Passende Körnung

BLAUWERK Architekten
28. Juni 2023
Blick über die Straße (Visualisierung: BLAUWERK Architekten)
In der Erlanger Innenstadt soll Areal an der Werner-von-Siemens-Straße, Sieboldstraße, Beethovenstraße und Schuhstraße mit Wohnen und Gewerbe erweitert werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Wir beschäftigen uns seit einiger Zeit über die Teilnahme an Wettbewerbsverfahren mit dem Gebiet rund um den denkmalgeschützten Himbeerpalast. Im Gebiet, welches ehemals durch die Nutzung durch Siemens stark gewerblich geprägt war, vollzieht sich seit ein paar Jahren ein struktureller Wandel. Die Anmutung als Dienstleistungsstandort wandelt sich über die vielzähligen Wettbewerbsverfahren kontinuierlich zu einem Wohn- und Wissenschaftsstandort. Dazu trägt maßgeblich auch die Umnutzung des Himbeerpalasts als Hochschulstandort der FAU bei.

Gegenüber dem denkmalgeschützten Himbeerpalast gelegen galt es im vorliegenden Wettbewerb eine adäquate städtebauliche und architektonische Antwort für ein neues Stadtentrée der geplanten „Achse der Wissenschaften“ zu finden, welches den vorhandenen Gewerbebestand auf dem Grundstück in die neu zu entwickelnde städtebauliche Komposition einbindet und zu einem, dem Ort angemessenen Ensemble verbindet. Die Berücksichtigung der besonderen Bedeutung und Anmutung des denkmalgeschützten Himbeerpalasts war hier besonders wichtig.

Teile des gewerblichen Bestands auf dem Grundstück, umgangssprachlich auf Grund seiner gekrümmten Form „Banane“ genannt, sollten von einer Büro- in eine Wohnnutzung umgewandelt und aufgestockt werden, möglichst unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und nachhaltiger Belange.

Lageplan (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Zunächst geht es uns immer darum, den vorhandenen städtischen Kontext intensiv zu analysieren, zu interpretieren und eine adäquate Reaktion auf den Ort zu finden. Hier galt es, mit dem Entwurf auf die komplexen räumlichen Situationen des Bestands angemessen zu reagieren und in Form der entwickelten Geometrien den Bestand mit den neu geplanten Baukörpern zu verweben. Den Entwurf verstehen wir hierbei ganz wesentlich als Stabilisierung des Stadtkörpers und als Neugestaltung der Eingangssituation zum inneren Stadtbereich an der Sieboldstraße, beides unter Berücksichtigung der besonderen Umgebung.

Im Entwurf haben die unterschiedlichen Randbedingungen des Kontexts entsprechende städtebauliche Reaktionen zur Folge, beispielsweise den Abschluss der geschlossenen Bebauung der „Banane“ zum Himbeerpalast mittels eines zwölfgeschossigen Hochpunkts, die Raumabfolge von kleineren, straßenbegleitenden Gebäuden und Plätzen an der Beethovenstraße und die Transformation der Neubebauung zu objekthaften, punktförmigen Wohnhäusern im Innenhof als Reaktion auf die Kopfbauten der Kammstruktur des Bestands der „Banane“.

Städtebau (Piktogramm: BLAUWERK Architekten)
Welche Aufgaben hat die Freiraumplanung zu bewältigen?

Dem Freiraum kommt in der vorgeschlagenen Konzeption eine ebenso wichtige Bedeutung wie den Gebäuden selbst zu. Neben der Neukonzeption der Freiflächen der Neubauten mussten die bestehenden Tiefhöfe der Bestandsgebäude in die Gesamtkonzeption integriert werden.

Durch die vorgeschlagene, platzartige Abfolge von Baukörpern und Freiräumen an der Beethoven-, Siebold und Schuhstraße wird ein städtischer Übergang zum objekthaften, durchgrünten Hofinneren ausgeformt. Eine Durchwegung in Ost-Westrichtung sowie in Nord-Südrichtung verknüpft dabei die städtischen und die landschaftlich geprägten Bereiche miteinander. 

