Interimsspielstätte Oper Stuttgart

a+r Architekten
1. November 2023
Blick auf die Interimsspielstätte (Visualisierung: a+r Architekten und NL Architects)
Da für die Durchführung der Sanierung und Erweiterung der Württembergischen Staatstheater Stuttgart (WST) am Hauptstandort bei gleichzeitigem Betrieb nicht möglich ist, wird für die Bauzeit daher ein Interim notwendig. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Die städtebauliche Entwicklung des Areals rund um die Stuttgarter Wagenhallen soll als Experimentierfeld für produktive, kreative Pilotprojekte und für innovative Konzepte einer gemischten Stadt dienen. Diese Maker City gehört derzeit zu den IBA27 Projekten. Mittendrin soll unsere Interimsspielstätte für die Oper Impulse für diesen neuen Stadtteil geben. Grundlage für unsere Planung sind zwei B-Plan Entwürfe gewesen: der erste B-Plan gilt ab sofort und formuliert die Randbedingungen der Interimsoper als ein großes zusammenhängendes Baufeld. Der zweite B-Plan teilt die Flächen in drei Blöcke auf und wird nach dem Rückbau der Interimsoper rechtsgültig.

Blick über den Maker Place (Visualisierung: a+r Architekten und NL Architects)
Worin lag die Herausforderung der Aufgabenstellung?

Aufgabenstellung und große Herausforderung ist eine Interimsoper zu entwerfen, die als Bausatz an andere Städte mit ähnlichem Sanierungsstau im kulturellen Bereich weiterverkauft werden kann.

Deshalb haben wir das Tragwerk des Zuschauerbereiches mit Foyer und Bühnen als einen Skelettbau in Holzbauweise geplant. Der Fokus liegt auf einem wandelbaren Tragwerk, welches einen einfachen Auf-, Ab- und Wiederaufbau ermöglicht sowie die großmaßstäbliche Struktur aus einzelnen, transportfähigen Elementen zusammenfügt. Die Fügung erfolgt durch Steck- und Klemmverbindungen, die durch aufgesetzte Brandschutzplatten die tragwerksplanerischen Randbedingungen erfüllen und eine einfache Herstellung der Elementstöße sowie der Montage/Demontage ermöglichen. 

Lageplan Phase 1 (Zeichnung: a+r Architekten und NL Architects)
Lageplan Phase 2 (Zeichnung: a+r Architekten und NL Architects)
Wie kamen Sie zu den vorgeschlagenen Baukörpern?

Der zukünftige B-Plan für die »Maker City« war schon jetzt für uns bestimmend für die Anordnung der Oper in drei Blöcke. Damit kann ein Maximum der Oper weitergenutzt und muss in Zukunft nicht abgerissen werden. Vertikal wird die Interimsoper kompakt auf die drei unteren Geschosse verteilt. Darüber, auf der Oper, gruppiert sich auf den drei Blöcken ein vollständiges Dorf. Über Brücken werden die drei Dorfteile miteinander verbunden. Damit wird die in der zukünftigen »Maker City« angelegte Verbindung von Wohnen und Arbeiten bereits jetzt eingelöst.

Über die Materialität und die unterschiedlichen Fassaden sind die verschiedenen Nutzungen des Projektes ablesbar: Der »Holz-Bausatz« aus Vorderhaus mit Bühne, Foyer und Zuschauerraum mit 1.200 Sitzplätzen. Der Produktionsbereich mit Werkstätten, Proberäumen und Verwaltung in einem modular nutzbaren Stahlbetonskelett. Im Kontrast dazu die Wohnhäuser auf dem Dach in Holz. 

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: a+r Architekten und NL Architects)
Grundriss 3. Obergeschoss (Zeichnung: a+r Architekten und NL Architects)
Wie organisieren Sie den Interimsstandort Württembergische Staatstheater Stuttgart (WST) und die Maker City Stuttgart?

Der öffentliche Eingang für die Besucher der Interimsoper wird großzügig über den Wagenhallenplatz erschlossen. Das vertikale Foyer ist über mehrere Ebenen verteilt und spart Platz in der Grundstücksfläche. Eine Besonderheit ist der Veranstaltungsraum im obersten Geschoss mit attraktiven Blickbeziehungen in die Umgebung. 

