mit in großen Teilen in den Hang geschobenen Ausstellungsräumen, sensibel und präzise gesetzten Volumen, die zwischen ober- und unterirdischen Bereichen vermitteln, haben Schulz & Schulz die internationale Jury überzeugt. Die ursprüngliche Symmetrie der Anlage wird wieder hergestellt, in einer "Klarheit, die mit dem Haus Christansen so nie bestand", so die Architekten auf ihrer Homepage. Die Jury hatte den rücksichtsvollen Umgang mit dem Ort gewürdigt: "Insgesamt gelingt es den Verfassern, auf die ungemein schwierige Problemstellung der Aufgabe in diesem sensiblen Kontext eine gleichermaßen präzise wie selbstverständliche Antwort zu finden." Vorgesehen hatten Schulz & Schulz eine rötliche Ziegelfassade, die Jury empfahl allerdings, ein anderes Material zu wählen. Es half leider nichts. In der öffentlichen Diskussion wurde gegen einen dunklen Museumsblock polemisiert, die Bürgerinitiative SOS Mathildenhöhe war sich nicht zu schade, den Entwurf entstellend auf Flugblättern und ihrer Internetseite darzustellen.
 
Man haut den Sack und meint den Esel
Man könnte also meinen, die Architektur sei das wesentliche Problem. Zumal die Bürgerinitiative nicht mit derber Kritik am Entwurf spart: Er wirke "abweisend, kalt, seelenlos, phantasielos, ohne Farbigkeit und Dekor, langweilig, abstoßend (...)".
Doch in der Summe lassen die Äußerungen der engagierten Bürger auf Flugblättern, Internetseiten und in öffentlichen Äußerungen, aber auch die von fachlich kompetenter Seite einen anderen Schluss zu: Kritisiert wird der Standort, der Verlust bestehender Sichtverbindungen, des Hartung-Brunnens, das fehlende städtebauliche Gesamtkonzept. Man beklagt die mangelnde Transparenz des gesamten Verfahrens und sei vom geplanten Neubau überrascht worden. Das alles wäre auch zu kritisieren gewesen, hätte man einen anderen Entwurf juriert. In demütiger Selbstanklage sind einige der Stadtverordneten von ihren Beschlüssen wieder abgerückt, allerdings auch sie weniger in Bezug auf den Entwurf oder die Juryarbeit. Wettbewerb und Wettbewerbsentwurf haben nun ein zuvor verborgenes Konfliktpotenzial sichtbar gemacht – falsch wäre es aber, im Entwurf und im Wettbewerb die Ursache des Streits zu suchen. Der Wettbewerb war nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt worden und folgte den Richtlinien der Architektenkammer. Mit einem siegreichen Entwurf wurde ein Unbehagen artikulationsfähig, das zuvor nicht konkret werden konnte (das erging so übrigens selbst dem Jurymitglied Beil, Direktor der Mathildenhöhe). Etwas sichtbar zu machen, was anders nicht sichtbar werden kann, ist eine Qualität der Architektur. Diese nun gegen sie zu wenden, zeigt nur, wie wenig man die Architektur versteht.
Vielmehr scheint sich auf der Architektur ein Unmut abzuladen, der in ihr nicht begründet liegt. Die Architektur wird so zum Ausdruck eines gescheiterten gesellschaftlichen Übereinkommens, es wird ihr so die Chance genommen, das Potenzial, das sie hat, abzurufen. Dieses Potenzial wäre hier gewesen, die Zusammenhänge zwischen der Aufbruchsstimmung nach dem 19. Jahrhundert, der Moderne und beider Musealisierung zu reflektieren. Das Potenzial wäre gewesen, nach den Möglichkeiten der Fortschreibung eines starken und städtebaulich wichtigen Ensembles zu fragen, ohne es zu einem unantastbaren Heiligtum zu verklären.
Ein brav sich ein- und unterordnender Entwurf würde dies nicht leisten. Gegen ihn ließe sich zweierlei einwenden. Erstens ging es auch der Architektur der Mathildenhöhe selbst nie um Ein- oder Unterordnung. Kein Wunder, wurde auch ihr Misstrauen und Ablehnung entgegengebracht, und nicht nur vom bürgerlichen Publikum, sondern beispielsweise auch von Henry van de Velde. Ein Umgang mit der Mathildenhöhe, dieses Erbe nicht mehr fortzuschreiben, nicht mehr kommentieren zu dürfen, verweigert sich der Auseinandersetzung mit dem, was sie entstehen ließ.
 