Hinter einer kleinen, passagenartigen Gasse zwischen den zwei vorgeschlagenen Hochpunkten an der Sieboldstraße eröffnet ein kleiner Quartiersplatz die Möglichkeit im Erdgeschoss informelle gewerbliche und gemeinschaftliche Nutzungen für die zukünftigen Bewohner, lärmgeschützt, anzubieten. Die Freiflächen reagieren mit einer entsprechenden Ausstattung, Materialität und Bepflanzung zur Unterstützung entsprechender Aufenthaltsqualitäten. Die Aufenthalts- und Spielflächen für die Bewohner sind überwiegend im geschützten Innenbereich vorgesehen. Im Bereich der erdgeschossigen Wohnnutzungen bekommen die Freiflächen, neben der architektonischen Ausbildung eines Hochparterres, auch eine Schutzfunktion für ausreichende private Zonen des Wohnens. Auch das Thema des Regenwassermanagements, der Rückhaltung von Niederschlägen sowie der Regulierung der Temperaturen im Quartier durch Pflanzungen am Boden und an den Fassaden wurde in den Entwurf der Freiflächen integriert.

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Wie organisieren Sie das Quartier?

Eine für den Ort passende Körnung der neuen Gebäude bildet die Grundlage für den Entwurf.

Neben dem vorhandenen Bürobestand der „Banane“ und dessen teilweiser Umnutzung in Wohnen ist das Quartier überwiegend für Wohnnutzungen geplant. Im Erdgeschoss wird die neue Struktur, insbesondere an der Siebold- und der Werner-von Siemens-Straße, durch eine Reihe von Ladennutzungen durchmischt. Neben den geplanten freifinanzierten Wohnungen ist ein Bauteil im Westen für geförderte Wohnungen vorgesehen. Wichtig ist uns hier eine möglichst gleichbleibende Qualität der unterschiedlichen Gebäudeteile des freifinanzierten und geförderten Wohnens. 

Zum grünen Innenhof transformieren sich die städtischen, eher geschlossenen Figuren hin zu objekthaften, dreiseitig belichteten Haustypen mit vielfältigen Querbeziehungen. Diese vermitteln auch mit den südlich angrenzenden Kammhäusern des Bestands der „Banane“. Diese Gebäudeteile werden von einer Büro- in eine Wohnnutzung mit eigenständiger Erschließung umgewandelt, mit möglichst weitgehendem Erhalt der Bausubstanz und Aufstockung eines Wohngeschosses. Unser Ziel ist hierbei ein möglichst ressourcenschonender Umbau des Bestands. Im Erdgeschoss wird für das bestehende Bürogebäude der Banane an zentraler Stelle eine Öffnung nach Süden für die öffentliche Durchwegung, von Norden kommend,  vorgeschlagen. Eine Reihe kleiner, erdgeschossiger Ladennutzungen soll, wie schon beschrieben, zur Werner- von Siemens-Straße hin den öffentlichen Raum aufwerten und beleben. Durch die Integration der vorhandenen Tiefhöfe im Innenhof können die teils zweigeschossigen Ladeneinheiten hochwertige Nutzflächen auch im Untergeschoss anbieten.

Querschnitt (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig

Neben einem für den Ort angemessenen architektonischen Erscheinungsbild für die Neubauten war der Umgang mit dem Bestand und der Umnutzung der im Innenhof liegenden Bürogebäude wichtig.

Das Thema des Bestandserhalts und des nachhaltigen und möglichst ressourcenschonenden Umbaus von Gebäudebestand gewinnt zunehmend an Bedeutung. Ziel unseres Umbauvorschlags ist es, den erforderlichen Eingriff in den Bestand so klein wie möglich zu halten. Daher schlagen wir für die erforderliche Erschließung der Baukörper vor, die Treppenräume und Aufzüge den Gebäuden vorzustellen, um nicht in die bestehende Tragstruktur eingreifen zu müssen. Für die Fassaden planen wir einen Umbau und Ertüchtigung der bestehenden Metall-Glasfassaden, mit dem Ziel, auch bei den Fassaden möglichst viele Bauteile des Bestands wiederverwenden zu können. Neubauteile wie die neuen Balkone, Sonnenschutzelemente, et cetera werden additiv vorgestellt und ergänzt. Die geplante Dachaufstockung wird als leichte Holzbaukonstruktion vorgeschlagen, um das Gewicht gering zu halten und statische Ertüchtigungen der Bestandsstruktur möglichst zu vermeiden.

