Eierlegende Wollmilchsau
Peter Petz
26. März 2014
Bestand (Foto: knerer und lang)
knerer und lang gewinnen den Wettbewerb um Sanierung, Umbau und Erweiterung der Stadthalle Bayreuth in ein Kultur- und Tagungszentrum. Eva Maria Lang stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Peter Petz: Die Stadt Bayreuth will die denkmalgeschützten Gebäude der Stadthalle in ein Kultur- und Tagungszentrum mit internationalen Standards transformieren. Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?
Eva Lang: Die Stadthalle Bayreuth entstand durch die Erweiterungen der ursprünglichen barocken Reithalle in den Jahren 1935 und 1965. Sie ist ein wichtiges Dokument der jüngeren Geschichte der Stadt. Die verschiedenen Zeitschichten sind nicht nur in der Gebäudehülle sichtbar, sondern auch in vielen Details der Innenausstattung. Hier fanden wir besonders die repräsentativen Treppenanlagen und die Wandgemälde aus den 60er Jahren interessant. Unser Ansatz im Umgang mit der Stadthalle ist eine behutsame Arrondierung und Optimierung der Struktur im Bestand. Es galt das richtige Maß zwischen Erhalt und Neubau, zwischen Respekt und selbstbewusstem Eingriff zu finden. Dabei wollen wir die besonderen Qualitäten des Ortes, nämlich die Lage im Zentrum der Stadt und die direkte Nähe zum Hofgarten stärker herausarbeiten und nutzbar machen. Die notwendige Erweiterung der wertvollen denkmalgeschützten Bestandsgebäude soll sich unaufdringlich in der Form eines unprätentiösen Wandelganges präsentieren, der die Struktur der historischen Gebäude nicht neu überformt, sondern sichtbar lassen wird.
Blick auf das Kultur- und Tagungszentrum
Was schlagen Sie für die Erschließung und die Freianlagen vor?
Der Wandelgang fügt das Große und das Kleine Haus zu einem multifunktional nutzbaren Gesamtkomplex zusammen. Weitere sichtbare Eingriffe oder Ergänzungen werden vermieden. Ziel unseres Entwurfes ist, die verschiedenen Veranstaltungsangebote unabhängig voneinander zu erschließen. Der Komplex soll aber auch als „Ein Haus“ genutzt werden können - dazu müssen die Zugänge und dienende Bereiche entflochten werden. Im Grunde wird eine Art „Eierlegende Wollmilchsau" entstehen mit vier Funktionsbereichen, die jeweils autark, aber auch gemeinsam funktionieren müssen.
Das Große Haus wird in seiner Struktur mit den Umbauten des Architekten Hans C. Reissinger fast vollständig erhalten. Wie bisher erfolgt der Zugang über den Jean-Paul Platz und über den Geißmarkt. Durch die Schließung des Nebeneingangs zur Wandelhalle wird eine eindeutige Zugangssituation geschaffen. An Stelle eines ungünstig situierten Nottreppenhauses kann ein Ticketschalter und das neue Fluchttreppenhaus mit neuen Aufzügen installiert werden. Vom Hauptfoyer oder aus dem neuen Wandelgang gelangt man in die Wandelhalle und zu den Rängen. Die Treppe aus der Tiefgarage bleibt erhalten, ein Aufzug ermöglicht den barrierefreien Zugang aus der Tiefgarage. Die Erschließung des Balkonsaals kann unabhängig von der Nutzung im Grossen Haus sowohl über einen eigenen Eingang am Jean Paul-Platz (ehemals Handwerkskammer), als auch vom Geißmarkt aus erfolgen. Die bestehende elliptische Treppe aus den 60er Jahren bildet den repräsentativen Zugang in das neue Foyer.
Ein wichtiges Entwurfsziel ist die Aufwertung des Geißmarktes, der momentan als Parkplatz genutzt wird. Zukünftig soll der Geißmarkt vor dem Tagungszentrum nach unserer Vorstellung vom ruhenden Verkehr freigehalten werden. Die Parkplätze werden im südlichen Bereich konzentriert, da in der Tiefgarage ausreichend Parkmöglichkeiten für Besucher zur Verfügung stehen. Die Platzkante kann durch eine Reihe von hochstämmigen Bäumen in Kübeln abgeschlossen werden. Dieses Element findet sich in historischen Gärten wieder und kann auf dem Geißmarkt in einer modernen Interpretation angewendet werden. Das wertvolle vorhandene Bogenpflaster wird erhalten und in Bereich der entfallenden Parkplatzmarkierungen ergänzt. Eine leicht gewölbte Bronzelinse, die von einem feinen Wasserfilm berieselt wird, kann das Zentrum des Platzes bilden. Durch die Reflektion der Sonne auf der Wasserfläche im Sommer und auf der Bronzefläche im Winter entsteht eine besondere Lichtstimmung auf dem Platz. Die Linse wird von Steinbänken flankiert, die als Sitzmöglichkeiten in Pausen dienen. Die kleinen Atrien am Wandelgang können bei Veranstaltungen als intime Rückzugsorte genutzt werden. Für den Tagungsbereich im Kleinen Haus bietet sich die bereits vorhandene Terrasse zum Hofgarten an.