Im mittleren der drei Blöcke befindet sich der Mitarbeitereingang mit Pforte. Die Betriebskantine erweitert das Foyer auf großzügige Weise und schafft ein einladendes Entree für alle Beschäftigten. Hier trifft man sich, ein Ort der Kommunikation. Das Foyer geht in den Freibereich über und kann unter dem überdachten Bereich auch bei Regen oder an heißen Sonnentagen genutzt werden. Der Mitarbeitereingang führt direkt zum »Marktplatz«, das Zentrum auf der Opern-Boulevard-Achse. Der Opern-Boulevard bietet eine klare und einfache übergeordnete interne Erschließung. 

Auf dem Dach der Oper gruppiert sich ein vollständiges Dorf, inklusive Dorfplatz. Der vertikale Übergang zwischen Oper und Wohnen wird durch ein grünen, umlaufenden Pflanzengürtel inszeniert. Produktion und Wohnen werden kombiniert, um einen Ort der Gemeinschaft zu schaffen.

Die Wohngebäude haben getrennt von der Oper Ihre eigenen Treppenhäuser mit Adresse im Erdgeschoss. Ein Mobility-Hub versorgt die neuen Anwohner ebenerdig mit E-Bikes und Lastenräder.

Schnitte (Zeichnungen: a+r Architekten und NL Architects)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Unsere städtebauliche Leitidee ist schon beim Bau der Interimsoper an die Folgenutzung nach dem Rückbau zu denken, im Sinne der Ökologie und Wirtschaftlichkeit, um unnötigen Abriss zu vermeiden. Unser Ziel ist deshalb ein Maximum der Interimsoper als Permanent-Struktur langfristig stehen zu lassen. Der Produktionsbereich der Interimsoper, geplant als flexibles CO2 reduziertes Stahlbetonskelett, eignet sich ganz besonders für die Nutzungen der zukünftigen »Maker City«. Sobald die Oper und das Ballett an ihren ursprünglichen Standort zurückgekehrt sind, wird der Großteil der Produktionsstätte als »Maker City« umgenutzt. Ein bestehendes Gebäude umzunutzen (re-use) ist weit ökologischer als bestehende Gebäude abzureißen und zu Recyceln. Lediglich die Oper mit den wichtigsten Funktionen wie Zuschauerraum, Haupt- und Nebenbühnen können in Elementen demontiert und als Bausatz an andere Städte weiterverkauft werden. 
 

Wichtig war uns gleich zu Beginn Wohnungsbau auf dem Dach der Oper anzubieten, damit das Quartier um die Wagenhallen sofort Tag und Nacht mit Leben gefüllt wird und nicht erst in 15 Jahren, wenn die Oper weiterzieht. Das dörfliche Wohnen in den obersten Geschossen verknüpft die Vorteile vom Land mit den Vorteilen der Stadt. Ganz im Sinne von Kurt Tucholsky: »…vorne Kudamm, hinten Ostsee…«. Wohnen auf dem Land und doch in der Stadt, die Vorteile beider Varianten werden im Entwurf vereint. 
 

Wir haben eine Vision für den Zugang des Dorfes, nachdem der »Holz-Bausatz Oper« weitergezogen ist: Ein öffentlicher, grüner vertikaler Park führt vom Wagenhallenplatz zum hochgelegenen Dorf (nach Demontage der Holzkonstruktionen). Ein begrüntes und öffentlich begehbares Gerüst führt den Platz in die Vertikale. Über diesen vertikalen Park wird das Dorf neu an die Öffentlichkeit angebunden. Eine hohe Identität prägt diesen Ort. Auf dem Weg dahin werden öffentliche Nutzungen gestapelt, wie zum Beispiel eine Sporthalle, eine Halle für Kultur, Tanz oder ähnliches….

Eine »Gated City« auf dem Dach der Oper muss vermieden werden.

Innenraum (Visualisierung: a+r Architekten und NL Architects)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Wir sind jetzt ganz am Anfang. Planung und Bauzeit werden meiner Meinung nach mindestens sechs Jahre benötigen. Das heißt, der Umzug aus der bestehenden Oper am Stadtgarten in die neue Interimsoper könnte im Jahr 2030 erfolgen.