Dass ein gesellschaftliches Übereinkommen im nun ausgebrochenen Streit in Formen gesucht werden müsse, die sich im Kontext anbiedern, ist zudem ein naheliegender Kurzschluss, der aber durch andere Beispiele schnell widerlegt werden kann. Etwa durch die "Neue Mitte Ulm", die ebenfalls erst nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren gegen die ursprünglich vorgesehene Planung in einer breiten Einbeziehung der Bürgerschaft zustande kam – dabei war allerdings nicht die Architektursprache zum Thema der Auseinandersetzung gemacht worden. Was dort nun steht, ist zeitgemäße Architektur und Abbild eines einvernehmlichen Einverständnisses der Stadtgesellschaft in einem. In Darmstadt hingegen ist nun der Entwurf von Schulz & Schulz ungerechtfertigterweise ein Symbol für ein Scheitern gesellschaftlicher Verständigung geworden. Dass die Museumsstifter in Darmstadt nun vom Entwurf von Schulz & Schluss abrücken, einen anderen Entwurf, den von David Chipperfield favorisieren, ist nach all den Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sahen, verständlich, hat allerdings auch den Charakter eines Bauernopfers und löst die meisten der nun aufgebrachten Probleme nicht. Chipperfield hatte sich deutlich offensichtlicher an der Architektur des Hauses Christiansen orientiert, war aber früh im Wettbewerb gescheitert. Anstatt aber einen weiteren Architekten dem Risiko auszusetzen, für Versäumnisse anderer verantwortlich gemacht zu werden, sollte nun versucht werden, die Voraussetzungen zur Akzeptanz eines Museumsbaus zu schaffen, bevor über die Architektur entschieden wird.

Versachlichung tut not
So scheint es sinnvoll, ein von Friedhelm Kühn, Mitglied der Bürgerinitiative, der Architekturhistorikerin Regina Stephan und dem Architekten Jörg Blume vorgelegtes Gesamtkonzept für die Mathildenhöhe zu prüfen. Dieses sieht sich nicht nur der Fortschreibung der ideellen Grundlagen der Mathildenhöhe durch experimentellen Wohnbau am Osthang verpflichtet, will nicht nur dem Bedarf an durch Museen vermittelter Selbstvergewisserung durch ein neues Museum am Nordhang Rechnung tragen, sondern auch den Streit durch den Vorschlag eines anderen Grundstücks für das Museum Sander, an etwas weiter westlich gelegener Stelle entschärfen. In den dafür geforderten Wettbewerben müsste das arg gebeutelte Büro Schulz & Schulz zumindest nochmals eine faire Chance bekommen, ihren Ansatz weiterzuentwickeln und neu zur Diskussion zu stellen – die Fairness, die man nun den Bürgern entgegenbringen will, muss auch im Umgang mit den anderen Beteiligten gelten. Ebenso wie nicht nur die Bürger einbezogen werden sollten, die am lautesten waren.
 
Kompliziert wird die Sache nun noch durch die Hoffnung, die Mathildenhöhe könnte bald UNESCO Weltkulturerbe werden, dafür müsse man, so glaubt man, die ursprüngliche Symmetrie am derzeitig vorgesehen Museumsstandort wieder herstellen. Warum das mit ein wenig gutem Willen nicht auch mit anderen Mitteln als dem Bau eines Museums geschehen kann, erschließt sich freilich nicht. Der Zeitdruck der Bewerbung für das Weltkulturerbe darf nicht die gründliche Debatte um die Zukunft der Mathildenhöhe unterminieren.
Nun stehen die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, aber auch die Medien in der Verantwortung, diese Debatte im Sinne der Stadtgesellschaft zu versachlichen, und den Diskurs auch auf anspruchsvollen Ebenen der Auseinandersetzung mit diesem Ort fair, aber auch vielschichtig zu gestalten. Ein Anfang dazu ist mit der Initiative von Blume, Kühn und Stephan geleistet, ein städtebaulicher Wettbewerb für die Mathildenhöhe ist immerhin wieder in der Diskussion. Es gilt jetzt aber auch, sich nicht damit zu grämen, Fehler gemacht zu haben, sondern die nun eingesetzte Debatte wieder auf die Themen zu konzentrieren, die dem gerecht werden, was Ralf Beil, der Direktor der Mathildenhöhe auf der Internetseite von dieser Institution postuliert: ein Kristallisationsort künstlerischer Gegenwart zu sein. Angst davor, wieder Fehler zu machen, wäre bei diesem Unternehmen ein schlechter Ratgeber. ch
Links zum Thema:

Mathildenhöhe Darmstadt

Die Chronologie der Ereignisse und weitere Information auf den Seiten von Echo Online

Ideen für ein Gesamtkonzept von Jörg Blume, Friedhelm Kühn und Regina Stephan

Informationen zum Wettbewerb auf wettbewerbe aktuell

Internetauftritt der Bürgerinitiative SOS Mathildenhöhe

Information zu den Fachforen auf der Internetseite der Stadt Darmstadt