Lageplan
Wie organisieren Sie das Kultur- und Tagungszentrum?
Das Kultur- und Tagungszentrum wird in der ehemaligen Reithalle, dem Balkonsaal und dem kleinen Haus untergebracht. Die Nutzung der bestehenden Veranstaltungsräume, dem Grosse Haus und dem Balkonsaal, wird unter anderem durch den Einbau einer Seitenbühne und den Umbau der Künstlergarderoben verbessert. Der Balkonsaal selbst wird um 180° gedreht und erhält eine Bühne mit Hinterbühne, die als Lager oder Garderobe genutzt werden kann. Hier ist eine Verbindung zu Seitenbühne, Lager und Garderoben des Großen Hauses möglich. Die Garderoben sind im Obergeschoss des Kleinen Hauses vorgesehen. Die Terrasse auf dem Dach der Wandelhalle kann im Sommer für Veranstaltungen und Pausen genutzt werden.
Der massive Anbau an die Stadthalle wird durch den gläsernen Wandelgang ersetzt, der in Richtung Geißmarkt abrückt, um die Fassade der Stadthalle freizustellen und wieder erlebbar zu machen. Es entstehen reizvolle Innenhöfe, die bei Veranstaltungen als geschützte Freibereiche genutzt werden können.
Im Kleinen Haus werden Tagungen, Schulungen und Konferenzen abgehalten. Dabei kann entweder das ganze Haus oder Teilbereiche des Hauses in parallelen Veranstaltungen genutzt werden. Die Foyerflächen und Tagungsräume werden zum Hofgarten orientiert um den Besuchern die Möglichkeit zu geben, an der besonderen Qualität des Ortes teilzuhaben. Tagungen finden also im Grünen und mit Ausblick auf die sehenswerte historische Bausubstanz statt. Der Wandelgang kann von zwei Eingängen betreten und bei Bedarf geteilt werden. Er ist neben seiner verbindenden Funktion eine repräsentative Foyer- und Ausstellungsfläche mit Bezug zum attraktiv neu gestalteten Geißmarkt. Die Fassade des kleinen Hauses bleibt erhalten.
Erdgeschoss
Schnitt
Wie erreichen Sie das geforderte Höchstmaß an Flexibilität?
Der Wandelgang verbindet alle Funktionsbereiche in der ehemaligen Reithalle und im Kleinen Haus. So entsteht ein flexibel nutzbarer Raum, der alle Funktionsbereiche miteinander verbindet, Freiflächen neu definiert und deren Qualität deutlich aufwertet. Je nach Veranstaltungsart und -größe können alle Teilbereiche unabhängig voneinander genutzt werden. Die Tagungsräume im Kleinen Haus sind sowohl separat als auch in Verbindung mit den Räumlichkeiten im Großen Haus nutzbar. Die Tagungs- und Konferenzbereiche sind kompakt auf einer Ebene im EG des Kleinen Hauses organisiert. Durch die zwei Foyerflächen sind unterschiedliche, gleichwertige Raumkombinationen möglich. Die Organisation hat den großen Vorteil, dass das Kleine Haus praktisch „abschnittsweise“ genutzt werden kann und auch kleine intime Veranstaltungen stattfinden können.
Obergeschoss
Schnittansicht
Welches Innenraumthema war Ihnen besonders wichtig?
Gegenwärtig wirkt das Haus im Bereich des Foyers zum Geißmarkt etwas düster. Die Zugangssituationen sind undefiniert und einige Bereiche nicht gut nutzbar. Das Hauptthema war also die Schaffung klarer räumlicher Zusammenhänge und heller Foyerzonen mit Bezug nach aussen. Bei allen Maßnahmen sollen die denkmalgeschützen Einbauten auf alle Fälle erhalten bleiben. Durch den Anbau der Wandelhalle können diese Ziele erreicht werden.
Die Fassade der Wandelhalle soll mit der Sandsteinfassade der Stadthalle harmonieren, deshalb wird für die Erweiterung ein Bronzefarbton gewählt. Diese Farbwahl führt dazu, dass das Tagungszentrum mit seiner Umgebung optisch verschmilzt und mit den historischen Bauten ein neues harmonisches Ganzes bildet. Der Wandelgang lässt sich aufgrund der einfachen Gebäudegeometrie und des Ausbaus in geradezu asketischer Strenge wirtschaftlich errichten. Trotz dieses einfachen Konzepts wird der Innenraum wohltuend großzügig wirken. Dies wird durch die Einbeziehung der Fassadenprofile in das Tragwerk des Gebäudes erzielt, auf massive Stützen kann völlig verzichtet werden. Durch die Reduktion der Mittel wird ein nobler Raum für Veranstaltungen und Kongresse geschaffen, der die besondere Qualität des Ortes und die vielen Details der 30er und späteren 50er Jahre behutsam einrahmt
Innenraum
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Ab Herbst 2015 sollen die Bauarbeiten beginnen. Die Fertigstellung ist bis 2017 vorgesehen.
Modell
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