Modell (Foto: a+r Architekten und NL Architects)
Interimsstandort Württembergische Staatstheater Stuttgart (WST)/Maker City Stuttgart
Nicht offener Wettbewerb

Auslobung: Landeshauptstadt Stuttgart
Betreuung: pp a|s Pesch Partner Architektur Stadtplanung, Stuttgart
 
Jury
Prof. Jens Wittfoht, Stuttgart (Vors.) | Marianne Baumgartner, Zürich | Stefan Behnisch, Stuttgart | Henning Ehrhardt, Stuttgart | Elke Delugan-Meissl, Wien | Prof. Stefanie Eberding, Stuttgart | Prof. Jörg Friedrich, Hamburg | Prof. Dörte Gatermann, Köln/Hamburg | Joel Harris, Stuttgart | Andreas Hofer, IBA 2027 Stuttgart | Tiina Parkkinen, Wien/Helsinki | Birgit Rapp, Amsterdam | Prof. Amandus Samsøe Sattler, München | Markus Weismann, Stuttgart/Berlin | Ursula Hochrein, München | Dr. Fabian Mayer | Thomas Fuhrmann | Peter Pätzold | Dirk Thürnau | Dr. Gisela Splett | Arne Braun | Marc-Oliver Hendriks | Dr. Andrea Rosenauer | Erwin Köhler | Martin Rivoir | Alexander Kotz | St. Conzelmann | Peter Holzer | Andreas Winter
 
1. Preis
a+r Architekten GmbH, Stuttgart
Mitarbeit: Alexander Lange, Chia Hao Chang, Fiona Rey, Cassandra Sauter, Anton Stuby, St. Hofmann
 
NL Architects, Amsterdam
Mitarbeit: Walter van Dijk, Pieter Bannenberg, Philipp Stiebler, Laura Riano Lopez
Landschaftarchitektur: faktorgruen Landschaftsarchitekten, Freiburg
Tragwerk: Schöne neue Welt Ingenieure, Berlin
Brandschutz: hhpberlin GmbH, Berlin
Akustik: Kahle Acoustics, Ixelles
Bühnentechnik: Koen Koch Podiumbouwadvies, Amersfoort
 
2. Preis
heinlewischer Architekten, Stuttgart
Mitarbeit: Davide Di Gaetano, Steffen Walter, Sibel Adakci, Julia Rudolph, Artem Melashvili, Diyar Ünlücay, Hägi Gutbrod, Paul Thum, Luis Wagenführer, Philippa Volz
 
Modell: Philipp Jenckel
Tragwerk: Mayer-Vorfelder Dinkelacker Ing., Sindelfingen
Bauphysik: Müller-BBM, Planegg
 
3. Preis
KSP ENGEL GmbH, Frankfurt am Main
https://german-architects.com/de/ksp-engel-frankfurt
Mitarbeit: Jiahao Lu, Aysenur Senel, Alexander Hörr, Drazan Mateljak, Christian Eichinger, Sevilay Göker, Isabelle Weber, Sophia Frank
 
Fachberatung: Weiske und Partner GmbH, Stuttgart | Ulrich Breuninger
Visualisierung: bloomimages, Hamburg/Berlin
Landschaftarchitektur: nsp landschaftsarchitekten stadtplaner, Hannover
Mitarbeit: Wen Chen, Christoph Schonhoff, Markus Hanke
Büro Happold
Brandschutz: hhpberlin GmbH, Berlin
Theater Engineering, Berlin
 
4. Preis
GINA Barcelona Architects, Barcelona
Mitarbeit: Davide Lorenzato, Jaime Batlle, Diana Carbonell, Ignacio Arizu, Xavier Fabré Lluís Dilmé
 
DGI Bauwerk Ges. von Architekten mbH, Berlin
Mitarbeit: Christoph Towara, Elvira Turek, Christina Zehe, Laura Thomson, Adriaan Bell Gravendeel, Yassine Jeljeli, Remo Panarese, Radek Smrcina, Efterpi Spanell, Maria Nefelie Gerotoliou, Rana Kocabas

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