Bei den Neubauten entwickeln wir Fassaden, die auf den Bestand angemessen reagieren, gleichermaßen aber eine eigenständige, städtische und gleichzeitig zeitgemäße Erscheinung abbilden. Hierfür gibt es bandartige Fassaden, die geschossweise wechselnde horizontale Balkone und Loggien sowie Pflanztröge und Brüstungsbänder ausformulieren und damit sowohl ein städtisches, als auch artifiziell landschaftliches, „grünes“ Erscheinungsbild zeigen. Die aktuellen Themen der Ökologie und Nachhaltigkeit unserer Städte fließt hier ebenso in den Gestalt der Fassaden ein wie die Stabilisierung des Stadtraums. Wir suchen hier nach einer übergeordneten, ausgewogenen Antwort, auch für zukünftige, vergleichbare Planungsaufgaben.

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Ein geplanter Fertigstellungstermin für das Quartier steht derzeit noch nicht fest. Ziel ist eine mögliche Umsetzung des Wettbewerbsergebnisses im Zuge einer Integration in die Umgebung nach § 34 BauGB.

Die Erarbeitung eines Bebauungsplans scheint aufgrund des Wettbewerbsverfahrens wohl nicht erforderlich. Nach den möglichen Abstimmungen mit der Stadt Erlagen zum Wettbewerbsergebnis werden im Laufe des Jahres sicher konkretere Planungsabläufe definiert werden können.

Modell (Fozo: BLAUWERK Architekten)
Wohnen und Gewerbe auf dem Beethovenquartier in Erlangen
Einladungswettbewerb
 
Auslobung: Langerberg Verwaltungs GmbH & Co KG
Betreuung: mt2 Architekten | Stadtplaner Susanne Senf · Martin Kühnl, Nürnberg
 
Jury
Prof. Mikala Holme Samsøe, Architektin, Berlin (Vors.) | Prof. Johannes Kappler, Architekt und Stadtplaner, Nürnberg | Prof. Tobias Kogelnig, Architekt, Nürnberg | Regine Neubauer, Architektin, Augsburg | Ralph Schäffner, Landschaftsarchitekt, Kitzingen | Josef Weber, Architekt und Stadtplaner, Bau- und Planungsreferent, Stadt Erlangen | Stefan Eberts, Managing Partner Cone Capital | Guido Gerold, Vorstand Cone Capital | Kerstin Heuer | Dr. Clemens Heydenreich | Frank Höppel | Alexandra Wunderlich
 
1. Preis
BLAUWERK Architekten, München | Christian Kern, Tom Repper
grabner huber lipp landschaftsarchitekten und stadtplaner partnerschaft mbb, Freising | Jürgen Huber
Mitarbeit: Felicitas Rosenberger, Linda Stark, Pia Repper, Alexandra Anton
 
2. Preis
holger meyer architektur, Frankfurt am Main | Holger Meyer
KRAFT.RAUM. Landschaftsarchitektur und Stadtentwicklung, Düsseldorf | René Rheims
Mitarbeit: Francisco Vilar Navarro, Omar Abdelkhalek, Tianci Xie, Deacon Lee, Francesco Di Capua, Josephine Keith, Raimund Holubek
K33 Brandschutz: PFT Ingenieur GmbH
Visualisierungen: Paul Trakis, ICON
Modellbau: Modell & Co. GmbH
 
3. Preis
a+r Architekten GmbH, Stuttgart | Alexander Lange
Mitarbeit: Alexander Lange, Benedict Selig, Chia Hao Chang
Landschaftsarchitekten: g2-Landschaftsarchitekten PartGmbB, Stuttgart

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