Katrin Jacobs: »In welcher Arbeitsumgebung wir uns am wohlsten fühlen, hängt auch von unseren persönlichen Vorlieben ab«

Thomas Geuder
6. November 2023
Katrin Jacobs (Foto © HENN )
Thomas Geuder: Frau Jacobs, Gestaltung ist immer schon ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Zeit. Umso mehr trifft das auf das Büro zu, in dem viele immerhin einen Großteil ihres Lebens verbringen. Vom Einzelbüro über das Großraumbüro und das agile Arbeiten hin zum Homeoffice – an welchem Punkt der Entwicklung des Büros befinden wir uns Ihrer Meinung nach momentan, besonders vor dem Hintergrund derzeitiger Transformationen?

Katrin Jacobs: Seit der Pandemie hat sich »Remote Work« in vielen Branchen fest etabliert. Unternehmen fragen sich, wie sie Anreize schaffen, damit die Mitarbeitenden zurück ins Büro kommen – denn das physische Büro ist nach wie vor ein wichtiger Begegnungsort für kreative Zusammenarbeit und Interaktion. Aus unserer Sicht liegt das Potenzial besonders in der sozialen Dimension. Statt wie früher Büros um Hierarchien herum zu organisieren, entwerfen wir deshalb heute offene Arbeitskonzepte, die maximal kommunikativ und flexibel sind. Wichtig ist vor allem der undefinierte Raum zwischen Arbeitsplätzen und Meetingräumen, der sogenannte »Third Space«. Er fördert ungeplante Begegnungen und ermöglicht es den Mitarbeitenden, sich untereinander besser zu vernetzen.

House of Communication, München, 2022, Serviceplan Group (Foto: Mark Seelen | Seelen⁺)
Bereits seit 1947 werden bei HENN Gebäude gestaltet und gebaut. Eine wichtige Grundlage dabei war und ist eine interdisziplinäre Haltung, die zum Beispiel digitale Technologien und Nachhaltigkeitsstrategien einbezieht. Das Ergebnis sind meist klare, mitunter technoide Formen und Räume mit markanter Materialsprache. Auf welchen Gestaltungsgrundlagen werden diese Architekturen und Designs bei HENN entworfen?

Einen festgelegten Gestaltungskatalog gibt es bei HENN nicht. Im Entwurfsprozesses stellen wir uns die Frage, wie wir die Unternehmenswerte bestmöglich in Räume umsetzen können. Am Ende entsteht ein individuelles Design, das aus der Programmatik heraus entwickelt wurde und auf die spezifischen Anforderungen des Bauherrn abgestimmt ist. Das kann mal rund, mal eckig, mal offen oder geschlossen sein. 

House of Communication, München, 2022, Serviceplan Group (Foto: Mark Seelen | Seelen⁺)
House of Communication, München, 2022, Serviceplan Group (Foto: Mark Seelen | Seelen⁺)
Gebäude sind im Idealfall maßgeschneiderte Bauwerke, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Bauherrenschaft. Mit einer gewissen gestalterischen Objektivität wird daran gearbeitet, möglichst zeitlose, auch in der Zukunft nutz- und umnutzbare Werke zu schaffen. All dies setzt für die Planung in der Gegenwart eine gewisse Weitsicht voraus. Mit Blick auf das Thema Büro: Welchen Prozess durchläuft ein Projekt in der Entwurfsphase bei HENN, um die individuellen Bedürfnisse der Bauherrenschaft zu lokalisieren und in ein allgemeines Verständnis von Gestaltung einzuordnen?

Bevor ein konkreter Entwurf entsteht, beginnen wir mit einer Analyse der Aufgabenstellung, dem sogenannten »Programming«. In gemeinsamen Workshops und Interviews mit dem Bauherrn tauchen wir in die jeweilige Unternehmenskultur ein und erarbeiten gemeinsam und detailliert die Bedarfe und Ziele der Nutzer*innen. Daraus entwickeln wir ein Leitbild, was uns als Grundlage für das Design dient. 

Beim House of Communication in München etwa war das Ziel, eine verbindende visuelle Identität für die Serviceplan Group zu schaffen, die aus rund 40 Agenturen besteht. Die Idee von Kommunikation und Integration nimmt in Form von übergroßen Möbeln, die als modifizierte Einzelstücke hergestellt wurden, auch funktional Gestalt an. So finden etwa auf einem 30 Meter langen, leuchtend roten Sofa im Eingangsbereich 100 Menschen gleichzeitig Platz – und 80 an der langen Holztafel in der Kantine. 

Baramundi SoftwareFactory, Augsburg, 2022, Wittenstein Immobilien GmbH (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Durch die Digitalisierung unterscheidet sich das Arbeiten im Büro heute grundsätzlich von dem, wie man noch in den 1980er-Jahren gearbeitet hat. Der nächste große Schritt steht bereits vor der Tür, nämlich die Arbeit mit künstlichen Intelligenzen. Inwiefern beeinflusst all das Ihre Entwurfsarbeit bereits heute – und an welchen Punkten vielleicht gerade nicht?

Wir experimentieren aktuell mit verschiedenen KI-Tools, um herauszufinden, bei welchen Prozessen uns die Technologie unterstützen kann. In der frühen Phase eines Entwurfsprozesses kann KI beispielsweise als Inspirationsquelle dienen und so den Lösungsraum erweitern. Was KI allerdings heute bisher nicht gelingt, ist, die Ergebnisse zu abstrahieren und zu einer Lösung zusammenzuführen. Aktuell sehen wir eher das Potenzial in Hinblick auf automatisierte, planbare Tätigkeiten, wie zum Beispiel hochkomplexe Abläufe in der Bau-Ausführung oder die Optimierung von Gebäuden in Bezug auf Nachhaltigkeit.  

Zalando Headquarters, Berlin, 2019, Zalando SE (Foto: HGEsch)
Die Beziehung zwischen Mensch und Raum spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Interior Designs, so schreiben Sie auf Ihrer Website, um dadurch die Identität zum Ausdruck zu bringen. Gerade beim Thema Arbeitswelten wird diese Atmosphäre von enorm vielen Faktoren beeinflusst. Welche sind heutzutage die treibenden Anforderungen an eine zeitgemäße wie zukunftsträchtige Raumgestaltung?

Im Mittelpunkt jeder Raumgestaltung steht das menschliche Wohlbefinden. Dabei spielen unter anderem Akustik, Licht und Raumklima eine Rolle. Aber in welcher Arbeitsumgebung wir uns am wohlsten fühlen, hängt nicht nur von der Qualität des Interior Designs und den Möbeln ab, sondern auch von unseren persönlichen Vorlieben. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen Gestaltungsfreiraum ermöglichen, bei dem jede*r selbst entscheiden kann, welche Arbeitsweise am besten zu den eigenen Bedürfnissen passt.  

Merck Innovation Center, Darmstadt, 2018, Merck (Foto: HGEsch)
Erzählen Sie uns bitte ein wenig aus Ihrem persönlichen Büroalltag: In welcher Büroumgebung arbeiten Sie, was finden Sie dort besonders gut und sinnvoll und was, denken Sie, werden Sie in nächster Zeit einmal ändern müssen?

Das Münchener Büro bestand anfangs nur aus wenigen Büroräumen im Vorderhaus und hat sich mit der Zeit auf die Nachbargebäude ausgeweitet. Diese gewachsene, dynamische Energie ist im Büro deutlich spürbar, wo es sehr lebendig und manchmal etwas chaotisch zugeht. Ich selbst arbeite am liebsten mit meinem Team an großen Tischen zusammen, was für den kreativen Prozess sehr sinnvoll ist. Mittlerweile finden viele Meetings hybrid oder ganz online statt, weshalb der Bedarf an Rückzugsmöglichkeiten im Büro gestiegen ist. Aktuell arbeiten wir daran, mehr solcher Möglichkeiten zu schaffen – zum Beispiel Telefonzellen.

Katrin Jacobs arbeitete nach dem Innenarchitekturstudium an der Technischen Hochschule Rosenheim mehrere Jahre zusammen mit dem Münchener Architekten Nico Wallner an unterschiedlichen Umbau- und Sanierungsprojekten für private Bauherren. 2006 trat sie bei HENN ein und begann den Bereich Interior Design aufzubauen. Als Head of Interior Design leitet Katrin Jacobs seitdem das Interior Team an den Bürostandorten München und Berlin. 2018 wurde sie Partnerin bei HENN.

New Work, Sustainability und Home-Office im Fokus
Unter dem Motto »Celebrating Business Together« finden vom 26. bis 30. Januar 2024 zum zweiten Mal die Ambiente, die Christmasworld und die Creativeworld zeitgleich auf einem der modernsten Messegelände der Welt statt. Besonders die neue Ausgestaltung des Produktbereiches Working unter dem Dach der Weltleitmesse Ambiente schafft zukunftsorientierte Impulse. Denn bei Ambiente Working dreht sich wieder alles um die Themen Bürobedarf und Büroausstattung – im Hinblick sowohl auf das klassische Office, aber auch mobiles Arbeiten, Home-Office, Co-Working-Spaces und Future of Work.
www.ambiente.messefrankfurt.com/working
 
Future of Work Academy an der Ambiente in Frankfurt
Die Future of Work Academy richtet sich an Architekten, Facility Manager und Planer wie auch an Händler für Bürobedarf und -einrichtungen. Nach seiner erfolgreichen Premiere 2017 beleuchten dieses Jahr insgesamt acht Vorträge die derzeitigen Veränderungen der Arbeitswelt, digitale Lösungen zur Zusammenarbeit sowie nachhaltige Konzepte für einen modernen Arbeitsplatz. An der Ambiente 2024 bietet die Future of Work Academy an allen Messetagen Vorträge und Programm. Vorträge, die jeweils andere Sichtweisen auf das Thema Arbeit mit Fokus auf Architektur und Büroplanung Raum geben, finden am 27. und 28. Januar von 11:30 bis 17:00 Uhr statt.

Vorträge am 27. und 28. Januar 2024
Katrin Jacobs (HENN), Carla Wilkins (Lichtvision), Steve Jende (Elbstrand & Mannschaft), Martin Jasper (Martin Jasper Architects), Tim Hupe (HUPE FLATAU PARTNER), Claudia Meixner, (Meixner Schlüter Wendt), Sabrina Tafelmeier und Réka Visnyei (INpuls INTERIOR DESIGN ARCHITECTURE), Jessica Borchardt (BAID) – alle 8 Vorträge werden in Deutsch gehalten und simultan ins Englische übersetzt.

Ambiente Working – Future of Work Academy – Information + Anmeldung

World-Architects ist Content-Partner der Messe Frankfurt.

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